Viertes Buch: Das Sechste Saeculum

2. Kapitel: Hellas unter minoischer Oberhoheit

Nach dem Auszug des Orion-Aktaion mit Athena-Metiadusa war Hellas weiterhin eine Provinz des minoischen Meeresimperiums, dessen Statthalter (Pan-)Dionysos-L(y)aios unter seinem Namen Pandion in Athen residierte. Minos, der diesen Schwiegersohn von seinem Palast in Knossos auf der Insel Kreta aus nach Hellas abgeordnet hatte, und Atlas, der auf der Insel Atlantis seine Residenz gehabt haben müsste, waren die Söhne des Poseidon, die das Minoerreich gemeinsam verwalteten. Dies geht aus dem Atlantis-Bericht Platons hervor, wenngleich nicht auszuschließen ist, dass Platon dieses "Atlantis-Modell" als Vorbild für seinen "idealen Staat" frei erfunden hat. Bei der Insel Atlantis handelt es sich um die Insel (Kaph)Thera oder - was noch davon übrig ist - Santorin.

Den Knossos-Palast soll jener Daidalos gebaut haben, der als erster Mensch den Vogelflug geschafft haben soll. Daran könnte mehr als nur eine Prise Wahrheit sein, wenn man davon ausgeht, dass der moderne Drachenflug immerhin auch ohne großen technischen Aufwand auskommt. Wenn Daidalos nun für sich und seinen Sohn Ikarus je einen Flugdrachen gebaut hätte, dann konnten sie im Segelflug von der hochgelegenen Palastanlage aus, wo der angeblich von Minos gelähmte (!) Schmied und Architekt Daidalos gefangen gehalten wurde, den Hafen erreichen und mit einem bereitgestellten Schiff den Kretern entfliehen. Allem Anschein nach entkam Daidalos nach Sizilien, wo die Dorer derzeit bemüht waren, die Herren zu werden, so dass der Verdacht naheliegt, diese wären die Initiatoren der Flucht gewesen.

Einen Drachenflug von Kreta nach Sizilien kann es sowenig gegeben haben wie einen Vogelflug mit selbstgebastelten Flügeln, die Vortrieb und Auftrieb nach Vogelart gleichzeitig bewirkten. Minos jedenfalls, so wird gesagt, kam in Sizilien um, als er Daidalos von dort zurückholen wollte.

Ikarus soll bei dem Drachenflug abgestürzt sein. Ein Kinderspiel war ein solches Unterfangen damals so wenig wie heute. Daher wurde das Fliegen auch nicht populär, obschon es mich immer wieder verwundert, dass der Drachenflug eine so lange Zeit brauchte, bis er wiederentdeckt wurde; denn nicht nur die ganze Schar der Versager seit dem Schneider von Ulm, nicht nur der als Vater der modernen Fliegerei gepriesene Otto von Lilienthal, sondern auch die mutigen Männer in ihren fliegenden Kisten haben das so einfach aussehende Prinzip des Flugdrachens nicht erkannt. Es wurde erst zum Sport, als schon längst Jumbojets mit ihren Düsentriebwerken den Himmel zerfurchten.

Der Tod des Minos muss um 529/530 ndFl angesetzt werden, da Hermes - wie schon angedeutet - vermutlich dem Sohn Androgeus (= Andr-Ogyges!) des Minos auf den Thron half, nachdem er mit seinem eigenen Sohn Apis Ägypten verlassen hatte.

Das Labyrinth des Minos, wie dessen Palast genannt wurde, hatte seinen Namen von der Doppelaxt oder "labrys", die in Kleinasien ihren Ursprung hatte. Zeus bzw. Jupiter mit dem Beinamen Dolichenus, der Teuta-tes-chup-piter von Kommagene (in Ostanatolien), wurde mit ihr dargestellt, und Pentheus schwang sie, als er Dionysos gefangennahm. Sie wurde zum Markenzeichen der Minoer schlechthin, häufig gemeinsam mit den Stierhörnern abgebildet, die aber erst unter Minotauros-Katreus hinzugekommen sein können. Der "kretische Stier" war zu des Minos' Zeiten noch unbekannt.

Der Knossos-Palast wurde wegen seiner verschachtelten Bauweise - er hatte 1200 Räume - zum Inbegriff des Labyrinths für alle Zeit. Es ist hier jedoch wieder einmal nicht der Platz, im Detail auf etwas einzugehen. So muss ich auch die eingehende Besprechung der minoischen Epoche auf eine spätere Gelegenheit vertagen. An dieser Stelle möchte ich nur noch einmal darauf hinweisen, dass die Minoer ebenso wie die Meder lediglich eine hauchdünne Oberschicht unter den Völkern im Mittelmeerraum waren, in dem die karische Urbevölkerung bei weitem überwog.

Der für Thukydides gehaltene griechische Historiograf, den ich jedoch nicht eindeutig identifizieren kann und daher vorsichtiger als Polemos-Autor1 bezeichne, schreibt:

(I,4) Unter den Männern, von denen wir durch Überlieferung wissen, war nämlich Minos der erste, der sich eine Flotte schuf; dadurch gebot er über den Großteil des jetzt hellenischen Meeres, gewann die Herrschaft über die Kykladen und besiedelte als erster die meisten von ihnen, wobei er die Karer vertrieb und seine Söhne als Fürsten einsetzte. Auch das Seeräuberunwesen beseitigte er, wie leicht zu vermuten, nach Kräften in weiten Teilen des Meeres, um seine Einkünfte zu erhöhen.2

Wenn der Achäer Minos die Karer auf den ägäischen Inseln, die vorher Seeräuber waren, vermutlich nicht vertrieb, sondern in seine Dienste stellte, um mit ihrer Hilfe seine Seeherrschaft zu begründen, dann ist das insofern sehr einleuchtend, als die Arier von Hause aus Steppenbewohner bzw. Bauern und Viehzüchter waren, die von der Seefahrt unberührt geblieben waren, bis sie ans Mittelmeer gelangten. Allerdings dürfte auch der Vater des Minos, nämlich der Meeresgott Poseidon selbst, bereits im Seefahrt- bzw. Seeräuber-Geschäft tätig gewesen sein.

