Erstes Buch: Zeitalter, Katastrophen, Kalender

1. Kapitel: Himmel, Sonnen, Erden

Die vielleicht schönste Dichtung über die Vier Weltzeitalter ist das gleichnamige Epos in den Metamorphosen (I) des altrömischen Dichters Ovid, das mit diesem Vers beginnt:

Aurea prima sata est aetas, quae vindice nullo
sponte sua sine lege fidem rectumque colebat.


Sinngemäß übersetzt heißt das:

Im Anfang war die Goldene Zeit, die des Richters
gern entbehrte;
denn die Menschen waren von sich aus bereit, zu
bewahren die ewigen Werte.


Ovid griff hierin die Vorstellung auf, die im Altertum bereits verbreitet war und der sich auch der altgriechische Dichter Hesiod schon angeschlossen hatte, der seinerseits dem Römer Ovid als Vorbild in dieser Hinsicht gedient hatte. Rund um den Erdball existieren noch heute mythische Erinnerungen an voneinander abgesetzte Zeitalter, die auch qualitative Unterscheidungsmerkmale aufweisen:

Nach dem hochgelobten Goldenen Zeitalter kam das weniger gute Silberne, und auf das noch weniger lobenswerte Bronzene folgte zuletzt das schlechteste, das Eiserne, in dem wir leben.

Die weltweiten Vorstellungen kennen Zeitalter von unterschiedlicher Zahl und Länge. Meistens ist von vier, nie von weniger und bisweilen von bis zu elf Zeitaltern die Rede. Diese Widersprüchlichkeit dürfte der Grund sein dafür, dass man diesen ganzen Komplex bisher nicht so recht ernst genommen hat. Sollte diese "Kollektiverinnerung" nur auf zufälligen Übereinstimmungen phantasievoller Dichter in der ganzen antiken Welt beruhen? Allein ihre Verbreitung über den gesamten Erdkreis sollte zu denken geben.

Als besonders aufschlussreich in vieler Hinsicht erweisen sich die Mythen der mittelamerikanischen Mayas, in denen nicht nur die Zahl vier untermauert wird, sondern auch durch die Bezeichnung dieser Zeitalter als "Himmel" oder "Sonnen" der Weg gewiesen wird, wie wir uns die einzelnen Epochen vorzustellen haben: Es handelt sich bei ihnen um Phasen unterschiedlicher astronomischer Daten für ein und denselben Ort auf der Erde.

Die einzelnen "Sonnen" unterscheiden die Mayas zudem noch durch Zusätze, die alle an eine typische Katastrophe erinnern, die offensichtlich mit dem Auftauchen der jeweiligen "Sonne" verbunden war:

Feuersonne, Erdbebensonne, Flutsonne, Hurrikansonne.

Allein aus dem bisher angeführten Mayamaterial lässt sich herleiten, dass viermal nach einer kosmischen Katastrophe, von der die Erde stark in Mitleidenschaft gezogen wurde, jedes Mal ein anderer Himmelsausschnitt und ein veränderter Sonnenlauf am Himmel zu beobachten waren, und zwar jeweils bis zur nächsten Katastrophe, durch die dann alles wieder anders wurde.

Es ist nicht anzunehmen, dass Hesiod von den Mayas noch dass diese von Hesiod abgeschrieben haben. Es findet sich indes bei Hesiod kein Hinweis auf Katastrophen. Andere Schreiber der nahöstlichen und mediterranen antiken Welt kennen sehr wohl auch Katastrophen, und zwar genau solche, die auch in den Überlieferungen der Mayas erwähnt werden. Es ist von "langen Wintern" (Kataklysmen) und von "langen Sommern" (Ekpyrosis) die Rede. Doch hierbei scheint den Alten schon einiges nicht mehr so recht klar gewesen zu sein:

Die Ekpyrosis oder der Große Weltenbrand entspricht mehr der Feuersonne der Mayas, während langer Winter ganz deutlich eine Langzeitphase bedeutet, nämlich die Eiszeit .

Gleiches gilt für den langen Sommer bzw. die nacheiszeitliche Warmperiode , die erst durch die Katastrophe Typhon 4 abgeschlossen wurde.

