Achtes Buch: 656 bis 676 ndFl

1. Kapitel:

Die Medo-Perser
Teil IV: Vorderasien von 656 bis 676 ndFl (4. Teil)

Der Feldzug Scharukins (675 ndFl) nach dem Louvre-Text

Der Louvre-Text berichtet uns, dass im Frühsommer 714 (vor Chr.) die assyrische Armee aus (der Garnisonsstadt) Kalchu auszog mit einer grossen Karawane von Kamelen und Eseln, den oberen und unteren Zab während eines Hochwassers überquerte und in ein nahezu unpassierbares Gebirgsgebiet hinaufstieg. Es gibt eine lebendige Schilderung der dicht bewaldeten Berge mit ihren tiefen Schluchten, in die die Sonnenstrahlen nicht eindrangen, der zahlreichen Flüsse, die überquert werden mussten, wobei die Soldaten "über das Wasser fliegen mussten wie Adler" und die Kamele und Esel des Trosses "wie Gebirgsziegen springen mussten".53

Falls dieser literarische Bericht tatsächlich von Scharukin persönlich verfasst worden sein sollte, woran ich kaum zweifele, dann bestätigt das auch meine Annahme, dass nicht Assurbanipal die Ninive-Bibliothek zusammentrug, und dass nicht er (und auch nicht Sargon I) es war, der die an die biblische Moses-Erzählung erinnernde Sargon-Legende schuf, sondern sein Sohn Sin-schar-ischkun = Assurnasirpal. Der scheint ein "Feldherr und Poet dazu" gewesen zu sein. Seine literarische Veranlagung hinderte ihn jedoch nicht daran, Urartu zu verwüsten, furchtbare Greueltaten zu begehen und seinen Vater zu ermorden.

Nach Bezwingung von sechs Gebirgspässen und zwei Flussüberquerungen auf Flößen stieg Sargons Armee in das Land Mannai hinab, wo der assyrische König von den Herrschern der einzelnen Distrikte Geschenke erhielt. Sargon gab die Zusicherung, dass er die Urartäer besiegen, die Mannäer von ihrem Joch befreien und die früheren Grenzen wieder aufrichten werde.54

Die Meder unter dem Joch der Urartäer? Mittlerweile hatte sich wohl das Blatt gewendet. Arsames-Rusa III hatte sich zum Oberherrn über die Mitanni-Meder gemacht. Die Perser von Parsumasch-Urartu waren die Vormacht im Nahen Osten geworden. Kein Wunder, dass sich Kyros und Darius, ein Verwandter und ein Nachfahre des Arsames-Rusa, später für die legitimen Herrscher in Asien hielten.

Arsames-Urzana-Rusa III hatte Mattiuw-Aza nach der Vertreibung des Daiukku-Deiokes-Tuschratta wieder in Mannai-Mitanni-Medien eingesetzt, und Suppiluliumas machte ihn sogar zu seinem Schwiegersohn. Der Feldzug des Schar-ukin des Jahres 675 ndFl richtete sich deshalb in erster Linie gegen Mattiuw-Aza = Metatti von Mitanni-Mannai-Medien, wie aus dem Louvre-Bericht deutlich hervorgeht, und dann natürlich gegen dessen Bundesgenossen, die den Halys-Krieg noch nicht für beendet ansahen.

Aber anstatt sich nach Nordwesten aufzumachen (d.h. nach Urartu), wandte er (Schar-ukin) sich nach Osten, den Ländern Zikirtu und Andi zu. Nachdem er die Grenzfestungen mit Vorräten versehen hatte, marschierte er in Zikirtu ein. Der Herrscher dieses Landes, Metatti, wich dem Kampf aus, ließ seine Stadt Parda und seine Schätze in seinem Palast zurück und floh in die Berge.55

Die Hauptstadt des Mattiuwaza, des Sohnes des Tuschratta, sollte eigentlich Uausch-Channig-alu-mitan = Waschukanni = Ekbatana sein. Es ist nicht auszuschließen, dass Parda ein anderer Name für diese Stadt ist, da Ekbatana nicht weitab von der Route liegt, die Scharukins Armee genommen hatte.