Auch auf dem griechischen Festland bildete die karische Urbevölkerung die absolute Mehrheit. Die großwüchsigen und rundäugigen (= kyklops) Karer galten als die Söhne der Ge, als Geanten oder Giganten = Riesen. Sie brachten ihren Erdgottheiten Menschenopfer. Darüber geben die heute noch sichtbaren Kultstätten Auskunft. Von diesen sind besonders berühmt die in die Erde eingelassenen Fässer von Mykenä, in deren eines Eurystheus der Sage nach vor Herakles und dem von diesem eingefangenen erymanthischen Eber geflohen sein soll. Eines dieser "Fässer" wird auch als "Grab des Agamemnon" bezeichnet. Diese runden Erdgruben sind für die kyklopische Zeit, aus der die Burg von Mykenä stammt, genauso typisch wie die so genannten "Schatzhäuser", die auch in anderen Gegenden des Mittelmeerraumes gefunden wurden.

Die Burg von Mykenä stammt nicht aus der so genannten mykenischen Epoche, sondern aus der karisch-kyklopischen. Das Mykenaikum, das auf das Minoikum folgte, ging von Mykenä erst in einer späteren Zeit aus und verlief überwiegend parallel zum Spätminoikum (um 600 ndFl). Auch im Falle dieser beiden Epochen erweist sich die konventionelle Darstellung als überdehnt und verzerrt.

In den Städten in Hellas saßen einige aus der Mythologie namentlich bekannte Herrscher auf den Thronen, die wir der karischen Urbevölkerung zuordnen können. Ihre Begegnung mit den Indoariern, das heißt den Gutäern und später auch den frühen Medern wie den frühen Ioniern, verlief unterschiedlich. Zum Teil gab es kriegerische Auseinandersetzungen, überwiegend scheint es aber friedlich zugegangen zu sein: man heiratete.

Die Meder, Mänaden oder (Uman-)Manda waren unter Charops die ersten Zeusianer, die in Hellas auftraten. Charops soll der Nachfolger des Lykurgos, des Königs von Thrakien, geworden sein. Lykurgos war natürlich auch König Illyrios von Illyrien und der Python Drache = Lake-Daimon, der Sohn des Ares = Doros-Kain-Seth-Hephaistos. Der Name Thrakien für fast die gesamte Balkanregion ist offenbar erst unter Charops aufgekommen. Er wird von Thrax abgeleitet, der mit dem Japhet-Sohn Thiras aus dem AT identifiziert wird.

Die vielen thrakischen Völkerschaften, die Herodot aufzählt und die sich auf jede erdenkliche Weise und teilweise ganz erheblich voneinander unterscheiden, haben mit den eigentlichen Thrakern nichts zu tun. Sie wohnten in einem Gebiet, das zwar nördlich Thrakiens lag, das aber später unter dem Sammelbegriff "Thrakien" mit dem dem Gott Ares (= Araxes, später auch Assarakos) gehörenden Thrakien zusammengefasst wurde. Kain-Doros-Ares war der Stammvater sowohl der Dorer als auch der Meder. Da es für diesen Sohn des Adam-Zeus I kein Pendant unter Adam-Zeus II gab, mussten die AT-Redakteure Tubal-Kain auch an den letzteren als Sohn anhängen, und die Griechen mussten einen medischen König nachträglich zum Kriegsgott Ares machen: Kyaxares = Assarakos. Dazu später mehr.

Als Sohn des Charops gilt zunächst nur Oi-Agros, der Vater des Orpheus. Ich sehe aber keinen Grund, den ähnlich klingenden Namen Oi-Mubal, woraus die Namen Eumolpos und Eopalamos entstanden sein können, nicht mit einem Bruder des Oiagros zu verbinden. Metiadusa, die spätere Athena-Gorgomedusa, war die Tochter des Eopalamos = Oi-Mubal. Sie gab einer Tochter, die vermutlich von Orion stammte, den Namen Muballitsat. Diese heiratete Perseus, und von ihr stammte die Enkelin Muballitsat-Scherua ab, die als Tochter des Sin-Muballit und Schwester des Abraham mit dessen Schwestergemahlin Sarah identisch sein kann und die Mutter des Karaindasch war. Sin-Muballit, den Sohn von Apil-Sin, hatte ich schon mit Salach, dem Sohn des Perseus und Vater Abra(ha)ms, identifiziert.

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|                   Die Medische Linie                   |
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THIRAS-THRAX (dieser Name ist als Personenname fiktiv)
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ADAM-ZEUS I  = ILUSCHUMA (* 335 ndFl)
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KAIN-HEPHAISTOS = ARES I (* ca. 380 ndFl)  ABEL-JAPETOS =
|                                          CHALDI-IRAD  =
|                                          NABU-NAHOR   =
HENOCH-MADAI = GANYMED   (* ca. 405 ndFl)  IRISCHUM
|                    |                     (*ca. 365 ndFl)
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CHAROPS              SELENE  oo   PROMETHEUS
| (* ca. 428 ndFl)   (* ca. 430)  | (* ca. 395 ndFl)
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SKAMANDROS                        ZEUS-ERECHTHONIOS
| (* ca. 470 ndFl)                | (* 444 ndFl)
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Kalirrhoë-------- oo -------------TROS
  (* ca. 510 ndFl)                | (* ca. 480 ndFl)
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ASSARAKOS-ARAXES-KYAXARES = SCHAUSCH-SCHATTAR = ARES II
  (* ca. 525 ndFl)
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Orpheus, der Sohn des Oiagros, gilt als der Einiger Thrakiens und Makedoniens. Er ist identisch mit Amphitryon und Amphiaraos. Aus dem letztgenannten Namen kann Phrygos, der Name des Stammvaters der Phryger, entstanden sein. Die Makedonen gelten auch als Thrako-Phryger. Daraus ist zu entnehmen, dass Makedonen, Thraker und Phryger letztlich dieselbe Völkerschaft unter verschiedenen Namen sind. Die von Orpheus-Phrygos politisch unter einem Dach vereinten Teilvölker, nämlich sowohl die auf europäischem Boden wohnenden Thraker oder Bryger, als auch die auf kleinasiatischer Seite lebenden Mygdonen, Mager (von Magog, einem Sohn des Japhet) oder Muski (vgl. Muskai-Moscher, von Mas[ch] abgeleitet, einem anderen Sohn des Japhet) waren sowohl Phryger als auch Makedonen. Das wird in einem späteren Kapitel noch deutlicher.

Das Gegenstück zu der so genannten "phrygischen Wanderung", also der Eroberung Kleinasiens durch die von Thrakien her über den Bosporus kommenden Bryger oder Phryger, ist die so genannte "makedonische Wanderung" von Kleinasien aus nach Europa, nach dem heutigen Makedonien. Ursprünglich lag das Gebiet der Mygdonen im Herzen Anatoliens! In Wirklichkeit hat es demnach eine "Völkerwanderung" in der einen oder in der anderen Richtung überhaupt nicht gegeben. Es handelte sich bestenfalls um Residenzwechsel einzelner Könige oder Herrscherfamilien innerhalb des Stammesgebietes.

