Siebtes Buch: 642 bis 656 ndFl

1. Kapitel:

Die Medo-Perser
Teil III: Vorderasien von 642 bis 656 ndFl
(1. Teil)


In diesem Kapitel, das an das Kapitel 5: Die Medo-Perser, Teil I: Vorderasien bis "Typhon 4" im Band 3 und an das Kapitel Die Medo-Perser, Teil II: Der zweite Halys-Krieg und Urartu in diesem vierten Band anschließt, findet der Leser einige in den Teilen I und II besprochene Passagen wieder, so dass es ihm leicht gemacht wird, dem Fluss der Geschichte in diesem turbulenten Jahrhundert zu folgen. Es wird dem Leser ohnehin schon aufgefallen sein, dass die Materialdichte für die Geschichtsrekonstruktion von Jahrhundert zu Jahrhundert zunimmt. Das kommt daher, dass immer mehr schriftliche Originalzeugnisse wie z. B. die Amarnatafeln, aber auch Berichte von Historiografen, zunehmend Licht in die Geschichte hineinbringen. In dem folgenden, dem achten nachsintflutlichen Jahrhundert, wird dies in noch größerem Ausmaß der Fall sein. Bedauerlich ist jedoch der Umstand, dass die Berichte der Historiografen einen hohen Anteil an Fehlinformationen aufweisen, während die zeitgenössischen Inschriften, Urkunden und Briefe ein weitaus größeres Maß an Glaubwürdigkeit zu bieten haben; aber Inschriften und Urkunden sind im Mittelmeerraum nur in sehr geringem Umfang zurückgeblieben. Das Klima in Mesopotamien und Ägypten war für deren Erhaltung ungleich günstiger, so dass hier mehr Originalschriften gefunden werden konnten als im regenreichen Griechenland, Italien oder Kleinasien.

Im vorliegenden Kapitel befasse ich mich hauptsächlich mit der Zeit nach dem Vorderasiatischen Krieg bzw. nach dem Großen Naharina-Sieg, also mit der Zeit nach 642 ndFl. Auf diesen Sieg, auf die Einnahme der Stadt Babylon und auf die Machtübernahme in dieser Stadt durch den Eroberer weisen mehrere Quellen hin. Konventionell werden die Angaben jedoch in verschiedenen Epochen unterschiedlichen Personen zugewiesen, die jedesmal andere Namen tragen. Im Kapitel 2 des VI. Buches in diesem Band: Die Feldzüge Manachpirias (631-642 ndFl) habe ich bereits gezeigt, dass die Eroberung Babylons durch den Hethiter-Kossäer Mursilis-Tudhaliyas = Kurigalzu = Ulamburiasch im Jahre 641 ndFl erfolgte.

Die Umstände, die zu dem Krieg der verbündeten Ägypter, Chatti und Mitanni gegen Nebukadrezzur führten, wurden in früheren Kapiteln schon besprochen. Gleiches gilt für die Phryger- oder Halysschlacht, die die Suprematie der Hethiter in Kleinasien wiederherstellte. Hauptmacht in Asien blieben zunächst die Meder unter dem von Ägypten favorisierten Herrscher von Nuchasse, unter Astyages. Dieser Zustand musste in der Folgezeit zwangsläufig zu Spannungen zwischen den Hethitern = Chatti und den Medern = Mitanni führen, wie es denn auch schon nach kurzer Zeit geschah.

Nuchasse

Am Anfang der Betrachtung der Zeit nach 642 ndFl steht die Frage, welches Gebiet, zu dessen König Astyages gesalbt wurde, unter dem Namen "Nuchasse" zu verstehen ist. Wegen der Bedeutung des aramäischen Wortes nuchuschtu = Erz (in Amarnabrief Nr. 69: eru nuchuschtum, was Kupfererz bedeuten soll, vielleicht aber besser mit Eisen zu übersetzen wäre, das ein wertvoller Exportartikel der Hethiter war) möchte ich Nuchasse als ein Gebiet ansehen, zu dem das an Eisenerz reiche Urartu-Armenien zumindest hinzugehörte. Ob die Namen "Naïri-Land" und "Nod" (im AT; bedeutet Flucht, Verbannung) mit dem Namen "Nuchasse" in irgendeiner Weise zusammenhängen, möchte ich nicht entscheiden.