Sargon brach plötzlich die Verfolgung des Feindes ab und änderte die Vormarschrichtung. Er hatte durch einen Agenten des Sicherheitsdienstes erfahren, dass Rusa und seine Verbündeten, die Führer der Gebirgsstämme, ihn im Rücken umzingelt und ihre Truppen in den Schluchten des Gebirges Uausch (des heutigen Sahand) aufgestellt hatten. "Mein Bote setzte mich in Kenntnis über die Annäherung und das Anwachsen der Zahl ihrer Truppen", berichtet Sargons Darstellung.56

Vermutlich war es nicht in Schar-ukins Plänen vorgesehen, dass sich die Urartäer hier einmischten, obgleich es auch nicht anders zu erwarten war. Schließlich war Rusa III der einzige noch Ernst zu nehmende Gegner für die Assyrer in dieser Region. Für diese Sicht der Dinge spricht auch der folgende Brief:

Die Korrespondenz des Ninive-Archivs enthält einen Brief, der dazu reizt, darin den Bericht des Boten wiederzusehen, auf den im Louvre-Text Bezug genommen wird. Darin sagt Bel-iddin - offenbar der Herrscher des Landes Allabria, das im Louvre-Text erwähnt wird - über den urartäischen König: "Der Bote des Herrschers von Andi und der Bote des Herrschers von Zikirtu kamen zu Uasi und sagten zu ihm: 'Der König von Assyrien ist gegen uns heraufgezogen.' Sobald er die Boten angehört hatte, machte er sich auf den Weg nach Zikirtu. Mit seinen Truppen und dem Herrscher von Chubcha machte er einen Fünftagemarsch und kehrte dann um. Zu den Grossen seines Reiches sagte er: 'Versammelt eure Streitkräfte, damit wir den König von Assyrien vernichten, indem wir ihn im Rücken angreifen!'." Es ist interessant, dass dieser Brief in schlechtem Assyrisch mit grammatischen und orthografischen Fehlern geschrieben ist.57

Uasi ist Uassurme = Ursa-Urzana-Arsames, also Rusa III, der Sohn des Erimena. Der Herrscher von Chubcha kann eventuell Suppiluliumas von Chatti sein. Es kann sich aber auch um einen Unterkönig Rusas aus dem Gebiet handeln, das zuvor von Rusa als Vizekönig verwaltet worden war, nämlich von Tabal bzw. Uasi, dem Land der Stadt Mussassir. Dass hier trotzdem noch die Residenz des Grosskönigs Rusa III von Urartu war, ändert daran nichts. Der Grosskönig wohnte im Alten Orient stets in einer Stadt, die mitsamt ihrem "Bezirk" von einem "Satrapen" verwaltet wurde. Eine Hauptstadt in der Art "Washington D.C." gab es damals nicht. Der Name dieses Satrapen dürfte Ambaris gelautet haben.

Bel-Iddin dürfte Merodach-Baladan = Nabopolassar von Südmesopotamien gewesen sein, der bei Xenophon als Gefolgsmann des letzten Königs von Assyrien geschildert wird und Gobryas heißt. Der letzte König von Assyrien ist aber niemand anderer als (Sin-)Schar-ukin bzw. -ischkun. Marduk- apal-idin = Nabu-apal-ussur (so die vollen Namen des Merodachbaladan-Nabopolassar) setzte sich selbst im folgenden Jahr in Babylon auf den Thron, der ihm aber im Jahr darauf von Salmanassar wieder abgenommen wurde.

Nachdem Sargon die Information über die Position der urartäischen Armee erhalten hatte, eilte er in das Land Uischdisch. Er reiste im Kriegswagen in Begleitung einer Schwadron Kavallerie unter der Leitung seines Vertrauten Sin-achche-ussur, dessen Palast dicht bei dem Königspalast in Dur-Scharukin lag. Sodann brach er ohne Vorwarnung auf das urartäische Lager los und schlug die Urartäer vernichtend. Die urartäischen Truppen, Bogenschützen und Speerkämpfer, konnten dem Angriff nicht standhalten, und "die Bergesschluchten wurden gefüllt mit ihren Leichen, und Blut floss wie ein Strom". Ein grosser Teil der Kavallerie, urartäischer Adel, wurde gefangengenommen. "Auf dem Berge Uausch brachte ich der Armee Urartus, meines erbitterten Feindes, und ihren Verbündeten eine Niederlage bei und schlug sie in die Flucht. Mit ihren Pferden füllte ich die Gebirgstäler und Schluchten, und sie selbst flohen wie aufgeregte Ameisen auf schwierigen Wegen." Rusa selbst, so wird uns berichtet, ließ seinen Kriegswagen und sein Schlachtross zurück und floh auf einer Stute.58