Wir befinden uns schon mitten in der Interpretation dieser mythischen Angaben, noch ehe wir alle Überlieferungen im Einzelnen kennen gelernt haben. In der Tat reichen allein die Hinweise bei den Mayas schon aus, um eine Reihe von mindestens vier schweren kosmischen Katastrophen zu postulieren; denn ohne "Hilfe von außen" kann die Erde ihre Lage im Raum nicht verändern, was wiederum als die einzige Ursache für Veränderungen in den Bereichen Sonnenlauf und Himmelsausschnitt anzusehen ist. Damit einhergehend sind natürlich auch Klimaveränderungen zu erwarten.

In anderen Mythen findet sich auch die Bezeichnung "Erde" für ein in sich abgeschlossenes astronomisches Zeitalter. Denn es hatte sich nach einer Katastrophe nicht nur der Himmel verändert. Auch die Erde hatte danach immer wieder ein anderes Gesicht. Hierbei ist nicht nur an die schweren Verwüstungen zu denken, die durch die Katastrophen hervorgerufen wurden, sondern vor allem an die teilweise dramatischen Klimaverschiebungen, die das Bild der Erde veränderten, indem sie Flora und Fauna eines Ortes völlig "austauschten". Auf diese Weise konnten ganze Landstriche für den Menschen unbewohnbar werden, andere entwickelten sich zu neuen Lebensräumen. Ein eindrucksvolles Beispiel für diese teilweise tief greifenden Veränderungen geben die in Nordsibirien tiefgefrorenen Mammutherden. Das Verlassen der Mayastädte, die alsbald vom Urwald überwuchert wurden, ist möglicherweise ebenfalls als Folge gravierender Klimaverschiebungen anzusehen.

Bevor ich auf die kosmische Ursache dieser Katastrophen eingehe, muss noch ein weiterer Aspekt der von ihnen ausgelösten Veränderungen besprochen werden, der gewiss auf ungläubiges Kopfschütteln stoßen wird, da er auf den ersten Blick völlig absurd erscheint. Im Altertum war es jedoch bekannt, dass während einer historischen Zeitspanne die Sonne an verschiedenen Orten aufging: Wo sie jetzt untergeht, dort sei sie zweimal aufgegangen, und wo sie jetzt aufgeht, sei sie zweimal untergegangen. So erzählten die ägyptischen Priester dem griechischen Reisenden und Historiografen Herodot (II, 142) . Dies ist so zu verstehen, dass es längere Zeiträume gegeben hatte, in denen die Sonne im Westen aufgegangen war, die dann wieder von solchen abgelöst wurden, in denen die Sonne im Osten aufging, und das selbstverständlich nicht nur in Ägypten.

Auch im alten Griechenland waren diese Vertauschungen der Sonnenauf- und -untergangsorte bekannt. Möglicherweise beruhte die Kenntnis davon auf der Angabe Herodots; doch die letzte Veränderung fand zu einem Zeitpunkt statt, als die Griechen schon längere Zeit in Hellas anwesend waren, so dass Plato zum Beispiel auf bodenständige Überlieferung zurückgreifen konnte, wenn er in seinem Dialog Politikos (= Der Staatsmann ) schreibt: Ich meine den Wandel im Aufgang und Untergang der Sonne und der anderen Himmelskörper, und wie sie in jener Zeit in der Himmelsrichtung unterzugehen pflegten, wo sie heute aufgehen, und wie sie dort aufgingen, wo sie heute untergehen. ... Zu gewissen Zeiten hat das Weltall seine gegenwärtige Kreisbewegung, und zu anderen Zeiten dreht es sich in entgegengesetzter Richtung.

Mit Sicherheit hatten die Chinesen ihr Wissen um dieses Phänomen weder von den Ägyptern noch von Herodot oder von Plato:

Die Chinesen sagen, dass sich die Sterne erst von Osten nach Westen bewegen, seit eine neue Ordnung der Dinge zustandegekommen ist. 1 Ähnliche Hinweise auf eine derartige Vertauschung finden sich bei den Mexikanern ebenso wie bei den Eskimos, bei den alten Rabbinern wie im Koran, kurzum rund um den Erdball, ohne dass es damals möglich gewesen wäre, diese Informationen untereinander auszutauschen.

In einem altägyptischen Sonnenhymnus heißt es:

Harachte, du gehst im Westen auf.