Das als ein "assyrisches Grenzland" angesehene Land Arrapachitis, das dem biblischen Arphachsad oder auch Arpaksad (keilinschriftlich arapcha) entspricht, war wahrscheinlich mit Parsu-Masch = Urartu identisch. Dafür spricht zumindest die Angabe des Flavius Josephus (Ant. I, 6.4), wonach von Arpaksad die Chaldäer stammen. Arphachsad war bekanntlich der Sohn des Sem (1. Mose 10, 22), der mit Achaimenes = Perseus identisch ist, dem Stammvater der Perser von Parsumasch.

Auch das hebräische Wort nechuschta bedeutet Erz, Kupfer. Das Eigenschaftswort nechustan wird daher auch mit ehern, kupfern übersetzt. Diese Auslegung kann auf der Annahme beruhen, dass das Eisen zu so früher Zeit, wie nuchustum in Texten erscheint, noch nicht bekannt war. Tatsächlich war es jedoch schon längst auf dem Markt und in Gebrauch. Deshalb sehe ich keinen Grund, von der Ausdehnung des Namens "Nuchasse" auf die eisenerzreiche Gegend um den Ararat = Urartu abzusehen.

Nuchasse kann sogar bis ans Mittelmeer gereicht und Medien eingeschlossen haben, so dass es als ein Land zwischen drei Meeren aufgefasst werden kann: Kaspisee, Schwarzes Meer und Mittelmeer. Seine Hauptstadt kann durchaus Aleppo gewesen sein, wo Astyages als Herrscher über das Gesamtreich seine Residenz gehabt haben kann. Auf dem Höhepunkt seiner Macht gehörten die Gebiete Naharina (Mesopotamien) und Chatti (Kleinasien) mit zu Nuchasse.

Meder = Mitanni

War das Nuchasse des Astyages ein Vasallenstaat der Ägypter oder war es ein selbständiges Staatsgebilde? Ich neige zu der Ansicht, dass Astyages ein unabhängiger Großkönig war, der allerdings eine starke Bindung an Ägypten hatte. Hierbei ist an einen Beistandspakt zu denken, der seit spätestens 639 ndFl bestanden haben müsste, also seit dem Bündnis der späteren Sieger über Nebukadrezzur. Nach dem Sieg fand die Salbung des Astyages durch Manachpiria zum König von Nuchasse statt. Erstmals auf die Probe gestellt wurde dieser Pakt schon zwei Jahre nach dem Sieg durch den Einfall der Chatti in Aleppo. Darauf gehe ich weiter unten ausführlicher ein.

Mit Kyaxares-Schauschschattar und seinen Söhnen Astyages und Artatama sowie mit seiner Tochter Paduchipa hatten wir uns schon beschäftigt. Die konventionell Mitanni genannte Herrscher-Dynastie, die jedoch unbedenklich als Könige der Meder bezeichnet werden kann, geht konventionell nicht mit einem Sohn des Astyages weiter, da dieser überhaupt keinen Sohn gehabt zu haben scheint. Die Mutmaßung, Karaïndasch könnte ein Sohn des Astyages gewesen sein, ist vermutlich unzutreffend. Konventionell wird bei Kyaxares "eine chronologische Weiche gestellt"; das heißt nichts weniger, als dass seine Identität weder mit Assarakos, jenem Stammvater Ares II der Römer, noch mit dem Mitannikönig Schausch-Schattar erkannt wurde.

Von Schutarna, dem 590 ndFl geborenen Sohn des um 560 ndFl geborenen Artatama, wissen wir das meiste aus den Amarnabriefen und den so genannten "hethitischen Texten". Seinen um 630 ndFl geborenen Sohn Tuschratta habe ich als einen Amarnakorrespondenten schon erwähnt, seine Söhne Aitugama (* ca. 615 ndFl) und Namiawaza (* ca. 617 ndFl) spielen wie Tuschratta ebenfalls eine bedeutende Rolle in diesen Briefen. Seine Tochter Giluchipa (* ca. 623 ndFl) ist uns aus dem Hochzeits-Skarabäus des Amenophis bekannt, der in einem früheren Kapitel bereits erwähnt wurde.