Sin-achche-ussur ist möglicherweise der General des Assur-etil-ilani mit dem Namen Sin-schum-lischir, der zwischen Assur-etil-ilani, dem angeblichen Sohn und Nachfolger Assurbanipals, und dem Sohn Sin-schar-ischkun des Assurbanipal konventionell auf dem Thron von Assyrien gesehen wird. Sin-schum/ach-lischir/ussur wäre mit seinem schum- Namen ein Sohn des Samsi-Adad gewesen.

Nach der Niederlage der Urartäer in Uischdisch rückte Sargons (Scharukins) Armee entlang der Ostküste des Urmiasees vor, um den Feind zu verfolgen. Eine Festung nach der anderen wurde zerstört und das ganze Land verwüstet. Die reichen Getreidevorräte in den Speichern fielen der Armee zum Opfer. Dann zog Sargon durch die Provinz Subi, wo die Gestüte für die urartäische Kavallerie lagen. Er zerstörte die Stadt Ulchu, die als Zentrum für Ackerbau und Pferdezucht beschrieben wird.

Die Steinmauern der Stadt wurden zerschlagen "wie ein irdenes Gefäß" und "mit Eisenäxten und mit Schwertern" dem Erdboden gleichgemacht. Der Palast erlitt das gleiche Schicksal. Die "bis zum Rand gefüllten Getreidespeicher der Stadt" und die Weinkeller wurden den Soldaten zur Plünderung freigegeben. Die Assyrer "ließen den duftenden Wein durch Tonrinnen fließen wie Flusswasser". Der Auslass des Kanals, der das Trinkwasser zur Stadt brachte, wurde verstopft, so dass das ganze Gebiet sich in einen Sumpf verwandelte. Im ganzen umliegenden Land war "der Schall eiserner Äxte zu hören". Die Gärten wurden vernichtet, die gefällten Bäume wurden aufgeschichtet und auf der Stelle verbrannt. Die Ernte wurde bis zur letzten Ähre vernichtet. Das Weideland wurde von der Reiterei und den Fußsoldaten zertrampelt.

Die Armee Sargons zog sodann weiter um den Urmiasee herum und nahm dann Richtung auf die Nordwestecke des Wansees. Es scheint, dass sie an der Hauptstadt Tuschpa vorbeimarschierte und um die Nord- und Westküste des Sees herumzog. Die genaue Route ist bisher nicht ermittelt worden. Nach seinem Einmarsch in das Land Naïri im Süden des Wansees entschloss sich Sargon auf seinem Rückweg, einen Überraschungsangriff auf Mussassir zu unternehmen, dessen Herrscher Urzana ein Verbündeter des urartäischen Königs war.59

Die Pferdezucht war im Altertum eigentlich die Domäne der Mitanni. Wegen der engen Verbindungen und der wirtschaftsgeografischen Nähe zwischen Medien und Urartu kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Urartäer ebenso gute Pferdezüchter waren wie die Mitanni. Es drängt sich ohnehin die Frage auf: Wird hier Elam-Medien (= Uischdisch, Uausch?) oder Elam-Urartu (= Subi?) zerstört?

Assurbanipal rühmt sich der Totalzerstörung Elams. Konventionell denkt man hier an das Elam (elamtu = Hochland) auf dem Persischen Hochland. Bei der Schilderung des "Louvre"-Feldzuges drängt sich dem Leser ein anderes Elam auf, nämlich das Gebiet Urartu-Medien. Tuschpa war seit dem Tode Rusas I nicht mehr die Hauptstadt. Deshalb brauchte man dort auch nicht hin. Assurbanipal scheute nicht vor der Geschmacklosigkeit zurück, das Haupt des Elamiterkönigs in seinem Garten an einem Baum aufzuhängen und diese Szene auch noch reliefieren zu lassen.

Man sagt, es handele sich dabei um das Haupt des Te'Uman, den ich jedoch für Suppiluliumas halte, dessen Haupt indes wohl kaum in einem Palastgarten in Ninive aufgehängt worden sein kann. Sollte es sich tatsächlich um das Haupt des Te'Uman handeln, dann muss es sich bei diesem um M(et)at-Ti'Uwaza handeln, der vor der Armee Scharukins zunächst geflohen war, der dann aber wohl doch gefangengenommen wurde. Der Vatermörder Mattiuwaza soll selbst ebenfalls ermordet worden sein: Vatermörder in spe, also Schar-ukin, ermordet Vatermörder?

