Sechstes Buch: Das Olympische Zeitalter von 624 bis 642 ndFl

4. Kapitel:

Der Dorereinfall in Hellas und der Trojanische Krieg
(2. Teil)


Nachdem Aristomachos gestorben war, fiel es den Spartanern leicht, einen Nachfolger zu finden; denn Zeuxidamos war schon vor seinem Vater gestorben, und Aristodemos konnte ohne Probleme auf den Thron steigen. Das tatsächliche Problem ergab sich erst, als die Söhne der Dioskuren auf den Thron kommen wollten. Unglücklicherweise war nämlich auch dem Aristodemos kein langes Leben beschieden. Er starb nur wenige Jahre nach Bruder und Vater, vermutlich schon im Jahre 633 ndFl und hinterließ zwei minderjährige Söhne.

Im Jahre 628 ndFl dürfte Menelaos-Menion, der älteste Sohn des Atreus-Diaktorides, die Tochter Helena des "Tyndaros"-Aristomachos geheiratet haben. Diese Tochter bzw. ihr Ehemann übernahmen nach dem Tod des Aristodemos die Regierung in Sparta, und zwar - wie es scheint - vorgesehen für Lebenszeit. Sie bekamen außer ihrer (sagenhaften?) Tochter Hermione auch noch den Sohn Leon .In diese Situation platzte die Bombe aus Troja hinein12:

Ein Menschenalter danach (Eig.Anm.: nach den Frauenrauben) ... habe Alexandros, des Priamos Sohn, sich aus Hellas ein Weib durch Raub gewinnen wollen, denn er wusste wohl, dass er keine Buße entrichten werde, weil auch sie keine gezahlt hatten. Und als er die Helene geraubt hatte, hätten die Helenen beschlossen, zuerst Boten zu schicken, Helene zurückzuverlangen ...

Der allen Ilias-Kennern bekannte Helena-Räuber Paris heißt nun plötzlich Alexandros. Wie ist das zu verstehen?

Menelaos ist eine historische Figur. Herodot befasst sich eingehend mit ihm. Sein Wissen stammte aber mehr aus Ägypten als aus Sparta, und die ägyptischen Priester haben ihm erzählt, wie es damals Alexandros, Helena und Menelaos ergangen war, als Proteus13 in Ägypten herrschte:

In dem heiligen Bezirk des Proteus in Memphis steht auch ein Tempel, der "Tempel der fremden Aphrodite" heißt. Ich vermute, es ist ein Tempel der Helene, Tochter des Tyndaros, einerseits weil Helene bei Proteus gelebt hat, wie die Sage lehrt, die man mir erzählt hat, andererseits weil Helene den Beinamen "fremde Aphrodite" hat. Und bei allen anderen Tempel der Aphrodite fehlt dieser Beiname.14

Auf meine Frage nach der Helene erzählten mir nämlich die Priester folgendes. Als Alexandros in Sparta die Helene geraubt hatte, fuhr er mit ihr heimwärts. Im Ägäischen Meere aber verschlugen ihn Winde bis ins Ägyptische Meer, und da der Wind nicht nachließ, gelangte er bis an die ägyptische Küste und fuhr in den Nilarm, der jetzt der kanobische heißt, ein nach Taricheiai. Am Strand stand der Herakles-Tempel, der jetzt noch steht, ein Asyl für alle Sklaven, die ihren Herren entflohen und sich durch Anlegen der heiligen Zeichen dem Gotte weihten. Dieser Brauch besteht von den ältesten Zeiten bis zum heutigen Tage. Und einige Diener des Alexandros, die von diesem Asylrecht hörten, flüchteten sich in den Tempel, und den Gott um Schutz bittend klagten sie Alexandros an. Um ihn zu verderben, erzählten sie alles, den Raub der Helene und den Verrat an Menelaos. Und zwar trugen sie es den Priestern und dem Hüter jener Mündung des Nils vor, dessen Name Thonis war.15

Eilend sandte nun Thonis nach Memphis und ließ folgende Botschaft an Proteus ausrichten: "Ein Fremdling ist angekommen, seines Stammes ein Teukrer, der hat in Hellas eine Freveltat verübt. Seines Gastfreundes Weib hat er betört und ist nun mit ihr und mit vielen reichen Schätzen da, weil ihn der Sturm zu uns verschlagen hat. Sollen wir ihn ungestraft ziehen lassen oder ihm wegnehmen, was er mit sich führt?" Da sandte Proteus folgende Botschaft zurück: "Wer der Mann auch sein mag, wenn er sich an seinem Gastfreund vergangen hat, so nehmt ihn gefangen und führet ihn zu mir, damit ich höre, was er sagen mag."16

Als Thonis das hörte, nahm er Alexandros gefangen und hieß seine Schiffe vor Anker gehen. Ihn selber samt Helene und den Schätzen, dazu auch den Schützlingen führte er nach Memphis. Als alle vor dem König standen, fragte Proteus den Alexandros nach Namen und Herkunft. Jener zählte seine Vorfahren auf und nannte den Namen seines Heimatlandes, erzählte auch, woher er jetzt käme. Da fragte Proteus weiter, woher er denn Helene habe. Als Alexandros Ausflüchte machte und nicht die Wahrheit sagte, widersprachen ihm jene Flüchtlinge und erzählten ausführlich die schändliche Tat. Schließlich sprach Proteus mit folgenden Worten sein Urteil:

"Hielte ich es nicht für meine Pflicht, keinen Fremdling zu töten, der von den Stürmen verschlagen in mein Land kommt, so müsstest du büßen für dein Verbrechen an jenem Hellenen. ... Aber weil ich mich um keinen Preis an einem Fremden vergreifen will, so magst du ziehen. Das Weib und die Schätze jedoch lasse ich dir nicht, sondern bewahre sie deinem hellenischen Gastfreund auf, falls er zu mir kommen und sie holen will. ..."17

Herodot erzählt uns hier eine andere Version der bekannten Geschichte vom Raub der Helena. Ihm kommen sogar Zweifel an der Darstellung Homers:

So ist, wie die Priester mir erzählten, Helene zu Proteus nach Ägypten gelangt. Ich glaube, auch Homer hat diese Historie wohl gekannt, aber weil sie in sein Epos nicht so gut passte wie die andere Sage von der Helene, hat er sie absichtlich übergangen.

Trotzdem verrät er, dass sie ihm bekannt ist. Denn in der Ilias erzählt er - und widerspricht dem nirgends - von den Irrfahrten des Alexandros, dass er mit der geraubten Helene weithin verschlagen worden und auch nach Sidon in Phoinikien gekommen sei. Das erwähnt er in der Schilderung von Diomedes' Heldentaten, wo es folgendermaßen heißt:

Und da lagen gewirkte Gewänder, die Frauen aus Sidon webten und selbst der Held Alexandros, der göttliche,
brachte heim aus Sidon von seiner Fahrt durch die Wogen des Meeres, als er Helene hergeführt, die edelentsprossene.