Die Vater-Sohn-Folge bis zu den genannten Personen kann als erwiesen angesehen werden. Der Bruder Arta-schum-ara des Tuschratta war in Wirklichkeit nur sein Halbbruder, dessen Mutter zwar auch die des Tuschratta war; Arta-schum -aras Vater war jedoch mit allergrößter Wahrscheinlichkeit der "Vater aller schum", nämlich Samsi-Adad-schum-idin, der auch Ur-Zababa, Zababa- oder Zamama-schum-idin sowie Samsuditana, Amar-Sin und Amraphel von Sinear hieß.

Folglich kann die Geburt des Tuschratta, des Sohnes der Witwe des Samsi-Adad, nicht (wesentlich) vor 630 ndFl angesetzt werden, während Arta-schum-ara bereits 620 ndFl geboren sein müsste, da er von Nebukadrezzur noch kurz vor dessen Tod zum Feldherrn und Statthalter Mediens gemacht wurde (kaum vor 639 ndFl). Wenn wir davon ausgehen, dass Astyages bereits im Jahre 633 (spätestens 635) ndFl wegen seiner Sympathisierung mit Ägypten (eine ominöse Geschenksendung, die aus den Annalen des Manachpiria hervorgeht) nach Norden ins Exil ging bzw. gehen musste, dann muss zwischen ihm und dem jungen Arta-schum-ara noch ein anderer den Thron in Ekbatana eingenommen haben.

Es bietet sich an, den Neffen Schutarna des Astyages auf diesem Platz zu sehen. Er war der Sohn des von Astyages mit Unterstützung des Chus-Sesostris abgesetzten Artatama, und somit erscheint es einleuchtend, dass Nebukadrezzur ihn zum Nachfolger des Astyages machte. In der Couropaidia (= Die Jugendjahre des Kyros), einem Werk des Xenophon, das auch nach Ansicht vieler Experten eine reine Zweckdichtung und für die Verwendung als historische Quelle wenig geeignet ist, heißt der Sohn des Astyages und Onkel des Kyros verwirrenderweise Kyaxares. Xenophon baute hier offensichtlich auf den verworrenen Angaben Herodots zu Kyros auf und schmückte dessen Erzählung, in der fünf verschiedene Personen zu einem einzigen Kyros verschmolzen worden sind, lediglich weiter aus. Insofern hat dieses Werk noch weniger historischen Wert als Herodots Bericht über Kyros.



Persische und medische Linie
PERSEUS-ARPHACHSAD  (Stammvater der Perser    medische
+------------+      und Kassiten)             Linie
|            |                                |
HATTUSILIS   HIEROMNEME            oo ASSARAKOS =
* ca. 530    | = MINERVA-APHRODITE oo KYAX-ARES =
| |          |   * ca. 535 ndFl       SCHAUSCH-SCHATTAR
| |          |                        |* ca. 530 ndFl
| |          +-------------+----------+
| ARYANIS oo ASTYAGES      ARTATAMA   |
|  *ca. 575  * ca. 565     * ca. 560  PADUCHIPA (aus spä-
oo           +-+           |          * ca. 576 terer Ehe)
PADUCHIPA    | SEMIRAMIS   |          heiratet  
* ca. 576    | * ca. 590   |          Hattusilis
|            | heiratet    |
TUDHALIYAS   | Chus,       SCHUTARNA
* ca. 590    | Tudhaliyas, | * ca. 590
oo +---------+ Samsi-Adad  +------------------+
NIKALMATI      und         1.AITUGAMA         TUSCHRATTA
* ca. 609      Nebuka-       * ca. 615        = DEIOKES
|              drezzur     2.NAMIAWAZA        * ca. 630
SUPPILULIUMAS                * ca. 617        |
= UMAN-IGASCH              3.GILUCHIPA        1.MATTIUWAZA
* ca. 624                    * ca. 623          * ca. 649
|                            oo               2.TADUCHIPA+
MURSILIS II                  AMENOPHIS II       * ca. 650
SCHUZUB, der Chaldäer        = SETHOS II        oo
* ca. 646                    |                  NAPCHURIA
|                            RAMSES-SIPTAH  =   TAHARKA
HATTUSILIS III               (* ca. 630; Mutter: Teje)
* 706 ndFl
                           +: TA-DUCHIPA heißt in Ägypten
                                 DACHAMUN bzw. DUCHAT-AMUN