Mussassir lag tief in den Bergen. Nach einem strapaziösen Marsch erschien die assyrische Armee plötzlich vor der Stadt und verbreitete sich "wie Heuschrecken" über das umliegende Land. Der Louvre-Text gibt eine lebendige Schilderung der Panik und Verwirrung in der Stadt, der Opfer, die Chaldi dargebracht wurden, um das Unheil von der Stadt abzuwenden, und des Angriffs, bei dem Sargon "das Kriegsgeschrei der Armee über der Stadt wie Donner widerhallen ließ".60

Urzana ließ seinen Hausstand zurück und floh in die Berge. Mussassir wurde eingenommen ... Sargon hielt siegreichen Einzug in Urzanas Palast und "setzte sich auf den Thron wie ein Herrscher".61

Offensichtlich hatte Urzana-Rusa III, der Sohn des Aramu-Erimena, in Mussassir seine Residenz behalten, weshalb man Tuschpa umgehen konnte. Hier hatte sein Vorgänger Rusa I residiert. Insofern ist der "plötzliche" Entschluss Scharukins, der Stadt Mussassir "noch einen Gelegenheitsbesuch" abzustatten, eine Fehlinterpretation; hier war die Residenz des "erbitterten Feindes". Dass sich nun Schar-ukin auf diesen Thron setzte, und zwar als Herrscher und nicht nur wie ein Herrscher, verleitet zu der Annahme, dass er sich später, nach der Ermordung seines Vaters, in diese abgelegene Gegend, die ihm als Herrschaftsbereich zugefallen war, zurückzog. Einen anderen Teil des "Landes Ararat" konnte er sich wohl kaum als Exil aussuchen; denn dort war er wegen der angerichteten Verwüstungen missliebig geworden.

Der assyrische König Sanherib wurde im Jahre 681 (v.Chr.) bei einer Palastrevolution ermordet. Nachdem Asarhaddon (681-668 v.Chr.) den Thron bestiegen hatte, flohen Sanheribs Mörder nach Nordwesten in das Land Schupria, das an der Grenze Urartus liegt.62

Wenn dieser Version, nach der Schar-ukin nicht direkt nach Urartu, sondern in ein Land an der Grenze floh, mehr als der biblischen zu trauen ist (Land Ararat oder Armenien), dann braucht der Frage, wieso dem "Verwüster Elams" in diesem Land Asyl gewährt wurde, kein allzu grosses Gewicht beigemessen zu werden. Bei Schupria kann es sich aber auch um das Land Chubcha handeln, das Schar-ukin gehört haben könnte und wo er möglicherweise Freunde hatte, die von der "Verwüstung Elams" profitiert hatten.

Die Vorratsräume des Palastes waren mit Schätzen gefüllt. ... Nachdem Sargon die Schätze aus Palast und Vorratsräumen in Besitz genommen hatte, sandte er seine Getreuen und Führer seiner Armee in den Tempel des Chaldi, wo noch reichere Beute wartete. ... Der Text gibt eine detaillierte Liste der Wertgegenstände, die aus dem Tempel geraubt wurden.63

Unter der Beute, die im Palast gemacht wurde, waren Rusas Silberkelch und Kelche des Landes Tabal mit Goldhenkeln.

Wir gehen also nicht fehl in der Annahme, dass es sich um Rusa-Uassurme, den Herrscher von Tabal, handelte, der in dieser Stadt seine Residenz hatte. Weitere Beute wurde im Tempel des Chaldi gemacht:

In einem späteren Abschnitt zählt der (Louvre-)Text einige grosse Kupfer-(oder besser Bronze-)Skulpturen auf, die im Tempel standen ...: ... eine Statue in Gebetshaltung des Sarduri, des Sohnes des Ischpuini, des Königs von Urartu, ...ein Stier und eine Kuh mit Kalb, die Sarduri, der Sohn des Ischpuini, hatte gießen ... lassen. Eine Statue des Argischti, des Königs von Urartu, gekrönt mit der sternenförmigen Tiara seiner Gottheit, die rechte Hand zum Segen erhoben, ...64