In diesen Versen zeigt Homer, dass er von der Fahrt des Alexandros nach Ägypten Kunde hat. ...18

Der Kommentator meint an dieser Stelle:

"Wenn nach Herodot diese Stelle (Ilias VI, 289) bei Homer in dem Gesang, der die Heldentaten des Diomedes behandelt, vorkommt, so muss Herodot eine Homer-Ausgabe benutzt haben, die noch nicht die uns überlieferte Einteilung der einzelnen Gesänge besaß."

Wie ich weiter unten darlegen werde, stammt die uns wohlbekannte Form der Ilias nicht von Homer, sondern von einem späteren Dichter am makedonischen Hofe, der die Ur-Ilias des Homer auf die makedonische Königsfamilie hin aktualisierte. Diese "moderne" Fassung der Ilias lag Herodot noch gar nicht vor; er konnte sich einzig auf die Ur-Ilias beziehen. Herodot ist sich dessen bewusst, dass mit den Dichtungen um den Raub der Helena und den Trojanischen Krieg schon zu seiner Zeit, die noch keine hundert Jahre nach dem Krieg lag, einiges nicht in Ordnung war:

Diese Verse zeigen aber auch aufs klarste, dass das Epos die Kypria nicht von Homer, sondern von einem anderen verfasst ist. Denn in den Kypria wird erzählt, dass Alexandros mit Helene die Reise von Sparta nach Ilion in drei Tagen zurücklegte, bei günstigem Wind und ruhigem Meer, während er in der Ilias von seinen Irrfahrten mit Helene spricht.19

Der Kommentator sagt dazu: "Die Kyprien behandelten die Vorgeschichte des Trojanischen Krieges und die ersten Kämpfe. Sie sind uns nur in Fragmenten erhalten. Offenbar hat die literarische Kritik, die sie schon früh, wie hier Herodot, Homer absprach, auch damit über ihre Überlieferung entschieden."

Herodot fährt fort:

Als ich die Priester nun fragte, ob denn die Erzählungen der Hellenen über die Kämpfe vor Ilion unwahr seien oder wahr, erzählten sie den Verlauf folgendermaßen und versicherten, Menelaos selber hätte auf Befragen der Ägypter so berichtet.

Nach dem Raub der Helene kam ins teukrische Land ein großes Heer der Hellenen, um für Menelaos zu kämpfen. Sie stiegen ans Land und lagerten sich und sandten Boten nach Ilion, unter denen auch Menelaos selber war. Als sie in der Stadt angekommen waren, forderten sie Helene zurück und die Schätze, die Alexandros heimlich geraubt hatte, verlangten auch Genugtuung für diese Schändlichkeiten. Die Teukrer aber gaben zur Antwort und versicherten dasselbe immer wieder, eidlich und ohne Eid: sie hätten weder Helene noch die verlangten Schätze; das alles sei in Ägypten, und es sei nicht recht, dass sie Genugtuung für Dinge, die König Proteus von Ägypten habe, leisten sollten.

Die Hellenen meinten, man verspotte sie, belagerten die Stadt und eroberten sie schließlich. Da sich aber Helene wirklich nicht fand und man ihnen wiederum dasselbe sagte wie vorher, glaubten sie es endlich und schickten Menelaos zu Proteus nach Ägypten.20

Als Menelaos in Ägypten ankam und den Nil hinanfuhr bis Memphis, da wurde er auf seine wahrheitsgetreue Erzählung hin mit großer Gastlichkeit aufgenommen und erhielt Helene, ohne dass ihr ein Leid geschehen war, zurück, dazu auch alle seine Schätze. Und obwohl man ihm so viel Gutes tat, wurde Menelaos zum Frevler an den Ägyptern. Widrige Winde hinderten ihn nämlich an der Abfahrt, und als das gar zu lange währte, verfiel er auf folgenden Frevel. Er griff zwei ägyptische Knaben und opferte sie. Als diese Tat ruchbar wurde, ergrimmten die Ägypter, und er entwich zu Schiff nach Libyen. Wohin er sich dann weiter gewandt, konnten mir die Ägypter nicht sagen. ...21

So erzählten mir die ägyptischen Priester. Ich stimme ihnen bezüglich der Helene bei, denn ich denke mir, wenn Helene in Ilion gewesen wäre, hätte man sie den Hellenen ausgeliefert, sei es nun mit oder ohne Willen des Alexandros. Priamos und seine Verwandten waren doch gewiss nicht so unsinnig, sich, ihre Kinder und ihre Vaterstadt aufs Spiel zu setzen, nur damit Alexandros bei Helene liegen könnte. Anfangs mögen sie sich ja dahin entschieden haben; aber als viele Troer im Kampf mit den Hellenen gefallen waren, als in jeder Schlacht auch einer oder mehrere Söhne des Priamos selber umgekommen waren - gesetzt, dass man den Ependichtern glauben darf -, da glaube ich doch, Priamos hätte Helene, auch wenn er selber bei ihr gelegen hätte, den Achaiern ausgeliefert, um das schwere Unheil von sich abzuwenden. Auch war ja nicht Alexandros der Thronfolger, so dass er für den greisen Priamos die Regierung geführt hätte, sondern Hektor war der ältere und männlichere und hätte nach Priamos' Tode den Thron bestiegen. Und er hätte seinen verbrecherischen Bruder nicht schützen dürfen, zumal durch ihn so viel Unglück über ihn und alle Troer kam. Aber sie konnten eben Helene nicht ausliefern, und die Hellenen glaubten ihren Versicherungen nicht. ...22

Die Erwähnungen des Menelaos bei Herodot sind damit noch nicht abgeschlossen. Die weiteren sind aber hier nicht für uns von Bedeutung. Aufmerksam machen möchte ich lediglich noch auf einen chronologischen Hinweis (Herodot, VII 171):

... und als drei Menschenalter nach dem Tode des Minos der Trojanische Krieg ausbrach, bewiesen sich die Kreter nicht als die schlechtesten Bundesgenossen und Rächer des Menelaos. Nach der Rückkehr (der am Krieg beteiligten Kreter) aus Troja rafften in Kreta Hungersnot und Seuche Mensch und Vieh weg, bis das Land zum zweitenmal verödete und eine dritte Bevölkerung gemeinsam mit dem Rest der alten das Land besiedelte.