Im Zusammenhang mit der Eheschließung des Pharaos Amenophis "Starker Stier" (= Sethos II User-A-cheperu-Re) mit der Schutarna-Tochter Giluchipa wird Schutarna als "Fürst von Mitanni" bezeichnet. Daraus ist jedoch nicht mehr der Aufenthalt dieses Meders im Hochzeitsjahr (= Jahr 10 des ägyptischen Kalenders = 637 ndFl) im "Land der Stadt Ekbatana", dem matu channig-alu-mitan, zweifelsfrei abzuleiten; denn das bedeutet, dass kurz nach dem Debakel mit der "Geschenksendung" des Astyages schon wieder ein Meder dem Nebukadrezzur in den Rücken fiel. Es ist davon auszugehen, dass Schutarna und seine Familie kurz darauf nach Kanaan flohen, wenn sie nicht schon mit dem Brautzug nach Ägypten gelangt waren, was ich für sehr wahrscheinlich halte.

Spätestens im Jahre 639 ndFl, und zwar offenbar sogleich nach der Einnahme der für die Ägypter so wichtigen Stadt Kadesch am Orontes, saß Schutarna als ägyptischer Statthalter hier.

Es ist kaum von der Hand zu weisen, dass Nebukadrezzur an die Stelle des Schutarna den noch sehr jungen Artaschumara in Ekbatana einsetzte. Dieser war ein Sohn des Samsi-Adad, und sein Stiefvater Schutarna hatte ihn vermutlich nicht sonderlich gut behandelt, so dass er sich mehr zu Nebukadrezzur hingezogen fühlte.

Astyages tötete Artaschumara und setzte seinen Großneffen, den zwölfjährigen Tuschratta, als König von Zentral-Medien in Ekbatana ein. Der letztere schreibt später an seinen künftigen Schwiegersohn Nimmuria (EA- oder Amarnabrief Nr. 17), dass Tuchi (= Taku, Tages, Isch-Tuegu = As-tyages), nachdem dieser Artaschumara getötet hatte, ihn, nämlich Tuschratta, "als halbes Kind" auf den Thron gesetzt habe.

Aus dem Brief Nr. 51 des Addu-nirari (= Adad-narari) an einen nicht näher bezeichneten Empfänger in Achet-Aton geht hervor, dass Manachpiria, der Großvater des Adressaten, den Großvater des Absenders, Taku (= Astyages, Vater der Semiramis, der Mutter des Adad-narari), zum König von Nuchasse gesalbt habe. Auf den Empfänger komme ich noch zurück.

Tuschratta war also nur Unterkönig im Großreich Nuchasse seines Großonkels Astyages, das vom Persischen Golf bis an den Kaukasus und an die Ägäis reichte. Herodot lässt keinen Zweifel daran, dass die Meder die Herren Asiens waren und dass dem Astyages ein persischer Schwiegersohn nicht auf Anhieb gefallen habe, den er dann aber doch nach einigem Abwägen akzeptiert habe. Andere, auch moderne Historiker sagen, es habe ein Gesetz in Mitanni (= Medien) gegeben, wonach Heiraten in ein und derselben Gesellschaftsklasse unerwünscht oder gar untersagt gewesen sei; die Klassen sollten sich offenbar vermischen. Was daran wahr oder nicht wahr ist, soll hier nicht untersucht werden. Auf jeden Fall waren die Meder auch in Rom, das zu dieser Zeit gegründet wurde, die angeseheneren Stadtpatrizier im Gegensatz zu den persisch-etruskischen Plebejern vom Land.

Tuschratta war aber auch, da seine Residenz Channigalbat (= Ekbatana) hieß, der von Assur-Uballit in den Amarnabriefen Nr. 15 und Nr. 16 erwähnte "channigalbatäische König". Daraus folgt, dass Astyages, wenn er auch zum Zeitpunkt dieser Korresondenz schon nicht mehr lebte, zu seinen Lebzeiten in einer anderen Stadt seine Residenz gehabt haben muss, und zwar denke ich dabei an Aleppo. In obigem Brief (Nr. 17) schreibt Tuschratta auch, dass er sich an Tuchi gerächt habe, indem er diesen und dessen Anhang getötet und sich selbst zum König gemacht habe. Das aber nehme ich ihm nicht ab; denn hinter dieser hochpolitischen Tat steckte offensichtlich ein Größerer, und zwar Tudhaliyas, der Aleppo eroberte, was einer hethitischen Quelle zufolge seinem Vorgänger, seinem Vater Hattusilis, versagt geblieben, ihm aber gelungen war.