Die Tatsache, dass Argischti mit der Tiara, der Krone des Grosskönigs mithin, abgebildet ist, spricht dafür, dass er zur Zeit der Plünderung von Mussassir bereits der Oberherr ganz Urartus gewesen war. Dasselbe möchte ich von Sarduri, dem Sohn des Ischpuini, nicht annehmen. Dann aber müsste Mussassir zu seinem Gebiet (um den Wansee) gehört haben, bis es später von seinem Sohn Rusa I an Urzana-Rusa III übergeben wurde. Das bedeutet, dass die Statue des Ursa (= Rusa) mit zwei Pferden und dem Pferd eines Pferdelenkers, dazu der Podest aus Kupferguss, auf dem des Königs Selbstruhm zu lesen war: "Mit meinen beiden Pferden und dem meines Pferdelenkers eroberte ich das Königreich Urartu" völlig zu Recht von mir dem letzten Rusa, dem Ursa-Urzana, zugeschrieben worden ist; denn die Statue eines anderen Rusa hätte sich nach Urzana-Rusa III, der nach Rusa I erst König von Urartu war, kaum noch hier finden lassen. Dazu stellt Pjotrowski fest65:

Die Inschrift auf dem Podest der Statue des Rusa hat natürlich das Interesse der Historiker erregt. Man hat zum Beispiel vermutet, dass Rusa nicht der Sohn seines Vorgängers Sarduri war, sondern ein Usurpator, der Begründer einer neuen Dynastie. Aber das steht im Widerspruch zu der Filiation "Rusa, der Sohn des Sarduri" in den Inschriften des Königs. Wenn Rusa wirklich nicht der legitime Thronerbe gewesen wäre, dann würden die assyrischen Annalen nach ihrer Gewohnheit darauf hinweisen. ...

Bis hierher; denn das genügt, um festzustellen, dass dieses Problem mit einer berichtigten Chronologie gar nicht erst aufgetaucht wäre.

Die kulturhistorische Bedeutung des Tempels von Mussassir ist nicht zu übersehen:

Besonders interessant ist einer der ältesten urartäischen Tempel, der nach schriftlichen Quellen von den Urartäern in der Stadt Mussassir am Ende des neunten Jahrhunderts v.Chr. (folglich unter Menua, dem Sohn des Ischpuini) erbaut wurde. Dieser Tempel ist auf einem Relief im Palast des assyrischen Königs Sargon abgebildet, das die Plünderung im Jahre 714 zeigt. Der Tempel ist auf einer hohen Plattform errichtet und hat ein verpichtes Dach mit hohem Giebel, auf dessen Spitze sich ein Emblem in der Form eines Speeres befindet. Die Fassade hat sechs Säulen, in der Mitte eine niedrige Tür. Die Wände und Säulen sind mit Gold- und Silber-Schilden geschmückt. Am Eingang stehen zwei bronzene Statuen in Gebetshaltung und zwei grosse Speere.

Es ist auf den ersten Blick deutlich, dass der urartäische Tempel, der auf dem Sargon-Relief abgebildet ist, sich vollkommen von den mesopotamischen unterscheidet. Er steht vielmehr in näherer Verwandtschaft zu den Tempeln von Kleinasien, die zum Prototyp der klassischen Tempel Griechenlands wurden.66

Es handelt sich bei den "Speeren" vermutlich um Schreibgriffel; denn Chaldi = Nabu, dem dieser Tempel geweiht war, war der Gott der Schreiber. Möglicherweise waren es auch zudem noch Blitzableiter. Dieses Vorbild der klassischen Tempel Griechenlands entstand zu einer Zeit (unter Menua heißt: um 640 ndFl), als von einem klassischen Griechenland noch keine Rede sein konnte.