Der Kommentator vermerkt hierzu: "Nach alter minoischer Überlieferung war das Gebiet von Knossos (auf Kreta), wo sich die Residenz des sagenhaften Königs Minos befand, dreimal nach furchtbaren Katastrophen wieder besiedelt worden. Mit den Angaben Herodots lässt sich ungefähr der Befund der Ausgrabungen in Knossos vereinbaren. Um 1700 v.Chr. wurden die älteren Paläste vielleicht infolge eines Erdbebens aufgegeben. Um 1450 v.Chr. setzte wieder ein neuer Einschnitt mit der achaiischen Einwanderung und Besiedlung ein. Als dritte von der Überlieferung in die Zeit nach dem Trojanischen Krieg gesetzte Besiedlung ist dann die dorische Besetzung der Insel zu nennen."

Was den Kommentar anbelangt, so brauche ich dem Leser kaum noch zu sagen, um welche Katastrophen es sich gehandelt hat: die dritte Typhon-Katastrophe mit der "Sintflut", die Thera-Katastrophe mit der ogygischen Flut und die vierte Typhon-Katastrophe mit der deukalischen Flut. Unmittelbar danach kamen die Dorer - und das alles zwischen 879 und 256 v.Chr.

Chronologisch interessant ist die Angabe, dass der Trojanische Krieg "drei Menschenalter" im Sinne von Generationen, d.h. etwa hundert Jahre nach dem Tode des Minos, begonnen habe. Minos starb im Jahre 530 ndFl, mithin 105 Jahre vor dem Beginn des Krieges.

Zu dem Komplex "Paris oder Alexandros?" möchte ich noch anmerken, dass es sich bei Alexandros zweifellos um den Phrygerkönig handelt, den "Kyknos" (= "Schwan") genannten "schwanenhalsigen" Gemahl der Leda, die aus Hellas stammte und eine Tochter des argivischen Königs Thestion-Thyestes (von Argos) war. Diesem Paar wurden kurz vor dem Tode des Alexander "Kyknos" die Zwillinge Perideikes = Kastor und Polydeikes = Pollux geboren, die späteren Makedonenkönige Perdikkas und Philipp (I). Somit waren Alexandros und Leda die Stammeltern des makedonischen Königshause der Argeaden (von Argos). War dieser Alexandros der Räuber der Helena?

Ich bezweifle das; denn erstens war er ja schon mit einer Frau aus Hellas verheiratet, und zweitens will Paris "auch eine Frau aus Hellas" haben, was für Alexandros keinen Sinn mehr gäbe. Beide Herren waren wohl Brüder, und der jüngere wollte dem älteren nicht darin nachstehen, dass er keine Frau aus Hellas habe. Vermutlich war aber zu dieser Zeit gerade keine Jungfrau mehr in Hellas im Angebot, so dass Paris sich eine Frau rauben musste. Viel Geschrei scheint Helena dabei nicht gemacht zu haben.

Die gleichzeitige Geschichte Athens

Die Geschichte Spartas lassen wir mit dem König Menelaos zunächst enden und werfen einen Blick hinüber nach Athen. Auch hier hatte sich nach Typhon 4 einiges geändert. Athen selbst spielt in der Dichtung um den Trojanischen Krieg eine unbedeutende Rolle. Einmal wird ein König Menestheus von Athen genannt, der seine Truppen nach Troja sandte, ein andermal sind es die Söhne Akamas und Demophon des Theseus, des letzten Königs von Athen vor der Katastrophe, die am Krieg aktiv teilnehmen. Akamas soll danach sogar Laodike, die Tochter des Priamos, geheiratet haben, die vorher mit Heliakon verheiratet gewesen sein soll. Alles, was zu diesen angeblichen Söhnen des Theseus überliefert wird, ist dichterische Phantasie; denn diese Söhne sind nicht historisch echt.

Akamas und Demophon waren die Söhne der Reinkarnation des Theseus in seinem Enkel Peisistratos: Phokion und Demades. Durch Konsonanten- und Silbenumstellung, eine beliebte Dichterpraxis in der Antike, lassen sich die Namen - hier sogar übers Kreuz - ineinander umwandeln. Daran erkennen wir, dass schon in einer verhältnismäßig frühen Zeit die erste "Bearbeitung" der Berichte über den Trojanischen Krieg stattfand. Bekannt ist, dass zur Zeit des Peisistratos und seines Sohnes Onomakritos ein großes Interesse an der Dichtung Homers bestand. Und deren Zeit lag nur Jahrzehnte nach dem Trojanischen Krieg!

Theseus hatte durch seinen attischen Synoikismos, den Zusammenschluss der attischen Gemeinden mit Athen zu einem einheitlichen politischen Gebilde, die Grundlage für ein starkes Athen geschaffen. Die Früchte zeigten sich noch nicht sofort; doch die spätere Wirtschaftsmacht Athen bzw. Attika wäre ohne diesen Synoikismos nicht denkbar.

Hippolytos, der Sohn des Theseus mit der Phrygerin (= Skythin, Amazone) Hippolyte, war in der deukalischen Flut an der argivischen Küste ums Leben gekommen, während sein Vater erfolgreich gegen den "kretischen Stier" Pheidon, den minoischen Statthalter in Argos, zu Felde zog. Kurze Zeit später wurde Theseus von Lykomedes, dem Herrscher auf der Insel Skyros, dort von einer Klippe ins Meer gestürzt. Da wir diese Art der Ausschaltung eines Konkurrenten auch von Herakles kennen, der sich seines Gastfreundes und langjährigen Weggefährten Iphitos-Jolaos auf ähnliche Weise entledigte, habe ich hinsichtlich der Todesart des Theseus einige Zweifel.

Seine "Reise in die Unterwelt", die mit seinem Tod natürlich gleichbedeutend ist, muss jedoch schon kurz nach der Katastrophe Typhon 4 stattgefunden haben. Möglicherweise kam er gemeinsam mit seinem Sohn und Pheidon-Phaëton während oder nach der Schlacht in der Flut ums Leben, und sein Leichnam wurde am Strand von Skyros aufgefunden, wo man ihn begrub. Später holte der Athener Kimon die Gebeine des Theseus von Skyros nach Athen und setzte sie im neuerrichteten Theseion bei, einem heute noch gut erhaltenen Tempel. Er soll der einzige griechische Tempel sein, der noch eine Deckenkonstruktion erkennen lässt.

Wie dem auch sei - Theseus kann das Jahr 624 ndFl nicht lange überlebt haben; denn schon im Jahr darauf war weder Theseus noch Hippokrates, dessen anderer Sohn, König von Athen, sondern ein gewisser Kodros. Dieser wurde durch seinen Opfertod zur Legende: Er soll die Stadt durch seinen Tod vor den Dorern gerettet haben. Tatsache ist, dass Athen ionisch blieb und nicht dorisch wurde.