Man erkennt, dass die Völker wegen der übergreifenden Eheschließungen innerhalb ihrer Oberschichten und wegen der häufigen Residenzwechsel ihrer Oberhäupter nach einigen Generationen nicht mehr scharf zu trennen sind. Überhaupt ist es angebracht, mehr von Dynastien oder Familien zu reden als von Völkern. Da hier aber schon im Altertum viele Fehler gemacht worden sind, die auf eben diese besprochenen Unklarheiten zurückzuführen sind, werde ich auch noch an anderen Stellen ähnliche Korrekturen vornehmen müssen.

Im Mänadenzuge des Charops befand sich aber auch dessen jüngerer Sohn Skamandros (Ska-MAND-ros), der seine Residenz noch auf anatolischer Seite einrichtete. Er scheint in der Troas, der Ebene des Skamandros-Flusses, die Stadt Troja gegründet zu haben. Diese Stadt kann ihren Namen jedoch ebensogut auch von Tros erhalten haben, dem Sohn von Erechthonios-Zeus-Pusarummas und von Astyoche-Zilla-Leto-Ischtar. In dieser Dynastie, den so genannten Dardaniden, gibt es noch viele Unklarheiten. Tros und Kalirrhoë, die Tochter des Skamandros, waren der griechischen Überlieferung nach die Eltern von Ilos, der ebenfalls als Namensgeber von Ilion-Troja in Frage kommt und den ich von diesem Paar loslöse und mit Perseus identifiziere, wie ich an anderer Stelle deutlich machen werde.

Der Überlieferung folgend halte ich Tros und Kalirrhoë für die Eltern des Stammvaters der spätmedischen bzw. jener mitannischen Dynastie, die konventionell für älter als die medische angesehen wird; aber der Sohn Assarakos dieses Paares war sowohl der Meder Kyaxares als auch der Mitannikönig Schausch-Schattar. Kyaxares war unter dem Namen Ares mit Aphrodite und als Assarakos mit Hiero-mne-me verheiratet. Aus dem letztgenannten Namen entstand der Name der römischen Göttin M(i)nerva, die der griechischen Aphrodite entspricht. Assarakos, der Sohn von Tros und Kalirrhoë, kann kaum früher als 525 ndFl geboren sein. Die Geschichte der Meder, die sich von Kyaxares an mit der mitannischen Geschichte deckt, werde ich jedoch erst in einem späteren Kapitel besprechen. Wir wenden uns zunächst wieder den auf griechischem Boden lebenden Karern zu.

Außer Kekrops werden noch andere Könige der Palaichthonen (= "Alterdige"; griech. palaios = alt und chthon = Erde) genannt; bei ihnen handelt es sich um die karische Urbevölkerung, die auch als Erechthonioi, also "Erdgeborene", bezeichnet werden können. Zu ihnen gehört zweifelsfrei jener Lynkeus von Argos, der mit seinen (100!) "Argusaugen" zum Wächter oder Türmer wie geschaffen war; deshalb lässt Goethe ihn im zweiten Teil seines Faust auch sagen:

Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt,
dem Turme geschworen, gefällt mir die Welt.

Niemand anderer als der argusäugige Lynkeus ist jener hundertäugige Argos, der von Hera zum Bewacher der von ihr in eine Kuh verwandelten Io auserlesen wurde. Er ist in Wirklichkeit der rundäugige "Kyklop" oder Karer, der König von Argos, der später von Hermes getötet werden wird - allerdings nicht im Auftrage des Zeus, wie überliefert wird.

Vor ihrer Abreise mit Aktaion-Orion verheiratete Metiadusa von Athen ihre um 504 ndFl geborene Tochter Hypermnestra mit Lynkeus von Argos, dem diese die aus einem anderen Zusammenhang besser bekannten Kinder Iphigenie, Orest und Elektra schenkte (geboren zwischen 520 und 523 ndFl). Dass diese später an Agamemnon und eine Frau angehängt wurden, die einen sehr ähnlichen Namen hatte wie die Mutter dieser drei, nämlich Klytämnestra, ist dichterische Freiheit. Ich halte diesen letztgenannten Namen ohnehin für ein reines Phantasieprodukt, wie ich an anderer Stelle zeigen werde.

Es war demnach der Menschenopfer gewohnte Karer Lynkeus, der seine Tochter Iphigenie opfern wollte. Zu einem Arier wie Agamemnon, für den Menschenopfer überhaupt kein Thema waren und der zudem in einer aufgeklärten Zeit lebte, hat diese Passage in der Überlieferung vom Trojanischen Krieg ohnehin noch nie gepasst. Hermes tötete "Argos" Lynkeus, weil er diesen nicht anders daran hindern konnte, seine eigene Tochter zu schlachten. Dem Hermes-Sohn Apis wurde nachgesagt, dass er sich als "Heiland" (griech. = soter) erwiesen habe, indem er das "menschenverzehrende Drachengeschlecht" auf der Peloponnes ausgetilgt habe. Ich sehe hierin ebenfalls Bemühungen, mit der Unsitte der Menschenopfer aufzuräumen.

Es bestehen auch keinerlei Zweifel bei der Zuordnung des anderen Königs auf der Peloponnes, des Xuthos, zu den Karern; denn die Endung "-(n)thos" wie in Korinthos, Hyakinthos oder Erymanthos (Fluss und Gebirge auf der Peloponnes) ist karisch. Seine Gattin, die irrtümlich als Mutter des Hermes-Sohnes (De-)Ion(-eus) angesehene Kreusa, war dagegen von arischer Herkunft. Sie gilt als die Tochter des Erechthonios, also des in einer Erdhöhle geborenen Zeus (II, Pusarummas). Die Ehe zwischen Xuthos und Kreusa wurde zu derselben Zeit (503/4) und bei der gleichen Gelegenheit geschlossen, als Metiadusa mit Kekrops verheiratet wurde.

Kreusa war weder die Mutter Ma des Sabazios-Bakchos, noch war sie Semele (= Se-Ma-le ?), die Mutter des Pan-Dionysos (= De-Ion-eus). Semele war mit Zeus verheiratet, so dass die Beziehung zwischen Semele und Hermes das Vorbild für die Enterbung Rubens abgegeben haben kann, der mit Bilcha, der Frau seines Vaters Jakob, Ehebruch beging. Der Name Bilcha bedeutet zwar nicht "Königin" (hebr. "milka"), kann aber aus Milka verfälscht worden sein, um zu einer Magd zu passen. Zu einer Gemahlin des Königs Pusarummas würde der Name Se-mele in der Form Mil-ka (= "Königin") oder einfach nur M(ilk)a durchaus passen.