Chatti = Hethiter

Der eigentliche Bezwinger Nebukadrezzurs, der Babyloneroberer Mursilis-Tudhaliyas-Ulamburiasch, war mit der Schaffung des Reiches Nuchasse unter Astyages sicherlich nicht zufrieden gewesen. Nach dem offensichtlich gewaltsamen Tod des 80jährigen Astyages übernahm er (644 ndFl) das Reich. Thutmoses-Manachpiria, seines Schwures eingedenk, niemanden ungestraft davonkommen zu lassen, der einen von ihm selbst Gesalbten antasten werde, handelte sofort:

Breasted1: Fast zwei Jahre waren jetzt vergangen, seitdem er (Thutmoses III) sich zuletzt in Naharina gezeigt hatte, und ... die dortigen Fürsten ... schlossen ein Bündnis mit einem der Stadtherrscher, wahrscheinlich mit dem König von Aleppo, den die Annalen Thutmoses des Dritten 'jenen elenden Feind von Naharina' nennen, an der Spitze und schritten gemeinsam zur Empörung. Im Frühling des 35. Jahres (Eig.Anm.: 644 ndFl) erschien Thutmoses III unverzüglich auf den Gefilden von Naharina. Es kam zur Schlacht mit den Verbündeten bei einem Ort Araïna, der wahrscheinlich irgendwo im unteren Orontestal lag. Hier wurde die Allianz der Naharinafürsten völlig erschüttert.

Wo auch immer Araïna gelegen haben mag - die Chatti erlitten offenbar eine Niederlage. Der Aleppo-Feldzug Manachpirias im Jahre 644 ndFl (das erwähnte 35. Jahr) kann bedenkenlos als seine Antwort auf den Aleppo-Frevel aufgefasst werden, und deshalb kann, wenn man die Reaktion des Ägypters in diesem Sinne wertet, von einer Ermordung des Astyages (in Aleppo) ausgegangen werden. Sollte Tuschratta der Täter gewesen sein - wie er sich selbst rühmt -, so waren dennoch andere dafür verantwortlich. Auf jeden Fall konnte Manachpiria durch seinen Sieg bei Araïna eine noch weitergehende Chatti-Expansion zunächst verhindern. Er setzte in Aleppo einen Mann ein, der dadurch zu einem Vasallen der Ägypter wurde. Es handelte sich dabei um Aramu-Menua, den er 649 ndFl jedoch durch den Assyrer medischer Abstammung ersetzte, durch Adad-narari, den Sohn des Samsi-Adad und der Semiramis, der Tochter des Astyages.

Die Ägypter schlossen mit dem besiegten Chatti-König Tudhaliyas sofort einen neuen Friedensvertrag und erneuerten auch den Beistandspakt, was aus einem weiter unten noch zu besprechenden Amarnabrief des Burnaburiasch hervorgeht, in welchem dieser auf den Versuch der Rebellen in Kanaan eingeht, seinen Vater für ihre gegen Ägypten gerichteten Ziele einzuspannen. Kurigalzu (= Mursilis I, Tudhaliyas) wies dieses Ansinnen mit dem Hinweis auf sein Bündnis mit dem Pharao entschieden zurück.

Die Gebiete Kleinasien, Medien-Mitanni, Assyrien und Babylonien gehörten fortan zum Reich Groß-Chatti, während die Ägypter die Länder Nii, Zinzar, Tunanat, Ube (Hauptstadt Damaskus) und vor allen Dingen (Rest-)Nuchasse, das jetzt nur noch Nordsyrien mit der Hauptstadt Aleppo umfasste, annektierten. Dadurch war der Euphrat erneut zur ägyptischen Grenze geworden, so wie damals unter Chus.

Manachpiria, der spätere Pharao Thutmoses III/IV Mencheperure, konnte nun seinen Grenzstein neben der von ihm wiedererrichteten Grenzstele seines "Vaters" (in konventioneller Sicht!) Thutmoses I (= Sesostris-Chus) aufstellen2.