Die Geschichte von dem Opfertod hat märchenhafte Züge, so dass die Annahme, die Nordwestgriechen hätten Athen erobert und ihren König Kodros hier eingesetzt, wesentlich glaubhafter erscheint. Die dorischen Nordwestgriechen waren nach der Katastrophe in Richtung Thessalien, Boiotien und vor allem nach Attika aufgebrochen.  Eine Herkunft des Kodros aus Athen oder Attika ist ohnehin nicht erkennbar. Sein Name klingt eher dorisch als ionisch. Wie der Wechsel vom Geschlecht des Theseus zu dem des Kodros im einzelnen vonstatten ging, ist nicht mehr erkennbar. Kodros kann durch seinen "Opfertod" die Stadt vor den peloponnesischen Dorern gerettet haben.

Medon, der Sohn des Kodros, der meines Erachtens mit dem Menestheus der Dichtung identisch ist, folgte seinem Vater noch vor dem Trojanischen Krieg auf dem Thron von Athen. Von ihm leitet sich das Geschlecht der Medontiden ab, zu dem natürlich auch sein Sohn Solon gehört. In der konventionellen Geschichte kann Solon noch nicht der Sohn des Medon sein - falls dieser der unmittelbar folgende Sohn des Kodros sein soll -, da durch die Zeitüberdehnung eine viel zu lange Spanne zwischen Medon und Solon erscheint. Auch Hippokrates als Sohn des Theseus ist aus demselben Grund konventionell nicht vorstellbar. Herodot erwähnt die Herkunft des Hippokrates nicht, gibt ihn aber als Vater des Peisistratos an.

Menstheus soll nun den aus der Unterwelt zurückgekehrten Theseus aus Athen vertrieben haben. Dieser ebenfalls sehr märchenhaft anmutende Vorgang steht für eine politische Wende: auf dem Thron von Athen saßen dorische Könige! Das Haus des Theseus war zwar nicht ausgelöscht, da sein Sohn Hippokrates noch lebte und sehnsüchtig darauf wartete, noch einen Sohn zu bekommen; aber es war politisch völlig entmachtet worden.

Was aber sollte Athen mit einem argivisch-spartanischen Krieg gegen Troja zu schaffen gehabt haben? Die einzige Erklärung wäre, was auch eine Bestätigung für meine Annahme abgeben würde, die Medontiden seien Dorer gewesen, dass der König Menelaos von Sparta einen gewissen, nicht näher zu definierenden Einfluss auf das dorisch beherrschte Athen gehabt haben könnte.

Die dorische Herrschaft über Athen währte nur kurze Zeit; denn mit der Abschaffung des Königtums begann die attische Adelsherrschaft in Athen. Der Konkurrenzkampf der beiden Königshäuser gipfelte in dem Streit des Medontiden Solon mit dem "Theseus II" = Peisistratos. Die Theseus-Dichtungen entstanden logischerweise am Hofe des Peisistratos, des späteren Tyrannen von Athen, der mehrfach in die Verbannung geschickt wurde und jedesmal wiederkehrte. Das aber gehört erst in ein späteres Kapitel.

Für die meisten Behauptungen. die ich in diesem Kapitel hinsichtlich der Dynastien aufstelle, gibt es nicht den geringsten archäologischen oder literarischen Beweis. Doch alle diese Stammbäume haben eine nicht zu unterschätzende innere Logik. Sie entsprechen weitgehend sowohl den mythologischen als auch den geschichts-literarischen (Herodot!) Angaben und ganz besonders den Erfordernissen der nach dem Trojanischen Krieg beginnenden Geschichte, die merklich besser zu belegen ist als die von Dichtern arg zerzauste "mythologische Geschichte" davor. Das heißt aber wiederum nicht, dass die griechische Nachkriegsgeschichte eine durch und durch "bewiesene" Angelegenheit ist. Vielmehr sind in den als historisch verwertbar anerkannten Historiographien (Herodot, Thukydides, Xenophon etc.) dermaßen viele Fehler verborgen, dass konventionell keine Rede von einer auch nur annähernd "gesicherten" griechischen Altertumsgeschichte sein kann.

An die unkorrigierten Angaben der Mythologie kann die als belegt angesehene griechische Geschichte nicht angeschlossen werden. Bei der konventionellen Unterstellung eines "dunklen Zeitalters" von ausreichender Länge konnten aber alle mythologischen Angaben in diesen "Timetunnel" hineingeschoben werden, wo sie dann sich selbst überlassen blieben. Sobald jedoch diese "Dunkelkammer" aus der Geschichte eliminiert wird, ergibt sich zwangsläufig die Aufgabe, die griechische Geschichte rückwärts an die griechische Mythologie anzubinden. Letzten Endes ist ja die Mythologie ein Teil der griechischen Geschichte.

Der Trojanische Krieg in Dichtung und Wahrheit

Die Hauptakteure in diesem Krieg wurden von mir glaubhaft bis hierher, bis an die "Tage des Trojanischen Krieges", herangeführt. Das Jahr der Entführung der Helena war mit größter Wahrscheinlichkeit das Jahr 634 ndFl, da im Jahr zuvor der letzte erwachsene Dorerkönig von Sparta gestorben sein muss und weil im Jahr darauf - wegen der ägyptischen Parallelgeschichte - der Krieg um Troja begonnen haben muss.

In nüchterner Betrachtung müsste der Krieg kurz nach der Entführung der Helena begonnen haben. Zu der Datierung der "Tage des Trojanischen Krieges" habe ich schon einiges gesagt. Ich gebe für den Krieg die Dauer von gut einem Jahr an, und zwar von 635 bis 636 ndFl. Diese Jahre entsprechen in der ägyptischen Datierung den Jahren von 8/26 bis 9/27, also beginnend mit dem Jahr der Reise der Hatschepsut nach Punt und endend mit dem Jahr der Thronbesteigung des Feldherrn Serach, des Äthiopiers, als Pharao Ramses-Sethos II = Amenophis II User-A-cheperu-Re. Wir werden sehen, dass auch ein Ägypter im Trojanischen Krieg mitmachte: Memnon, der angebliche Neffe, in Wirklichkeit aber der Schwager des Priamos.

Menelaos, der einzige wirkliche Geschädigte, bot nach der Entführung seiner Gattin seine Heerpflichtigen auf und zog auch noch seinen Verwandten hinzu: Odysseus von Ithaka, den Sohn des hochbetagten Laertes. Auf ihn komme ich weiter unten wieder zurück.

Herodot erwähnt zwar diesen Krieg und bestätigt auch die Zerstörung Trojas; aber er geht auf die Vorgänge im einzelnen nicht näher ein. Für meine Rekonstruktion bin ich auf die Vorläufer- bzw. Paralleldichtungen zur Ilias (und in geringerem Umfang auch der Odyssee) angewiesen. In den älteren Dichtungen scheint noch etwas mehr Wahrheit verborgen zu sein als in den Spätwerken, wie zum Beispiel der großen Ilias, die ganz unter dem Einfluss des makedonischen Mäzenen entstanden ist, der als Achill in diese Dichtung einzog und den wichtigsten Mann zu einer Randfigur werden ließ: Menelaos.