Semele kann bei der Geburt des Knaben gestorben sein, sie kann aber auch von Zeus mit dem Tode bestraft worden sein, der dann den mutterlosen Dionysos in die Obhut seiner jungen Tochter Kreusa gab, die ihn aufzog und später mit ihm nach Hellas ging. Dass Zeus mit Semele verheiratet war und den Dionysos-Knaben aufzog, geht mit der Überlieferung zum Teil konform. An anderer Stelle heißt es aber auch, Zeus habe seinen Sohn Dionysos, nachdem dessen Mutter Semele gestorben war, dem Hermes gegeben, damit dieser ihn aufzöge. Dem herangewachsenen Dionysos gab Zeus vermutlich noch in der Heimat seine um etwa 485 ndFl geborene Schwägerin Zeuxippe zur Frau, die wie seine eigene Gemahlin Pasithea als Najade bezeichnet wird, womit eine Tochter Poseidons gemeint ist. Pa-Sith-ea ist eine weibliche Namensform von Seth; folglich kann dieser Name auch Asterie gelesen werden, da sitareh und aster gleichbedeutend sind (= Stern). Asterie, die Mutter der Hekate-Artemis, war bekanntlich die Poseidon-Tochter Leto, die mit Zeus (II) = Perses- Erechthonios verheiratet war. Zeuxippe scheint demnach die jüngere Schwester der Pasithea-Leto gewesen zu sein.

Von Pandion und Zeuxippe stammt in der Mythologie ein weiterer Erechthonios, König von Athen, ab, der mit Praxithea verheiratet gewesen sein soll. Ich sehe hierin eine von den Dichtern gestiftete Verwirrung, da meines Erachtens Praxithea mit Athena-Metiadusa und der zweite Erechthonios mit Kekrops identisch ist, obwohl unter den Kindern des zweiten Erechthonios Oreithya erscheint, die ich schon mit Diana-Danae-Naema bzw. Artemis-Hekate identifiziert habe. Kreusa wird ebenfalls als Tochter dieses zweiten Erechthonios gesehen. Entstanden ist die Verwirrung dadurch, dass der Karer Kekrops zum Sohn des Erechthonios und Vater des Pandion gemacht wurde. Letzterer taucht daher auch als Enkel des zweiten Erechthonios zum zweitenmal auf, diesmal als Gemahl der Pelia von Megara. Diese Frau heiratete Pan- Dionysos später in Athen.

Dionysos nahm Kreusa mit nach Hellas, wo er zunächst von ihr getrennt wurde, da Minos (= Minyas-Echion, Menoikeos) ihn auf der Insel Naxos mit seiner Tochter Ariadne verheiratete. Nachdem die Mänaden die Minyer in Hellas unterworfen hatten, wurden die besagten Eheschließungen mit den karischen Herrschern vorgenommen, durch die Kreusa dann zu Xuthos auf die Peloponnes kam. Sie gebar dort die Tochter Diomede, die bei der Rückkehr des Dionysos zur Frau herangereift war, so dass sie dessen Gemahlin werden konnte. Daher kann Kreusa nicht die leibliche Mutter des Ion, also des Pan-Dionysos bzw. des Deïoneus, gewesen sein. Sie, die seine Tante war, wurde auch seine Schwiegermutter. Xuthos, ihr Gemahl, regierte in Amyklai, der Keimzelle des späteren Sparta. Hier fand offenbar auch die Eheschließung von Dionysos-Deïoneus und Demeter-Diomede statt.

Dionysos ließ auf Naxos seine Frau Ariadne zurück, falls sie noch nicht gestorben sein sollte. Von ihr hatte er die drei Söhne Oinopion, Staphylos und Euanthes, die jedoch im Hinblick auf ihre weinbezogenen Namen rein mythologischen Charakter haben können. Ob ihre Namen aus dem Namen Butes entwickelt worden sind, den ein Sohn von Pandion (= Dionysos) und Zeuxippe getragen haben soll, ist spekulativ. Es ist meines Erachtens näherliegend, in Butes den einzigen Spross aus der Ehe des Dionysos mit Zeuxippe zu sehen.

Die Sage berichtet, dass der thrakische König Lykurgos dem jugendlichen Dionysos und seinen Wärterinnen (Kreusa und Zeuxippe könnten hiermit gemeint sein) mit der Doppelaxt (labrys) nachstellte, so dass der göttliche Knabe ins Meer flüchten und bei Thetis Schutz suchen musste3. Den allen Göttern verhassten Lykurgos habe Zeus daraufhin geblendet, und kurz darauf sei er gestorben. Dasselbe Schicksal könnte auch Zeuxippe ereilt haben, deren Sohn Butes natürlich überlebt haben muss. Der kam mit dem Vater um etwa 518/519 ndFl nach Hellas. Später nahm er den Namen Oinomaos an und wohnte zuletzt im elischen Pisa auf der Peloponnes. Es ließe sich aus seinem Zweitnamen ableiten, dass er ein Sohn der Ariadne war, möglicherweise Oinopion; doch das bleibt Spekulation. Oinomaos wird uns aber noch beschäftigen.

Die meisten und bedeutendsten Kinder aber hatte Dionysos von Demeter. Dieses Götterpaar symbolisierte die Fruchtbarkeit in allen Bereichen der Natur. Herausragend unter den Kindern dieses Paares war die Tochter Thea oder Dia, die später den Namen Persephone (oder Proserpina) bekam. Auch mit ihr werden wir uns noch befassen müssen.