Der Sammelbegriff für die an Ägypten gefallenen Gebiete könnte "Amurru" (= Scha-Imerischu) geworden sein, dem der Sammelbegriff "Kinachi" (= Kanaan) für die Länder weiter im Süden gegenüberstand. Die Vorstellung von einem "syrischen Kreuz", dem Überschneiden der Interessenssphären Ägypten-Medien einerseits und Kleinasien-Babylonien andererseits, entbehrt zu diesem Zeitpunkt jeder politischen Vorstellbarkeit. Unter Tudhaliyas-Mursilis-Kurigalzu war Mitanni-Medien ein Teil des Chatti-Reiches, und der "channigalbatäische König" Tuschratta war sein Vasall in Channigalumitan = Ekbatana.

Die Ägypter gaben auch in der neuen Friedensregelung ihren Anspruch auf Armenien-Urartu nicht auf. Im Jahr zuvor war Thutmoses-Manachpiria auf seinem 9. Feldzug (in seinem 34. Jahr = 643 ndFl) nach Bestrafung einer Unbotmäßigkeit in Zahi, wahrscheinlich in der Gegend des Libanon, auch im Süden tätig: Er gewann den Sohn des Häuptlings von Irem, des Nachbars von Punt, als Geisel3. Hier fallen zwei Dinge auf: erstens die Erwähnung von Zahi, das möglicherweise mit dem Land Zalchi, Zuchra oder Zuchri der Amarnabriefe identisch ist, und zweitens die Verlegung von Irem und Punt in den Süden. Irem ist natürlich Armenien, das Nachbarland von Punt-Kolchis, und sein "Häuptling" ist zu dieser Zeit Aramu-Menua = Erimena, Ariyaramnes. Dass Thutmoses diese Geiselnahme schon im Jahr darauf wieder rückgängig gemacht hätte, ist nicht anzunehmen.

Bis zum Jahre 653 ndFl regierte Tudhaliyas-Kurigalzu von Babylon aus. Er baute das von Nebukadrezzur im Duro-Tal nahe Babylon gegründete Heiligtum aus, wo sich die sowohl im Zusammenhang mit Assyrien als auch im Buch Daniel im AT erwähnte goldene Marduk-Statue befand, oder er benannte es lediglich um in Dur-Kurigalzu. Später hieß dieser Ort, der im Altertum zu einem mondänen Kurort ausgebaut worden zu sein scheint, Dura-Europos.

Tudhaliyas verheiratete eine seiner Töchter mit dem Urartäer Rusa, dem Sohn des Sarduri, des Sohnes von Teispes-Ischpuini. Der älteste Sohn aus dieser Ehe, Rusa IV, war Ischtar-Chundu, der Sohn der Schwester des Uman-Igasch = Suppiluliumas. Dieser Ischtar-Chundu wurde einer babylonischen Chronik zufolge der Nachfolger seines Onkels nach dessen Tod (687 ndFl). Rusa IV = Ischtar-Chundu ist nicht nur Kyros (II), der Ältere (Große), sondern vermutlich auch Tarkundimme und Tarkondemos. Alle diese Namen werden uns noch beschäftigen.

Kroisos, der von Kyros im Jahre 687 ndFl besiegt wurde, war ebenfalls ein Sohn des Tudh-Alyattes. Diesen Bruder hatte Suppiluliumas offenbar als Unterkönig von Lydien in Sardes eingesetzt. Kroisos hatte sich ausgerechnet, dass, wenn schon kein Sohn des Suppiluliumas bereitstand, um die Thronfolge anzutreten, er diese Aufgabe übernehmen könnte. Das wollte Rusa-Kyros nicht einsehen. Weshalb aber keiner der Söhne des Suppiluliumas die Thronfolge antrat, kann hier noch nicht erörtert werden.

In den Jahren 645 und 646 ndFl, zu denen die Annalen des Thutmoses-Manachpiria verlorengegangen sind (36. Jahr mit dem 11. Feldzug und 37. Jahr mit dem 12. Feldzug), ist offensichtlich nicht viel im Chatti-Reich geschehen. Auch das Jahr 647 ndFl (38. Jahr mit dem 13. Feldzug Manachpirias) war noch kein außergewöhnliches. Es scheint eine friedliche Zeit gewesen zu sein, wofür auch die freundschaftliche Korrespondenz zwischen Burnaburiasch = Arnuwandas, dem Sohn des Kurigalzu-Tudhaliyas, und dem jungen Prinzen Taharka Neb-cheru-Re (= Napchuria) spricht, der als Gaufürst seines Vaters Amenophis II Acheperure in der Echnaton-Stadt Achet-Aton residiert und für die ägyptischen Interessen in Syrien-Palästina zuständig ist.