Das älteste Epos ist vermutlich im unmittelbaren Anschluss an den Krieg entstanden. Als seinen Verfasser dürfen wir wohl mit gutem Gewissen Homer bezeichnen, der keinesfalls der Verfasser der großen Ilias in ihrer vollendeten dichterischen Form ist, wie wir sie heute allgemein kennen:

Singe, o Muse, das Lied von dem
Zorn des Peliaden Achill...


(Menin aeide, thea...)

Herodot kannte Homer und Hesiod23:

Von dem Stammbaum der einzelnen Götter oder ob sie alle vielmehr immer gewesen sind, ferner von ihrem Aussehen wissen die Hellenen sozusagen erst seit gestern und vorgestern etwas. Hesiod und Homer nämlich haben meiner Meinung nach höchstens vierhundert Jahre vor mir gelebt24. Und sie haben doch den Stammbaum der Götter aufgestellt, haben ihnen ihre Beinamen gegeben, die Ämter und Tätigkeiten unter sie verteilt und ihre Gestalten beschrieben. Die Dichter, die älter als Homer und Hesiod sein sollen, haben meiner Meinung nach erst nach ihnen gelebt.

Hieraus wird - falls die Zahlenangabe "vierhundert" nicht ein "Spätwerk" bibeltreuer Kopisten war - deutlich, dass das Zeitgefühl damals anders war als heute. Mangels exakter Geschichtsdaten, wie wir sie heute schon in der Schule mitbekommen, erschien den Menschen früherer Zeiten die Vergangenheit wesentlich länger als uns heute. Wenn wir von Ereignissen sprechen, die hundert Jahre zurückliegen, dann können wir sie zeitlich an solchen messen, die schon vierhundert oder mehr Jahre zurückliegen. Wir haben ein zeitorientiertes Geschichtsbild, während den Alten der Begriff "früher" verwaschen und zeitdesorientiert vorkam. "Früher" war eine gestaltlose "Zeitsuppe", in der alles zurückliegende Geschehen unsortiert herumschwamm.

Die Zeit des Homer lag zu der Zeit des Herodot noch keine hundert Jahre zurück, und die Dichter, die vor Homer und Hesiod gelebt haben, können ihren Platz durchaus in der mythischen Vorzeit behalten. Der Kommentator nennt ihre Namen: Orpheus, Museus, Linos und Olympos. Herodot konnte die endgültige Fassung der Ilias, die erst am Hofe des Alexander-Archelaos Philhellen, des "Hellenenfreundes", entstand, noch nicht kennen, bestenfalls erlebte er ihre Entstehung mit (in den ersten Jahren nach den Perserkriegen).

Der Trojanische Krieg dürfte das am meisten "zerdichtete" historische Ereignis des Altertums sein. Dass er aber tatsächlich stattgefunden hat, steht zweifelsfrei fest; er hat allerdings keine zehn Jahre gedauert, und auch die Ursachen für diesen Krieg dürften andere gewesen sein, als die Dichtung uns weismachen möchte. Da einerseits an der Historizität des Trojanischen Krieges nicht gezweifelt werden kann, und da andererseits Herodot den Entführer der Helena Alexandros nennt, woraus geschlossen werden könnte, dass die Dichter den Namen Paris erst erfanden, muss die Aufgabe gelöst werden, aus dem Wust der Dichtungen die historische Wahrheit herauszufinden.

Der Dichter Onomakritos, ein Sohn des Peisistratos und somit ein Urenkel des Theseus und ein "Nachkriegsgrieche", befasste sich bereits mit den Dichtungen Homers. Es ist daher nicht auszuschließen, dass er auch der Verfasser der redigierten Ur-Ilias war, die Homer selbst noch verfasst hatte. Der Verfasser der großen Ilias war er mit Sicherheit nicht.

Der gesamte Sagenstoff25, wie er auf uns überliefert ist, wird in acht selbständigen Epen behandelt, von denen die große Ilias und die Odyssee die höchste dichterische Form aufweisen:

  1. Die Kypria eines zyprischen Dichters, vielleicht des Stasinos, (angeblich) nach Vollendung der in die Ilias eingeschobenen Zusätze entstanden;
  2. die Ilias des Homeros (konventionell um 900 v.Chr.26);
  3. die Aithiopis, vielleicht älter als die Odyssee (meines Erachtens mit Sicherheit);
  4. die kleine Ilias des Lesbiers Lesches (konventionell erste Hälfte des 7. Jahrhunderts v.Chr.);
  5. Die Zerstörung von Ilios (griech.: Iliou persis, daher auch Persis genannt) des Arktinos von Milet oder des Lesches;
  6. Die Heimfahrten (griech.: Nostoi) des Agias von Troizen (nicht nur wahrscheinlich, wie Steuding meint, sondern mit Sicherheit älter als die Odyssee);
  7. Die Odyssee, (konventionell) vor 800 v.Chr.;
  8. Die Telegonie des Eugammon von Kyrene, (konventionell) um 570 v.Chr.
Steuding: Die Ilias und die Odyssee hat man früher beide dem einzigen, alles andere überragenden Dichtergenius Homers zugeschrieben, obwohl die große Verschiedenheit, die sich in den geschilderten sozialen Verhältnissen ebenso wie in der religiösen Auffassung zeigt, wenigstens für die uns vorliegende Gestalt dieser Dichtungen mit Notwendigkeit auf verschiedene Verfasser schließen lässt. ...

Nach gängiger Ansicht kann demnach die große Ilias nicht aus der alten Zeit stammen, sondern es müssen Zusätze eingefügt worden sein. Außerdem seien verschiedene Verfasser am Werk gewesen. Wir brauchen uns damit nicht zu befassen, da wir die große Ilias nicht dem Homer, sondern einem um mindestens hundert Jahre jüngeren Dichter zuschreiben. Wie sehr die falsche Sicht den Blick trüben kann, geht aus den folgenden Sätzen hervor; Steuding fährt fort:

In ihrer ursprünglichen Anlage brachte sie (Eig.Anm.: die Ilias) nur den verhängnisvollen Streit zwischen Achilleus und Agamemnon zur Darstellung. In dieses älteste, den Kern des gesamten troischen Kreises bildende Epos, das die Keime zu allen übrigen Gedichten desselben enthält, sind zwar später vielerlei Einschaltungen gemacht, und dabei ist das Ganze auch wohl überarbeitet worden; dennoch ist selbst in der gegenwärtigen Gestalt der zugrunde liegende, geradezu dramatisch geformte Plan so klar ersichtlich, dass an der bewussten Gestaltung desselben durch einen einzigen Dichter nicht gezweifelt werden kann.