Von Amyklai ging Pan-Dionysos alsbald nach Athen, wo er als König Pandion von Athen die Statthalterschaft seines kretisch-minoischen Oberhauptes Minos-Minyas-Kretheus antrat. Von hier aus regierte er folglich auch über Theben, das seit der Vertreibung des Orpheus-Amphiaraos-Amphitryon unter der Herrschaft des Minos-Sohnes Pentheus gestanden hatte, den die Sage als Sohn des Echion (= Minyas-Echion bzw. Menoikeos) bezeichnet. Da dieser offenbar ein Freund (seines Onkels) Orion-Aktaion gewesen war, der ihn hier eingesetzt haben müsste, kam es zwischen ihm und Dionysos zu dem in der Sage ausgeschmückten Kampf, den ich schon bei der ersten Erwähnung beider Herren andeutete, der aber ebensogut erst jetzt stattgefunden haben kann. Es kann natürlich bei beiden Gelegenheiten Auseinandersetzungen zwischen Dionysos und Pentheus gegeben haben. In einem Atemzug mit der Kontroverse zwischen Dionysos und Pentheus werden zwei weitere erwähnt: die mit Proitos von Argos, der als Vater und Vorgänger des Lynkeus-Argos angesehen werden kann, und die mit den "nüchtern-arbeitssamen" Töchtern des Minyas, also des Minos, im minyeïsch-boiotischen Orchomenos 4 .

Man kann hieran sehen, dass die Ablösung des Orion durch Dionysos nicht überall auf Gegenliebe stieß.

Pan-Dionysos setzte in Theben den Bruder des Pentheus und der Epiokaste ein: Kreon, den Sohn des Menoikeos (= Minos, Minyas-Echion). Ermutigt durch die rundum veränderten Verhältnisse sann Orpheus-Amphiaroas-Amphitryon auf seine Rückkehr nach Theben, das ihm von seinem siegreichen Vater Oiagros oder von seinem Großvater, dem Mänaden Charops, übergeben worden war. Die sich aus dieser geplanten Rückkehr ergebenden Schwierigkeiten hielten über zehn Jahre an und werden uns noch ausführlich beschäftigen. Lassen wir zunächst aber die Sage zu Wort kommen.

Die Oidipos-Sage ist eine Entstellung der Geschichte. Wir müssen uns damit abfinden, dass Oidipos nicht seine Mutter heiratete, dass er aber sehr wohl seinen Vater Laios tötete, nämlich den "Sorgenlöser" Dionysos-Lyaios, den er nie als Vater kennengelernt noch angesehen hatte. Die in der Sage dem Kreon zugeschriebene Ausschreibung des Thrones von Theben, der durch den Tod seines Inhabers Laios frei geworden war, ist wenig glaubhaft. Als Bruder der Epikaste oder Jokaste wäre Kreon zumindest als Usurpator ein glaubhafter Thronfolger gewesen und hätte nicht an einen wildfremden den Thron übergeben müssen.

Wenn dieser Fremde die Stadt tatsächlich von der Sphinx befreit hätte, also von einer ägyptischen Oberhoheit, dann wäre eine Belohnung angebracht gewesen; da aber Kreon der von Dionysos-Laios eingesetzte minoische Statthalter und Throninhaber war, so konnte er kaum den Thron einer fremden Macht an einen Gegner der Minoer vergeben. Oidipos musste sich den Thron von Theben mit militärischer Gewalt holen. Die sagenhaften Konstruktionen lassen lediglich den Zweck erkennen, Oidipos nach dem Tode seines Vaters Laios- Dionysos auf den Thron in einer Stadt zu bringen, in der dieser höchstens einige Monate König gewesen war. Seine Mutter Epiokaste war schon längst tot; sie war bereits bei seiner Geburt gestorben!

Sowenig der Sohn wissen konnte, wer sein richtiger Vater war, sowenig konnte Dionysos wissen, dass der vermeintliche Sohn des von Orion vertriebenen Orpheus-Amphiaraos- Amphitryon in Wirklichkeit sein eigener war. Durch seine Deportation nach Naxos war er der Beobachtung der weiteren Entwicklung in Hellas entzogen worden. Irgend jemand wusste aber von dieser Vaterschaft, sonst würden wir heute nicht davon wissen können. Der exakte Ereignisablauf wurde durch die Dichter jedoch verzerrt.

Bereits im Jahre 1 der griechischen Geschichte, als die Mänaden in Hellas einfielen und Dionysos mit der Minos-Tochter (Epi-)Jokaste den Sohn Oidipos zeugte, nahm dieser Ereignisablauf seinen Anfang. Epikaste heiratete Orpheus, den Sohn des Oiagros, und starb bei der Geburt des Knaben, der dann später in Orpheus-Amphiaraos-Amphitryon seinen Vater sah. Dieser heiratete, nachdem er seine Trauer um die verlorene Gattin "Eurydike" (in Wirklichkeit Epikaste) überwunden hatte, Eriphyle von Sekyon und regierte bis zum Einfall der Titanen in Hellas über Theben (507 ndFl).

Orion-Aktaion von Orchomenos, der Residenz- und Hafenstadt der Minyer, vertrieb Amphitryon aus Theben und setzte seinen Neffen und Schwager Pentheus hier ein, den wiederum Dionysos nach seiner Amtsübernahme im Jahre 519 ndFl durch dessen Bruder Kreon ablöste. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass Kreon schon unter Orion-Aktaion seinen Bruder Pentheus ablöste. Die Überlieferung lässt diese Möglichkeit offen.

Bevor wir die Rehistorifizierung der genannten Sagenkreise vornehmen, muss ich diese erst einmal in ihren wichtigsten Details wiedergeben:

Oidipos bekam von Jokaste die Söhne Eteokles und Polyneikes sowie die Töchter Antigone und Ismene. Nach einer anderen Version der Sage stammen diese Kinder jedoch von einer Frau mit Namen Euryganeia. Diese Frau hatte Oidipos geheiratet, nachdem die Götter seine beiden Frevel (Vatermord und Mutter-Heirat) offenbart, er selbst sich daraufhin geblendet und (Epi-)Jokaste Hand an sich selbst gelegt hatte. Dann soll der blinde Oidipos in die Fremde gegangen sein. Weder das jüngere Epos noch die Tragiker erwähnen eine zweite Ehe des Oidipos. Wie ich zeigen werde, ist die angebliche zweite Ehe eine historisch echte, während die Ehe mit Epi- bzw. Jokaste, seiner längst verstorbenen Mutter, eine absichtliche Verwechslung durch die Dichter ist.

Die vier genannten Kinder stammen aus der Ehe eines späteren "Oidipos", der gar nicht seine Mutter sondern seine Stiefmutter geheiratet und vermutlich seinen Vater ganz bewusst getötet hatte. Mehr werde ich jetzt dazu noch nicht verraten. Bei den jüngeren Dichtern kommt die Schuld des Oidipos erst durch eine von den Göttern gesandte Pest an den Tag. Der Zusammenhang zwischen Schuld und Pest wird durch den Seher Teiresias verkündet. Vermutlich handelt es sich bei dieser Pest um dieselbe, die zur Zeit des späteren Oidipos im ganzen Vorderen Orient grassierte.