Die Briefe von Tell El-Amarna

Die Amarnabriefe - abgekürzt auch EA-Briefe - wurden in Tell El-Amarna in Ägypten gefunden, in dem Archiv der ehemaligen Echnaton-Stadt Achet-Aton, die während der so genannten Amarnazeit die Residenz der Vizekönige von Unterägypten war. Die hier ansässigen Könige waren für die ägyptischen Provinzen Kanaan und Phönizien (= Amurru) zuständig, vermutlich aber auch für Edom und das ganze Ostjordanland. So stellen die Briefe von und die Kopien der Briefe an die Stadtfürsten in Kanaan und Phönizien den größten Teil der bekannten Korrespondenz. Ein Briefverkehr mit den Stadtfürsten der Ostregion wurde hier jedoch nicht gefunden.

Diese Tontafelbriefe sind zum überwiegenden Teil in Keilschrift-Aramäisch abgefasst, der damaligen Diplomatensprache. Das gilt auch für die "Königsbriefe", die von ausländischen Herrschern geschrieben bzw. an diese gerichtet wurden. Die ausländischen, nicht den Ägyptern untergeordneten Könige waren ebenfalls nur Vizekönige von gleichem Rang wie die Könige in Achet-Aton. Eine Korrespondenz von Großkönig zu Pharao oder umgekehrt kann demnach in Achet-Aton schwerlich archiviert worden sein, möglicherweise gibt es aber Ausnahmen.

Knudtzon4, der Übersetzer der Amarnabriefe, war natürlich in der heute noch gültigen Vorstellung befangen, dass der Pharao Amenophis III Neb-maat-Re = Nimmuria der Empfänger der an Nimmuria gerichteten Briefe gewesen sei, der - was aus Knudtzons Sicht ebenso verständlich ist - vor seinem vermeintlichen Nachfolger und Sohn Amenophis IV "Echnaton" = Nefer-cheperu-Re = "Naphuria" regiert haben müsste, für den die an Napchuria gerichteten Briefe bestimmt waren. Vermutlich hat man die Umschreibung nap-hu-ri-a griechisch nafuria wie nefer gelesen, was ein mutwilliger Verstoß gegen die Ausspracheregeln gewesen wäre; denn unter dem h in naphuria liegt in der Umschrift jener Bogen, der eindeutig die Aussprache eines deutschen ch fordert.

Da in konventioneller Sicht der Pharao Amenophis III nicht in der erst angeblich von seinem Sohn "Echnaton" gebauten Stadt Achet-Aton residiert haben kann, muss in dieser Sicht unterstellt werden, dass die Briefe und Kopien Nimmurias nach dessen Tod aus Theben nach Achet-Aton, in "die neue Hauptstadt", verlagert wurden. Auf diesen Transport kann die berichtigte Geschichte verzichten.

Wie ich an anderer Stelle schon gesagt habe, war Napchuria Taharka. Er war entgegen der in der konventionellen Altertumskunde vertretenen Auffassung, nach der Naphuria Echnaton und ein Sohn des Amenophis III Neb-maat-Re gewesen sei, ein Sohn des Sethos-Amenophis II User-A-cheperu-Re und der Teje, einer Tochter des Priesters Eje = Cheper-cheperu-Re Ai bzw. Juja oder Chaja (sein Name in den EA-Briefen) und der Tuja. Als ältester Sohn der Hauptfrau Teje, die auf einem Hochzeits-Skarabäus aus dem Jahr 10 = 637 ndFl mit dem Titel "Große königliche Gemahlin" aufgeführt wird, war Napchuria als Thronfolger legitimiert. Frühestens im Jahre 648 ndFl, spätestens jedoch im Jahr darauf, kam er nach Achet-Aton, und schon 650 ndFl holte ihn sein (kranker?) Vater vermutlich als Mitregent oder in weiser Voraussicht der kommenden Ereignisse nach Theben.