Mit aller Gewalt wollte man daran festhalten, dass dieser einzige Dichter Homer war, während die großartige dichterische Gestaltung der großen Ilias einem Flickwerk durch die Jahrhunderte zu verdanken sein müsste. Homer soll blind gewesen sein; hatte er nicht viel eher seine glühenden Verehrer blind gemacht?

Die Kypria müssten als eine spätere Dichtung aufgefasst werden, wenn sie tatsächlich bereits den Namen Paris statt Alexandros und vor allem Achilleus erwähnen würden. Das scheint aber im Original nicht der Fall gewesen zu sein; denn wie wir weiter oben gesehen haben, benutzt Herodot die anderen Namen:

Denn in den Kypria wird erzählt, dass Alexandros mit Helene die Reise von Sparta nach Ilion in drei Tagen zurücklegte, bei günstigem Wind und ruhigem Meer, während Homer in der Ilias von seinen Irrfahrten mit Helene spricht.27

Wenn sich Herodot hier auf Homer bezieht, ohne dass er auf Paris zu sprechen kommt, dann scheint Homer in seiner Ur-Ilias auch den Namen Alexandros benutzt zu haben. Dass Herodot auf die Diskrepanz "Alexandros statt Paris" nicht hinweist, leuchtet unter den gegebenen Umständen ein; dass aber weder der Kommentator zu obiger Herodot-Stelle noch Steuding dies auch nur mit einem Wort erwähnen, ist zumindest auffallend. Es sei denn, die Kypria, von denen Herodot spricht, sind nicht dieselben, die heute als Kypria angesehen werden.

Die Kypria in der heute überlieferten Form enthalten viele Bestandteile der großen Ilias und können daher als Konkurrenzdichtung zu ihr aufgefasst werden. Man kann dabei an einen "Sängerkrieg auf der Pella-Burg" denken. Ihr Konzept ist aber ein anderes als das der großen Ilias:

Um die Erde von der Überbevölkerung zu befreien, erzeugt Zeus mit der Rachegöttin Nemesis in der Gestalt eines Schwanes die Helena, die dann von Leda aufgezogen wurde. Normalerweise gilt Leda als die Mutter der von Zeus in Schwanengestalt gezeugten Zwillinge Kastor und Pollux. Zur schönsten Frau herangewachsen, wählt Helena aus der Schar ihrer Freier den König Menelaos von Sparta zum Gatten.

In der Zwischenzeit war während der Hochzeit des Peleus, des frommen Herrschers von Phthia in Thessalien, mit der Meergöttin Thetis zwischen den am Festmahl auf dem Peliongebirge teilnehmenden Göttinnen Hera, Athena und Aphrodite durch Eris, die Göttin der Zwietracht, ein Schönheitswettbewerb angeregt worden.

Als Schiedsrichter wurde von Zeus der schönste Mann berufen, der troische Königssohn Paris. Dieser lebte auf dem Ida-Gebirge unerkannt als Hirte, wofür es keine plausible Erklärung gibt. Hier traten ihm unter der Führung des Götterboten, des für alles Unangenehme zuständigen Hermes, die drei Göttinnen entgegen. Aphrodite versprach ihm die schönste Frau der Welt, mit der Helena gemeint ist, die Frau des Königs Menelaos von Sparta. Mit der Aussicht darauf ließ er sich bestechen und überreichte ihr den Apfel als Preis der höchsten Schönheit.

Die Meeresgöttin Thetis hatten wir schon als die Gemahlin Poseidons kennengelernt. Sie gehört hier also überhaupt nicht hin. Der Sohn dieses unmöglichen Paares, Achilleus, hat große Chancen, historisch nicht echt zu sein. Mit dem "Paris-Urteil" hatte ich an anderer Stelle schon die nach-typhonische Kalenderrefrom in Verbindung gebracht. Diese drei Ereignisse müssen in derselben Reihenfolge auch in der Wirklichkeit gesehen werden:

1. Peleus-Pelias heiratet vermutlich Laodike, die Tochter des Priamos von Troja. In Heliakon, dem ersten Gemahl der Laodike, möchte ich daher Peleus bzw. Pelias sehen. Die Anwesenheit des Sohnes Paris des Priamos auf besagter Hochzeit wird hierdurch erst plausibel. Den bestgeeigneten Zeitpunkt für die Hochzeit des Peleus sehe ich im Jahre 615 ndFl. Aus dieser Ehe ging der Sohn Akastos hervor. War er der jugendlich ungestüme Achilleus?

2. Das "Paris-Urteil" kann nur nach der Typhon-Katastrophe Sinn ergeben. Wäre die Hochzeit erst zu einem so späten Zeitpunkt anzusetzen, dann könnte Achilleus nicht bis zum Kriege heerfähig geworden sein, und einen Sohn Neoptolemos, der mit in den Krieg eingreift, könnte er schon gar nicht gehabt haben. Den besten Zeitpunkt für das "Paris-Urteil" sehe ich im Jahre 628 ndFl, nachdem die erste Olympiade, also der erste vollständige Mond-Sonnen-Zyklus, verstrichen war. Das hat nichts mit dem ersten Jahr des ägyptischen Kalenders zu tun, da dieser nicht mit dem Mond zusammenhing.

Wenn aber das "Paris-Urteil", das in dieser Form nur in der Dichtung stattfand, als Kalenderreform auch in der Wirklichkeit vor dem Krieg lag, dann erfolgte - wie in der überlieferten Reihenfolge - danach erst

3. die Entführung der Helena aus Sparta, die der eigentliche Anlass des Krieges (auch bei Herodot) war.

Auf Veranlassung der Aphrodite fährt Paris mit Aineas, der in der Sage als Sohn der Aphrodite mit Anchises gilt, nach Sparta, wo sie beide von Menelaos gastfreundlich aufgenommen werden. Während Menelaos eine Reise nach Kreta unternimmt (siehe dazu weiter oben!), lässt sich Helena mitsamt ihren Kostbarkeiten nach Troja entführen. Es folgt der Ruf zum Heerzug, dem Agamemnon und die anderen Griechenfürsten bereitwillig folgen, während der Wahnsinn heuchelnde Fürst von Ithaka, Odysseus, erst durch Palamedes von Troizen als Simulant entlarvt werden muss.

Die Abgesandten des Menelaos suchen auch Achilleus auf, den Sohn des Peleus und der Thetis, der sehr schnell herangewachsen sein muss. Außerdem hat seine Mutter ihn durch ein Feuerbad am ganzen Körper unverwundbar gemacht, außer an der Stelle, an der sie ihn gehalten hat: an der Ferse.