Bezeichnend für die Spaltung des Oidipos-Stoffes ist auch die zweifache Angabe zu dem Ort seines Ablebens. Einmal stirbt er in Theben, was zu Oidipos II passt, ein andermal stirbt er in einem Semnai-Heiligtum zu Kolonos bei Athen, wohin er unter den Schutz des Theseus geflohen war (nach attischer Darstellung; vgl. H. Steuding). Dies kann nur den hochbetagten Oidipos I betreffen.

Nach dem Tode des Oidipos, so berichtet die Sage, stritten sich seine Söhne Eteokles und Polyneikes um die Nachfolge. Es gelang Eteokles, seinen Bruder zu vertreiben und König von Theben zu werden. Eteokles gehört vermutlich in die Zeit des Trojanischen Krieges. Er ist sehr wahrscheinlich Eëtion von Theben, der Vater der Andromache, der Gemahlin des Priamos-Sohnes Hektor. Polyneikes ging nach Argos und heiratete Angeia, die Tochter des dortigen Königs Adrastos. Nun aber stellt die Sage die Ereignisfolge in der Hauptsache auf den Kopf:

Sie lässt den älteren Amphiaraos mit dem Sohn des Oidipos und weiteren fünf Verbündeten gegen Theben ziehen (Sage vom Zug der Sieben gegen Theben). Durch diesen Trick sollen die Söhne der Helden dieses Zuges, die zehn Jahre später ebenfalls einen Zug gegen Theben unternehmen werden (Sage vom Epigonenzug), den ein Oidipos-Enkel angeführt haben soll, von dem wirklichen Anführer dieses zweiten Zuges, von Oidipos, abgetrennt werden. Wenn nämlich der Sage zufolge Oidipos in Theben stirbt, seine Söhne gegeneinander Krieg führen und Kreon plötzlich wieder in Theben regiert, der seinerzeit dem Oidipos den Thron von Theben samt der Schwester Epikaste übergab, dann kann die Sage verständlicherweise nicht glaubhaft machen, dass der Anführer des Epigonenzuges immer noch Oidipos ist.

Von Argos aus organisierte Polyneikes bald nach seiner Vertreibung aus Theben mit seinem Schwiegervater Adrastos einen Feldzug gegen Theben, an dem - wie gesagt - sieben Helden teilnahmen:

Polyneikes, der eigentliche Geschädigte,
Adrastos, sein Schwiegervater, König von Argos und Sekyon (bei Korinth),
Hippomedon,
Parthenopaios,
Kapaneus
der "Gewaltige"
)
) drei Brüder des Adrastos,
)
Tydeus von Aitolien, Sohn des Oineus von Kalydon (in Aitolien), Schwager des Adrastos,
Amphiaraos, der tapfere Seher, der seinen eigenen Tod voraussieht.

Die Brüder Eteokles und Polyneikes töten sich gegenseitig im Zweikampf, auch die anderen Helden kommen zu Tode mit Ausnahme des Adrastos. Besonders spektakulär ist die Fahrt des Amphiaraos in die Unterwelt, die direkt an Orpheus erinnert, mit dem er identisch ist. So wurde an der Stelle, an der Amphiaraos in die Unterwelt entschwand, ein Traumorakel errichtet wie es auch die Orpheus-Sage erkennen lässt. Des Amphiaraos Sohn mit Eriphyle heißt ähnlich wie der Sohn des Amphitryon mit Alkmene, nämlich Alkmaion. Dieser Name klingt an Alkaios an, welcher Name zu Herakles gehört, dem angeblichen Sohn von (Zeus in der Gestalt des) Amphitryon und tatsächlichen Sohn der Alkmene, die aber in ihrem ganzen Leben nicht im griechischen Theben war. Die ganze Geschichte um den Zug der Sieben gegen Theben ist ein einziger Anachronismus. Die meisten der angeblichen Beteiligten haben an anderen Kämpfen, teilweise auch um Theben, teilgenommen. Die Wirklichkeit des Siebenzuges sah folgendermaßen aus:

Amphiaraos, ehemaliger Herrscher Orpheus-Amphitryon von Theben und Gatte der Eurydike-Epiokaste, jetzt verheiratet mit Eriphyle von Sekyon, befindet sich seit 507 ndFl in Sekyon im Exil. Im Jahre 519 ndFl, in welchem Dionysos die Nachfolge des Orion-Aktaion als minoischer Statthalter von Hellas antritt, hält er die Zeit für gekommen, sich um die Rückgewinnung der Stadt Theben zu bemühen. Die Expedition, an der außer ihm keine der oben angeführten Personen teilgenommen haben kann, endet mit seiner Niederlage und mit seinem Tod (519 ndFl). Er versinkt, wie die Sage meldet, in einer Erdspalte.

In Wirklichkeit spielt sich nun das ab, was die Tragödiendichter später mit Antigone und ihrem Bruder Polyneikes verbunden haben, die aber beide in der in Rede stehenden Zeit noch nicht leben, da sie die Kinder des Oidipos II sind. Es ergäbe ja auch wenig Sinn, wenn Kreon, der schon im ersten Teil der Oidipos-Sage eine unbefriedigende Rolle spielte, in dieser Situation der Antiogone die Bestattung ihres Bruders Polyneikes verböte. Er untersagte natürlich - und das ergibt hier einzig Sinn - Eriphyle die Bestattung ihres Gatten Orpheus-Amphiaraos-Amphitryon, den sie dann aber doch noch in einer Erdspalte verbergen und mit Erde bedecken konnte, wie es für die Griechen geradezu zwanghaft war. Sie zahlte dafür mit dem Leben.

Die späteren Dichter übertrugen diesen großartigen Stoff auf die große Familie ihrer Zeit, auf das makedonische Königshaus, das sich auf den zweiten Oidipos zurückführen konnte, der der Vater von Ismenias und der Stiefvater von Antigonos (Monophthalmos) war und der in der Mitte des siebten nachsintflutlichen Jahrhunderts lebte. Aischylos und Sophokles, die sich dieses historischen Vorwurfs annahmen, lebten weitere hundert Jahre später. Sie aktualisierten die Frühgeschichte Griechenlands, indem sie Vorfälle aus der in Rede stehenden Zeit in eine spätere transferierten, allerdings, und das hatte einen guten Grund, nie in ihre eigene Gegenwart. Sie brachten vielmehr diese weit zurückliegenden Ereignisse mit jüngeren Vorfahren ihrer Mäzene in Verbindung, besonders wenn es sich um mit Theben, Makedonien, Thrakien oder Phrygien verbundenes Geschehen handelte, da diese Mäzene allesamt dem makedonischen Königsgeschlecht entstammten. Hier ist an erster Stelle zu nennen der makedonische König Alexander Philhellen. Darauf kann ich hier aber noch nicht eingehen.