Da bei den Ägyptern Westen ein feststehender Begriff war wie die germanischen Bezeichnungen West und Ost und nicht wie das lateinische Orient und Occident an den Sonnenauf- bzw. -untergang gebunden war, kann man daraus direkt auf den Tatbestand schließen, dass zur Zeit der Entstehung des obigen Hymnus' die Sonne im Westen aufging. Für die Ägypter war das Land im Westen geografisch die Sahara , wo sie das Reich der Toten sahen. Dort stiegen die ordentlich Beigesetzten im Gefolge des Gottes Amun , in dem die Sonne sich verkörperte, zu einem neuen Leben empor. Die Verbindung zwischen der Auferstehung der Toten und dem Aufgehen der Sonne ist sehr sinnfällig. Hier geht es aber nicht um den religiösen Aspekt; sondern hier soll gezeigt werden, dass es tatsächlich - mindestens für einen gewissen Zeitraum - eine im Westen aufgehende Sonne gegeben haben muss.

Die Neuordnung der Dinge, von der die Chinesen sagen, dass sie am Beginn der letzten "Sonne" gelegen habe, nämlich derjenigen, die wieder im Osten aufgeht, liegt noch nicht sehr lange zurück. Dieser Wechsel fand im Jahre 624 nach der Flut entsprechend dem Jahr 256 v.Chr. statt. Im Klartext heißt das aber, dass der größte Teil der in den folgenden Kapiteln und Bänden abgehandelten Geschichte des Altertums unter einer Sonne spielte, die im Westen auf- und im Osten unterging!

Reichen diese Hinweise schon aus, um einen "Kanon der kosmischen Katastrophen" aufzustellen, also zu fordern, dass ein Himmelskörper in die Nähe der Erde kam und deren Bahn und ihre Lage im Raum veränderte? Ich will zunächst versuchen, dem Leser ein Denkmodell an die Hand zu geben, mit dessen Hilfe er sich vorstellen kann, was da geschehen sein könnte. Von diesem Himmelskörper selbst gibt es weder Fotos noch sonstige Spuren. Es besteht lediglich geradezu der Zwang, diesen Planeten anzunehmen - oder die mythische Überlieferung in toto als Geschwätz abzutun. Zu letzterem kann ich mich guten Gewissens nicht entschließen. Weniger Skrupel haben in dieser Hinsicht allerdings die modernen Wissenschaftler. Deren Bereitwilligkeit, die Dinge unter den Teppich zu kehren, möchte ich dem Leser an einem hierher passenden Beispiel vor Augen führen:

Der römische Schriftsteller Servius, der einige Jahrhunderte nach der letzten Typhon-Katastrophe lebte, beschrieb den Kometen Typhon als ungeheure feurige Kugel, die die blutige Röte des Himmels und beim Auf- und beim Untergehen Verwüstungen auf der Erde hervorrief . Er verwies dabei auf den altägyptischen Astrologen (Priester) Petosiris, der weitere Angaben über die von diesem Kometen verursachten Nöte in seinen Werken gemacht habe 2. Es ist daher anzunehmen, dass Petosiris ein Augenzeuge der Katastrophe war und dass die von Servius gewählte Beschreibung von Petosiris stammte.

Es ist gewiss kein Zufall, dass ein ehemaliger Kollege dieses Priesters Petosiris mit Namen Ipuwer ebenfalls einen Augenzeugenbericht über diese "Verwüstungen" angefertigt hat. Dieses so genannte Klagelied des Ipuwer ist von der Ägyptologie dahingehend interpretiert worden, dass ein weiser Seher am Hofe eines Pharao des Mittleren Reiches einen prophetischen Blick in eine düstere Zukunft wirft - so kann man die Kommentare sinngemäß zusammenfassen. Dabei beginnt jeder Vers dieses Klageliedes mit der stereotypen Frage: Ist es denn nicht so, dass ...? Mit diesem für die damalige Zeit ungewöhnlichen Stilmittel unterstreicht Ipuwer die ungeheuerliche Wahrheit, die später kaum noch jemand dafür ansehen wird - wie er fürchten musste, und wie es auch eingetreten ist.

Moderne Historiker können diese beiden Augenzeugen nicht annähernd mit derselben Zeit geschweige denn mit ein und derselben Katastrophe in Verbindung bringen. Sie verlegen den Verfasser des Klageliedes in eine Zeit zwischen 2000 und 1600 v.Chr., einige sogar ins Alte Reich, das von etwa 3000 bis 2000 v.Chr. angesetzt wird, während sie den Priester Petosiris in persischer Zeit ansiedeln, also im vierten vorchristlichen Jahrhundert, "unter Vorbehalt" aber auch erst ins zweite vorchristliche Jahrhundert. Abgesehen davon, dass beide Datierungen schlicht falsch sind, gibt es ein Dokument, in dem beide als thebanische Beamte und als Zeitgenossen ausgewiesen sind. Dabei handelt es sich um die Prozessakte Peser/Pewero:

Peser-Petosiris und Pewero-Ipuwer prozessierten gegeneinander wegen Grabplünderungen. Die Akte selbst gehört - wie daraus direkt hervorgeht - in die Zeit des Vizekönigs und Stadtvorstehers von Theben, Neferkare-Chaemuse . Dieser war ein Sohn desjenigen Pharaos, nach dem der Zerstörer Typhon seinen Namen erhielt. Die von beiden Augenzeugen beschriebene Katastrophe ist allen Lesern bekannt als Exoduskatastrophe unter der Bezeichnung die Plagen des Pharao. Hierbei handelt es sich um die letzte der vier Typhon-Katastrophen, und sie gehört ins Jahr 256 v.Chr.

Der Exodus und die mit ihm verbundene Katastrophe - und als etwas anderes kann man die Plagen des Pharao wohl kaum bezeichnen - werden von der Schulwissenschaft etwa tausend Jahre früher angesetzt, und der Pharao der Unterdrückung wird ebenso falsch wie der Pharao des Auszugs identifiziert. Auf die Identität der Exoduskatastrophe mit der von Ipuwer beschriebenen hat Immanuel Velikovsky schon in seinem Band Vom Exodus zu König Echnaton hingewiesen; einen so drastischen Schritt, wie ich ihn zur Geschichtsverkürzung gemacht habe, konnte er allerdings nicht machen.

Unter den Teppich gekehrt haben die modernen Althistoriker nicht nur das Klagelied und den Typhon-Bericht; viele weitere Überlieferungen, die ihnen nicht ins Konzept passten, ereilte dasselbe Schicksal.

Wenn der Zerstörer Typhon, in dem wir einen Planeten etwa von der Größe der Erde sehen dürfen, zum Zeitpunkt besagter Exoduskatastrophe noch rotglühend war, was Petosiris mit seinen Worten blutige Röte des Himmels ausdrückt, dann muss er zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt weißglühend gewesen sein, so dass seine enorme Strahlungshitze auf der Erde einen Großen Weltenbrand auslösen konnte. In dieser so genannten Ekpyrosis können wir mit Recht die Katastrophe Typhon 1 sehen.

Bevor wir uns mit dem Denkmodell Typhon eingehend beschäftigen, stelle ich hier zunächst die Punkte zusammen, deren Klärung wir uns von diesem Denkmodell erhoffen:

  1. Der Planet Typhon muss der Erde sehr nahe gekommen sein, damit es zu den Verwüstungen durch Hitze, Sturmfluten, Erdbeben und Hurrikane kommen konnte.
  2. Er muss auf einer Umlaufbahn gewesen sein, die ihn nur in größeren Zeitabständen in die Nähe der Erde brachte.
  3. Er muss die Erdbahn gestört haben, so dass sich die Erde sowohl im Raum als auch auf eine andere Bahn verlagern konnte; denn auch die Länge des Jahres änderte sich bei jeder Nahbegegnung.
  4. Er muss jedes Mal die Sonnenauf- und -untergangsorte auf der Erde vertauscht haben.
  5. Er muss schließlich "irgendwoher" gekommen sein.
  6. Er muss aber auch auf irgendeine Weise wieder "abhanden" gekommen sein, da er heute nicht mehr zu beobachten ist - oder vielleicht doch?


Es ist heute noch üblich, die im Sintflutbericht und in anderen Mythen, beispielsweise der Mayas, geschilderten Katastrophen als "lokale Ereignisse" abzutun. Das mag in Bezug auf Erdbeben, Hochfluten und Sturmereignisse möglich sein. Es ist aber unmöglich, Veränderungen am Himmel wie die des Sonnenauf- und untergangsortes oder gar der Länge des Jahres auf lokale Ereignisse herunterzuspielen. Mit solchen Problemen ist jeweils die ganze Erde bei ein und derselben Gelegenheit konfrontiert worden.

Gibt es nun eine Sechs-Punkte-Erklärung, die auf alle obigen Fragen eine befriedigende Antwort zur Hand hat?

Letzter Stand: 24. Juni 2012

 


 

1 Bellamy: Moons, Myths and Man, S.69; entnommen Immanuel Velikovsky: Welten im Zusammenstoß
2 Immanuel Velikovsky, Welten im Zusammenstoß, Umschau-Verlag 1978


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