Auf dem nahen Peliongebirge, dem sein Vater seinen Namen verdankt, ist er unter der Aufsicht des weisen Kentauren Cheiron, eines offensichtlich skythischen Vogelschauers, zu einem Jäger herangewachsen. Nach schmerzlichem Abschied von seiner Mutter, die seinen Tod voraussieht, schließt er sich an der Spitze seiner Myrmidonen dem Griechenheer an, das sich im boiotischen Aulis am Euripus (vgl. den Namen mit Oidipos-Eurypos, König von Boiotien!) gesammelt hat.

Zuerst gelangen die Griechen nach Teuthrania in Mysien und zerstören diese Stadt, die sie für Troja halten. An einer früheren Stelle hatte ich diese miserable Navigation schon bestritten und diesen Vorgang mit dem "Argonautenzug" des Perseus in Verbindung gebracht. König Telephos von Mysien und Patroklos, der Freund des Achilleus, verwunden sich gegenseitig mit der Lanze.

Bei der Weiterfahrt werden die Griechenschiffe vom Sturm zerstreut und nach der Heimat zurückgetrieben. Auch das spricht nicht für tüchtige Steuerleute. Offensichtlich wurde diese Stelle in den Kypria von einem Nichtseemann geschrieben, der nicht um seinen Ruf fürchten musste.

Achilleus landet auf der Insel Skyros (wo Theseus ermordet worden war) und heiratet die Königstochter Deïdameia, die dann die Mutter des Neoptolemos wird.

Die Griechenflotte sammelt sich zum zweitenmal in Aulis, wo sich auch Telephos einfindet, dessen Wunde nur durch den Speer (den Rost der Lanze) geheilt werden kann, welche sie geschlagen hat (Richard Wagner, Parsifal: Die Wunde schließt der Speer nur, der sie schlug.). Von Achilleus so wieder hergestellt, verspricht er, die Griechen nach Troja zu führen. Die Abfahrt wird aber von Artemis durch Stürme verhindert, weil sie dem Agamemnon, der eigenartigerweise der Anführer des Heeres ist, wegen der Tötung einer ihr heiligen Hirschkuh zürnt. Erst nach der Opferung der Iphigenie, der (angeblichen) Tochter des Agamemnon, erfolgt die Weiterfahrt. Unterwegs lassen die Griechen den von einer Giftschlange in den Fuß gebissenen Bogenschützen Philoktetes auf der Insel Lemnos zurück.

Bei der Landung in Troja wird Protesilaos, der Freund des Achilleus, von dem ältesten Sohn des Königs Priamos, von Hektor, getötet. Da springt Achilleus aus dem Schiff und wirft den ihm entgegentretenden, als unverwundbar geltenden Poseidon-Sohn Kyknos (griech. für Schwan) nieder und würgt ihn, bis er in einen Schwan verwandelt wird. Kyknos ist in Wirklichkeit der "Schwan", in den sich Zeus verwandelt haben soll, bevor er mit Leda die "Zweitausgabe" der Dioskuren zeugte, die Zwillinge Kastor und Pollux. Ich bin schon weiter oben und mit Sicherheit nicht das letzte Mal auf diese Familie eingegangen.

Menelaos fordert von Priamos die Rückgabe der Helena. Die Trojaner weigern sich - oder können nicht, wenn wir an die Darstellung Herodots glauben wollen (siehe weiter oben!), da sich Helena nicht in Troja, sondern in Ägypten aufhält. Odysseus rächt sich an Palamedes, der ihn auf Ithaka entlarvt hatte, indem er ihn beim Fischfang nach Verabredung mit seinem Freunde Diomedes (von Argos) ins Meer stürzt.

Die Griechen beginnen mit der Belagerung Trojas. Die mit Troja verbündeten Ortschaften Lyrnessos und Chryse werden erobert und die erbeuteten schönen Mädchen Briseïs dem Achilleus, Chryseïs dem Agamemnon zugeteilt. Hiermit leitet die Erzählung zum Anfang der großen Ilias über. Diese beginnt im zehnten Jahr der Belagerung, obgleich der ganze Krieg nur etwa ein Jahr gedauert hat (635-636 ndFl). Ihren Inhalt bespreche ich weiter unten.

Die Kypria sollen erst "nach Vollendung der in die Ilias eingeschobenen Zusätze"28 entstanden sein. Diese Sicht der Dinge beruht jedoch auf der irrigen Annahme, dass die große Ilias in ihrer heutigen Form das Werk Homers sei. Wie ich oben bereits gesagt habe, halte ich die Kypria in der vorliegenden Form aber für gleichzeitig mit der großen Ilias entstandene Teildichtungen. Beide, die Kypria wie die große Ilias, sind hochgradig zerdichtete Darstellungen der Vorgeschichte, des Beginns und Verlaufs eines Krieges, der als der historisch echte Trojanische Krieg kaum noch darin wiederzuerkennen ist.

Selbstverständlich findet sich auch in der großen Ilias der historische Krieg nur als die Hintergrundhandlung für einen menschlichen Zwist wieder, und zwar hier zwischen Achilleus und Agamemnon: Es geht dem Dichter um den "Zorn des Peliaden Achill", und nicht um eine Chronik des Trojanischen Krieges.

Achilleus ist eine glatt erfundene Person. Sein Vorbild in der makedonischen Königsgeschichte ist der Dichter- und Hellenenfreund (Archelaos = "Achilleus" =) Alexander Philhellen. "Wes Brot ich ess', des Lied ich sing'", sagte der Dichter und erfand eine Figur göttlichen Ursprungs, wie es sich für einen Makedonenkönig geziemte. Achilleus, dessen Grab von einem der großen Alexander aufgesucht wurde, muss unbeschadet seiner dichterischen Ausschmückung als eine historische Gestalt angesehen werden, die sich unter einem anderen Namen und mit jugendlichem Mut und Übereifer an diesem Krieg beteiligt hat. Er machte sich einen Namen, indem er den trojanischen Kronprinzen Hektor - oder wie immer der auch geheißen haben mag - besiegte. Darüber hinaus war er gewiss unbedeutend, und die Rolle, die ihm die späteren Dichter übertrugen, hat er gewiss nicht gespielt.

Möglicherweise hieß dieser Held tatsächlich Achilleus, und es war Alexander Philhellen, der sich nach ihm "Archelaos" benannte. Auszuschließen ist aber, dass er, falls er tatsächlich der Sohn (Akastos?) des mit einer Troerin verheirateten Thessalers Peleus-Pelias war, der doch wohl eher seinem Schwiegervater ein Heer zu Hilfe gesandt hätte als den Hellenen, auf griechischer Seite gekämpft hat. Der Stammbaum der Makedonen geht sowohl auf Pelias-Peleus als auch auf Argos zurück. Die Tatsache, dass die Dichtung in makedonischer Zeit den Peliaden auf die Seite der Sieger verlagert hat, spricht dafür, dass Alexander-Archelaos, der Hellenenfreund, innerlich auf der Seite der siegreichen Hellenen gestanden haben muss. Ich halte die Teilnahme von Makedonen, Thrakern und Thessalern auf hellenischer Seite an diesem Krieg für unwahrscheinlich.