Ähnlich verfuhren die Dichter mit den Kindern des Lynkeus, allerdings in umgekehrter Richtung. Diese verbanden sie mit dem historisch jüngeren Agamemnon, der im Trojanischen Krieg mitgekämpft hatte. Auch hierauf kann an dieser Stelle noch nicht weiter eingegangen werden.

Durch diese Zer(r)dichtungen brachten die gefeierten Dichter die Geschichte Griechenlands so nachhaltig durcheinander, dass bis zu ihrer Wiederauferstehung in diesem Buch keine genaue, brauchbare Rekonstruktion der Frühgeschichte Griechenlands möglich war. Zum Glück bedeuteten den alten Griechen schöne Geschichten mehr als die genaue Kenntnis ihrer Geschichte, so dass sie es nicht als Manko empfanden, keine detailgetreue Vergangenheitsbeschreibung vorlegen zu können.

Wir werden beim Betrachten der wirklichen griechischen Geschichte weitere Beispiele dafür kennenlernen, dass die wunderschönen Werke der Epiker und Tragödiendichter opportunistische Verfälschungen der historischen Wahrheit sind. Es versteht sich, dass es nur in einer weitgehend berichtigten Chronologie möglich ist, diese Dichtung wieder in historische Wahrheit zurückzuverwandeln.

So werden auch die Namen der am Siebenzug gegen Theben beteiligten Helden in anderen Zusammenhängen wieder auftauchen. Lediglich Amphiaraos und seine Frau Eriphyle, die eine Tochter des Polybos von Sekyon gewesen sein könnte, gehören in diesen Konflikt. Polybos von Sekyon gilt als der Erzieher des jungen Oidipos, der ja bekanntlich - das ist der eigentliche Beginn der Oidipos-Sage - von seinem Vater im wilden Kithairon-Gebirge mit durchstochenen Füßen (daher sein Name: oidipos = Wundfuß) ausgesetzt, von einem Hirten gefunden und zu Polybos gebracht wurde, der ihm den Namen gab und ihn aufzog. Die diversen Orakelsprüche aus Delphi, die im Zusammenhang mit der Oidipos-Sage zitiert werden, sind blanker Hohn; denn zur Zeit des Oidipos I bestand diese Einrichtung noch gar nicht.

Die Bezeichnung "Wundfuß" oder auch "Schwellfuß" bezieht sich meines Erachtens auf den späteren Oidipos, da dieser auch der "Einschuhmann" gewesen zu sein scheint, vor dem sich Pelias, der auch mit Peleus identisch ist, in Acht nehmen soll. Pelias-Peleus ist - analog zu Polybos - der Onkel des späteren Oidipos, der seinen Vater ermordete und dessen zweite Frau heiratete. Oidipos II hieß Jason und war Herrscher von Pherai in Thessalien. Mehr werde ich an dieser Stelle dazu noch nicht aufdecken.

Da Oidipos I keinen "wunden Fuß" gehabt zu haben braucht, war sein richtiger Name natürlich nicht Oidipos. Sein Name machte es den Dichtern indes sehr leicht, daraus Oidipos zu machern: Eurypos bzw. Eurytos war der richtige Name des angeblichen "Wundfußes". Von Sekyon aus unternahm der zum jungen Mann gewordene Eurypos bzw. Eurytos zehn Jahre später, also im Jahre 529 ndFl, den so genannten Epigonenzug, der von der Sage mit seinen Enkeln bzw. mit den Söhnen der angeblich am Siebenzug beteiligten Helden verbunden wird. In der Dichtung ist der Sohn des Amphiaraos der Anführer dieses Zuges, was ja den Tatsachen insofern entspricht, als Oidipos-Eurypos dessen Stiefsohn war. Der Name des Sohnes von Amphiaraos war - wie ich oben schon sagte - Alkmaion.

Die Unlogik der Sage erweist sich einmal mehr an folgender Konstruktion: Wenn Alkmaion der Anführer des Epigonenzuges war, warum kam dann in der Sage Thersandros, der Sohn des Polyneikes, des Sohnes des Oidipos, auf den Thron, dessen Name auffallend an Aleksandros (= Alexandros) anklingt? Hier spricht vieles dafür, dass die ganze Geschichte auf die makedonische Dynastie hingebogen worden ist, wie ich zu gegebener Zeit zeigen werde.

Die historisch verifizierte Version des Epigonenzuges müsste wie folgt aussehen: Oidipos-Eurypos führte seine Bundesgenossen gegen Theben, wo immer noch Kreon oder auch schon dessen Sohn Haimon regierte. Der Tod des Kreon könnte der Auslöser des Zuges gerade zu diesem Zeitpunkt gewesen sein. Dem Herrscher von Theben kam verständlicherweise der minoische Oberstatthalter Dionysos von Athen zu Hilfe, was er auch schon zehn Jahre zuvor beim Siebenzug getan haben dürfte.

Diesmal hatten die Angreifer aber die Gunst der Götter. Oidipos besiegte das minyeïsche Heer des Pandion und tötete diesen im Kampf. Er wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, dass er seinen Vater (Pan-Dionysos-)L(y)aios getötet hatte. Die Thebaner liefen vermutlich zu ihm über und töteten ihren Anführer. Dies geschah mit großer Wahrscheinlichkeit in demselben Jahr 529 ndFl, in dem auch die Uhr des Orion- Aktaion = Tirigan abgelaufen war. Oidipos-Eurypos-Eurytos war nun rechtmäßiger König von Theben, als welcher er noch viel von sich reden machen wird.

Durch seinen Sieg über das Heer der Minoer hatte Oidipos diesen eine empfindliche Schlappe beigebracht, was daran zu ermessen ist, dass die Kreter keinen adäquaten Statthalter, der mit Dionysos vergleichbar gewesen wäre, nach Athen schickten. Sie setzten hier den etwas "blassen" Sohn des Pan-Dionysos auf den Thron, den oben schon erwähnten Butes. Minos war um diese Zeit vermutlich mit einer Reihe anderer Probleme beschäftigt (Ägypten; Daidalos; aufkommende dorische Konkurrenz im westlichen Mittelmeer). Er war mittlerweile 66 Jahre alt geworden; im nächsten Jahr wird er sterben.