Knudtzon hat aus diesen begreiflichen Fehleinschätzungen heraus den Briefwechsel zwischen Kadaschman-Charbe und Nimmuria konsequent an den Anfang der Amarnakorrespondenz gesetzt. Die Briefe tragen die Nummern 1 bis 5. Tatsächlich sind jedoch die Briefe des Burnaburiasch an Napchuria älter. Kadaschman-Charbe muss demnach der Nachfolger des Burnaburiasch und nicht dessen Vorgänger in Karduniasch gewesen sein, da seine Briefe an Nimmuria gerichtet sind, der zwar nicht der unmittelbare, aber doch ein Nachfolger des Napchuria in Achet-Aton war; aber in gewisser Weise hat die konventionelle Wissenschaft auch wieder recht:

Taharka-Napchuria hat sowohl vor Nimmuria (= Neb-maat-Re) als auch nach dessen Zeit in Achet-Aton residiert. Es muss nach eingehender Betrachtung der Amarnakorrespondenzen mit Napchuria (es sind nur Briefe an ihn erhalten geblieben, nicht aber Abschriften seiner Briefe an andere) davon ausgegangen werden, dass es zwei verschiedene Zeiten gegeben hat, in denen dieser in Achet-Aton saß. Es gab demnach eine Amtszeit A und eine Amtszeit B des Napchuria. Es handelt sich im einzelnen um folgende Briefe:

Nr. Absender Adressat
7 - 11 Burnaburiasch Napchuria (Zeit A)
(12 - 14 gehören ebenfalls in diese Zeit)
15 + 16 Assur-Uballit Napchuria (Zeit A)
(Nr. 15 evtl. an Nimmuria?)
6      Burnaburiasch (unleserlich: ---a--) mit
größter Wahrscheinlichkeit
an Schabaka und nicht, wie
Knudtzon-Weber vermuten, an
Nimmuria gerichtet
1 -  5 Kadaschman-Charbe Nimmuria (wechselseitig)
17 - 24 Tuschratta Nimmuria
25 - 29 Tuschratta Napchuria (Zeit B)
(26 Tuschratta an Witwe Teje)
41      Suppiluliumas Napchuria (Zeit B)

Die A-Briefe stammen aus der Zeit, in der Napchuria Unterkönig seines Vaters Sethos-Amenophis II User-Acheperure in Achet-Aton war. In der Zeit B war Napchuria unter Pharao Amenophis III Nimmuria in Achet-Aton Gaukönig (663-669 ndFl) als unmittelbarer Nachfolger des Gaukönigs Nimmuria. Da Napchuria nicht vor 628 ndFl geboren sein kann, ist der Beginn der Zeit A frühestens 648 ndFl anzusetzen.

Von den hethitisch-kassitischen Magnaten korrespondierten mit Achet-Aton Burnaburiasch (= Arnuwandas), Kadaschman-Charbe (bzw. -Bel oder -Ellil), Assur-Uballit und Suppiluliumas. Erwähnt werden in den Amarnabriefen Karaïndasch und Zitana (= Asitawandas). Tudhaliyas erscheint unter diesem Namen nicht, sondern in der Form Assur-nadin-ach als der Vater des Assur-Uballit und in der Form Kurigalzu als der Vater des Burnaburiasch. Eine direkte Korrespondenz mit Ägypten liegt weder von ihm noch von Zitana und ebenfalls nicht von Karaïndasch vor. Vorab muss aber eines noch unbedingt klargestellt werden:

Von Babylon aus fand keine Korrespondenz mit Achet-Aton statt. Die Annahme, die so genannten "Karduniasch-Briefe" seien aus Babylon gekommen bzw. nach dort abgegangen, ist abwegig. Diese Briefe wurden zwischen Achet-Aton und dem Isin-Meerland Kleinasien ("Bithynien") gewechselt.

Es handelt sich um Briefe auf der zweiten Ebene, die nicht zwischen dem Pharao und dem Chatti-Großkönig, sondern zwischen deren Unterkönigen gewechselt wurden. Auch nach seinem Umzug nach Hattusas, wo er von 653 bis 656 ndFl noch residierte, korrespondierte Mursilis-Tudhaliyas nicht mit Achet-Aton. Das ist verständlich, da hier nur ein Vizekönig saß, mit dem sich ein Großkönig nicht zu unterhalten brauchte.

Letzter Stand: 9. März 2014


1 J.H. Breasted, Geschichte Ägyptens, Seite 191/192
2 J.H. Breasted, Geschichte Ägyptens, Seite 187;
3 Ebenda, Seite 191
4 Alle die Amarnabriefe betreffenden Zitate sind entnommen Knudtzon-Weber, Die El-Amarna-Tafeln, Verlag Otto Zeller
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