Da Achilleus = Arch-elaos (ich halte beide Namen auf ihn für anwendbar) weitgehend die Rolle des Men-elaos in der Dichtung übernimmt, so kann man auch darüber spekulieren, ob er in einem Teilaspekt mit ihm identisch sein könne. Das ist in Anbetracht des Schicksals des Menelaos nicht abwegig; denn wie ich weiter unten erläutern werde, kam Menelaos tatsächlich bei Troja ums Leben. Insofern kann sich sein Grab in der Troas befunden haben. Die ältere Dichtung könnte den Peliaden Achilleus völlig außer acht gelassen haben. Erst durch die makedonischen Peliaden wäre er wieder - und zwar auf der falschen Seite - ins Gespräch gekommen als Ersatz für Menelaos, der in den späteren Werken eher eine Außenseiterrolle einnimmt. Das Grab in der Troas könnte dann das Grab des Peliaden sein.

Achilleus wird in der Dichtung zum schnellwachsenden Sohn des Peleus, der seinerseits kurz zuvor ("Paris-Urteil") selbst erst geheiratet hatte. Noch schneller als Achilleus wuchs dessen Sohn Neoptolemos heran, den der Vater noch kurz vor dem Beginn des Krieges gezeugt hatte, der aber schon kräftig zuschlagen konnte, als es gegen die Trojaner ging.

Diesen Neoptolemos, der natürlich kein Sohn des Achilleus gewesen sein kann, gab es tatsächlich. Er muss der Nachfahre eines Pto-le-mos = Ptah-Ra-Messe gewesen sein, vermutlich des Chus-Ptah-Ramses, Sohnes des Achmose; denn ein anderer Ägypter außer Ptah-Apis-Achmose selbst und seinem Sohn Chus war bis zu dieser Zeit noch nicht bis Hellas gekommen - abgesehen von Kadmos, der aber nicht aus der Ptah-Linie stammte.

Diomedes von Argos war nicht wie seine Vorgänger Pheidon und Inachos der große Statthalter Kretas in Hellas. Kreta war von der deukalischen Flut heimgesucht worden wie schon 538 ndFl von der ogygischen. Den Rest hatten die Dorer besorgt, die das Regime des Deukalion stürzten. Von ihm und seiner Frau Pyrrha erzählt die Sage, dass sie nach einer großen Flutkatastrophe, in der alle übrigen Menschen umgekommen waren, auf Geheiß der Götter Steine vom Boden aufgelesen und hinter sich geworfen hätten, aus denen dann neue Menschen emporwuchsen. Mir scheint diese Geschichte eine treffende Beschreibung des Zustandes nach der Katastrophe, des Wiederaufbaues und der Neubesiedlung der Insel durch die Dorer zu sein.

Die Dorer setzten Idomeneus, den Sohn des Deukalion, auf den Thron. Wie schon weiter oben angedeutet wurde, unterstanden die auf Kreta an Land gegangen Dorer vermutlich ebenfalls dem König Aristomachos bzw. seinen Söhnen, und so verwundert es nicht, dass sie dort nur einen Vasallen aus dem heimischen Königshaus und keinen eigenen dorischen König einsetzten. Das erklärt aber auch, dass sie nach dem Tode ihrer Hauptkönige in Sparta dem Menelaos unterstanden und ihm Heerfolge leisten mussten. Die Rollen waren gegenüber der minoischen Ära jetzt vertauscht.

Menelaos besuchte Idomeneus zu der Zeit, als die Trojaner Alexandros und Aineas in Sparta weilten, nicht in seiner Eigenschaft als Untergebener, wie gemutmaßt wird, sondern als Lehnsherr. Seine Abwesenheit nutzten die beiden Trojaner, um Helena zu entführen. Als Menelaos seine Gefolgsleute, unter denen auch sein Bruder Agamemnon war, zur Heerfolge nach Troja aufrief, kamen außer diesem auch die übrigen Vasallen des Spartaners: Nestor aus dem triphylisch-messenischen Pylos, Diomedes von Argos, Palamedes von Nauplia und - von letzterem seiner Tarnung als Idiot entlarvt - Odysseus von Ithaka.

Was aber hatte der Westionier Odysseus, der König eines Landes, das niemals dorisch geworden ist, mit der Schande des Königs von Sparta zu schaffen? Da nicht anzunehmen ist, dass er ein Vasall des Menelaos war, lässt sich sowohl die Art der Werbung um seine Teilnahme als auch seine beharrliche Weigerung, am Krieg teilzunehmen, viel leichter erklären. Er wurde gebeten oder eingeladen, nicht jedoch aufgefordert; aber er hatte keine Lust, welchen Luxus er sich als Vasall nicht hätte leisten können. Um dafür den Grund zu finden, weshalb man diesen unabhängigen Mann überhaupt gebeten hat, an einem Krieg teilzunehmen, in den er doch gar nicht verwickelt war, müssen wir wieder einmal Familien-Geschichte betreiben:

Letzter Stand: 7. Februar 2014


12 Herodot, I 3
13 Entweder Pharao Amenophis II oder der Deltakönig Manachpiria-Mencheperre; letzterer ist wahrscheinlicher, da er im Delta wohnt.
14 Herodot, II 112; der Kommentar dazu lautet: Die Phoiniker (Tyros) besaßen in Memphis eine eigene Niederlassung mit einem Tempel der Ischtar.
15 Ebenda, II 113;
16 Ebenda, II 114; Kommentar dazu: Thonis heißt der von Homer (Odyssee, IV, 228) erwähnte ägyptische König, an den auch die von Herodot berichtete Sage anknüpft. Eig. Anm.: Mit Thonis kann auch die Stadt Tanis gemeint sein, wo der König Proteus, wenn er mit Manach-Piria identisch sein sollte, seine Residenz hatte. Weder der Pharao noch der Deltakönig residierte damals in Memphis.
17 Herodot, II 115;
18 Ebenda, II 116;
19 Herodot, II 117;
20 Ebenda, II 118
21 Herodot, II 119; der Kommentar dazu: Es gab an der libyschen Küste einen Hafen des Menelaos (vgl. Buch IV, Kap. 169);
22 Ebenda, II 120
23 Herodot, II 53
24 der Kommentar hierzu: Herodot setzt mithin die Entstehung der homerischen Dichtung in die Zeit um 850 v.Chr. ...
25 Prof. Dr. Hermann Steuding, Griechische und römische Mythologie, Sammlung Göschen 1913;
26 Der Autor geht noch davon aus, dass die große Ilias von Homer verfasst wurde.
27 Herodot, II 117
28 Prof.Dr.Hermann Steuding, Griechische und römische Mythologie, Sammlg. Göschen 1913
 
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