Demeter-Diomede, die Witwe des Dionysos, könnte nach Kreta gefahren sein; denn erstens geht ihr Kretaaufenthalt aus der Sage hervor, und zweitens kann Butes, der ja nur ihr Stiefsohn war, ihr diese Reise nahegelegt haben, damit sie ihn nicht bevormunden konnte. Möglicherweise reiste die "Göttin" aber erst nach dem Tode des Minos nach Kreta.

Wie oben schon gesagt wurde, war Oidipos-Eurypos mit Euryganeia verheiratet, in der ich aber Iphiganeia, die Tochter von Lynkeus und Hypermnestra, erkenne. So war der in Sekyon aufgewachsene Knabe doch noch zu einem Schwiegervater in Argos gekommen. Allerdings hieß der junge Mann sowenig Polyneikes wie sein Schwiegervater Adrastos hieß. Adrastos lebte erst viel später. Er wurde der Vater einer späteren Eurydike (III). "Eurydike I" war die auch Epikaste und Jokaste genannte erste Frau des Orpheus- Amphiaraos, Eurydike II war die zweite Tochter des Lynkeus und trug auch den Namen Elektra. Eurydike III wurde erst um 670 ndFl geboren.

Der Bruder von Eury-ganeia (= Iphigenie) und Eury-dike (= Elektra) hieß Eury-stheus oder Orest. Als Sohn von Amphitryon (und Alkmene) gilt in der Sage auch Iphikles, der Anomedusa heiratete, die ihm den Sohn Jolaos schenkte, der ein Gefährte des Herakles war. Aus den inzwischen bekannten Paaren

Oidipos und Euryganeia,
Eurytos und Iphiganeia (nicht als Paar überliefert),
Polyneikes und Angeia (statt Polyneikes: Oidipos!) und
Iphikles und Anomedusa (Enkelin der Gorgo-Medusa!)
 
lassen sich durch kreuzweises Vertauschen folgende identische Paare bilden:
 
Eury-tos und Eury-ganeia

Iphi-kles

und Iphi-ganeia und

Oidipos

und Angeia = Anomedusa.

Iphikles, der angebliche Sohn des Amphitryon, ist folglich mit Oidipos, dem angeblichen Sohn des Orpheus-Amphiaraos, ebenso identisch wie mit Eurytos, dem Vater des Iphites (= Jolaos!), und mit Eurypos, von dem sich die Eurypontiden herleiten. Sein richtiger Vater war Dionysos-L(y)aios.

Ano-Medusa weist mit ihrem Namen auf ihre Großmutter hin: Metiadusa. Ähnlich werden wir bei ihrer Schwester Elektra, die auch Chalko-Medusa heißt, einen Hinweis auf diese Abstammung finden. Hypermnestra, die Tochter der Metiadusa und Mutter der beiden "Medusa"-Töchter, wurde um 504 ndFl geboren, so dass ihre Ehe mit Lynkeus durchaus schon im Jahre 518/519 ndFl geschlossen werden konnte, in dem Metiadusa-Athena dem von Dionysos vertriebenen Aktaion-Orion ins Exil folgte.

Möglicherweise besiegte Dionysos auch den Herrscher von Argos und mutmaßlichen Vater des Lynkeus, Proitos, dessen Sohn Lynkeus er als Vasallen in Argos einsetzte, nachdem dieser mit der Athene-Tochter vermählt worden war. Spätestens im Jahre 520 ndFl sollte Iphigenie-Anomedusa, 521 ndFl sollte Orest und 523 ndFl Elektra-Eurydike geboren werden.

Iphigenie war nach altertümlicher Sitte frühestens im Jahre 532 ndFl heiratsfähig, so dass Oidipos bis zu seinem 28. Lebensjahr etwa warten musste, bis er sie zur Frau nehmen konnte. Dass er bis dahin Junggeselle geblieben war, ist zu bezweifeln. Vielleicht war er es, der die Tochter Megara des Kreon heiratete, da deren behauptete Ehe mit Herakles (* 539 ndFl) aus zeitlichen Gründen auszuschließen ist.

Wie ich gezeigt habe, lässt sich die griechische Sagenwelt und die Zer(r)dichtung der diversen Geschichtsentsteller sehr gut in Historie zurückverwandeln, wenn die Chronologie vorher berichtigt worden ist. Dasselbe gilt auch für die noch ausstehenden Besprechungen, zum Beispiel für die zu Hermes und Apis, die im nächsten Hellas-Kapitel an der Reihe sind.

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|              Das frühe Minoikum in Hellas              |
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Herrscher in Athen          geb.   gest.    Regierungszeit
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KEKROPS-ERECHTHONIOS        470    507        4??-507
METIADUSA-ATHENA            488    529        507-519
(PAN-)DIONYSOS-L(Y)AIOS     482    529        519-529
BUTES                       506    542        529-530
PALLAS                      504    561        530-561
AIGAIOS                     526    590        561-590
THESEUS                     561    625        590-625
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Herrscher in Theben         geb.   gest.    Regierungszeit
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LYKURGOS ("KADMOS")         420    503        488-503
DIONYSOS                    482    529        503-504
ORPHEUS-AMPHITRYON          480    519        504-507
PENTHEUS                    484    519        507-519
KREON                       486    529        519-529
OIDIPOS (EURYPOS, EURYTOS)  504               529-5??
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Herrscher in Orchomenos     geb.   gest.    Regierungszeit
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MINOS                       463    530        488-503
PENTHEUS                    484    519        503-507
ORION-AKTAION               470    529        507-519
*)                                            519-530
IXION                       490    545        530-545
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*) = Möglicherweise Butes; in dieser Zeit war der Sitz des minoischen Statthalters Pan-Dionysos = Pandion, des Vaters des Butes, in Athen.

Letzter Stand: 20. November 2012
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1 Der Autor des Polemos ton Peloponnesion kai Athenaion = Der Krieg der Peloponnesier und der Athener, womit der Peloponnesische Krieg gemeint ist (konv. 431-404 v.Chr.), bediente sich der Annalen des Feldherrn Thukydides, die dieser während des Krieges angelegt hatte, und erweiterte sie um die Vorgeschichte. Sein Name ist nicht bekannt; es kann sich bei ihm jedoch möglicherweise um Xenophon handeln.
2 Übersetzung von Helmuth Vretzka, Reclam-Ausgabe 1807.
3 Prof.Dr.Hermann Steuding, Griechische und römische Mythologie, Sammlung Göschen 1913
4 dito
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