Der Feldzug, für den Sargon so eingehende Vorbereitungen getroffen hatte, wurde auf diese Weise von Erfolg gekrönt. Die assyrischen Annalen berichten lakonisch: "Als Ursa (= Rusa), der König von Urartu, hörte, dass Mussassir zerstört worden und sein Gott Chaldi fortgeschleppt war, machte er eigenmächtig mit einem Eisendolch, den er an seiner Seite trug, seinem Leben ein Ende".67

Bei der Zerstörung Urartus handelt es sich offenbar um den Elam-Feldzug des Assurbanipal, der konventionell sehr unsicher um das Jahr 645 oder 640 v.Chr. angesetzt wird, das heißt (gerechnet von 668 v.Chr. an) um dessen 14. bis 19. Regierungsjahr etwa. Das Jahr 675 ndFl ist das 35. Jahr Assurbanipals seit 641 ndFl (Tiglath-Pileser bzw. Assurbanipal regierte 37 Jahre) und das 23. Jahr seit 653 ndFl (Sanherib regierte 24 Jahre) sowie das 17. Jahr seit 659 ndFl (Tiglath-Pileser bzw. Sanherib regierte 18 Jahre). Die unterschiedlichen Regierungslängen ergeben sich aus den falsch interpretierten Angaben der alten Chroniken. Hauptsächlich wurden Regierungs- und Feldherrnjahre nicht sauber getrennt.

Bezogen auf die 36jährige Gesamtregierungszeit Assurbanipals (668-632 v.Chr. entsprechend 641-677 ndFl) bedeutet das: der Elamfeldzug fand in dessen 35. Jahr (634 v.Chr.) statt. Die konventionellen Datierungen stimmen am besten mit dem 23. Jahr Sanherib-Assurbanipals überein, also mit 683 bzw. 646 v.Chr. Das letztere Datum entspricht der konventionellen Angabe "um 645/640 v.Chr.". Neuere Datierungen nennen auch 655 v.Chr., was dem 14. Jahr Assurbanipals entspräche. Für uns sind die konventionellen Mutmaßungen nicht relevant.

Das letzte Auftreten des Namens von Rusa II (Pjotrowski bezeichnet Rusa, den Sohn des Argischti, den er wiederum irrtümlich für Argischti II, den Sohn des Rusa I, hält, als Rusa II) in den assyrischen Annalen aus der Regierungszeit Assurbanipals steht in Verbindung mit Ereignissen im Jahr 654 v.Chr. Daraus können wir schließen, dass zwischen dem Tod Rusas II und dem Fall Urartus in den Jahren 590-585 v.Chr. etwa 60 Jahre vergangen sind. Während dieser Zeit wurde der urartäische Thron von fünf Königen eingenommen, von denen nichts weiter als ihr Name bekannt ist.68

Wie schon mehrfach gesagt wurde, ist Rusa II der Sohn des Argischti I, des Sohnes von Menua. Seine Regierungszeit beginnt erst nach Sarduri III oder parallel dazu. Was die 60 Jahre und die fünf Könige angeht, so liegt hier ein konventioneller Irrtum vor, mit dem wir uns aber an dieser Stelle noch nicht zu befassen brauchen.


 

Die Zeit nach Rusa III

Nach dem Tode des Rusa III, des Sohnes des Erimena, könnte dessen Sohn Sarduri III, der Sohn des Rusa (III = Arsames) und Bruder des Hystaspes auf den Thron gekommen sein. Eine Identität dieses Sarduri III mit Hystaspes ist nicht auszuschließen. Sollte sie zutreffen, dann muss Sarduri III die Region Kommagene seines Vaters beherrscht haben, während sein Vetter Rusa, der Sohn des Argischti, in Armenien und Rusa IV, der Sohn des Rusa I (= Tarchunda-Rausch von Arzawa), sein Vetter zweiten Grades, in Aza-Arzawa regierten. Das heißt, alle drei müssten parallel zueinander drei Teile Urartus - und zwar zunächst als Vasallen der Assyrer - verwaltet haben.

Während der Exilzeit Schar-ukins im "Lande Ararat" wurde das Land Tabal-Uasi, das dem Vatermörder gehört zu haben scheint, zu dessen Domizil. In der von ihm geplünderten Stadt Mussassir könnte er mit seinem armenischen Freund Rusa II, dem Sohn des Argischti I, Umsturzpläne für Assyrien geschmiedet haben. Darunter verstand Schar-ukin gewiss auch die Erlangung der Oberherrschaft als Grosskönig von Assyrien über Urartu, Chatti und Medien-Mitanni. Was aus diesen hochfahrenden Plänen wurde, wird sich in einem späteren Kapitel zeigen.

Rusa II war von den assyrischen Feldzügen nicht betroffen. Es ist sogar denkbar, dass er mit seinem älteren Bruder Sarduri II gemeinsam im Jahr 670 ndFl nach Assyrien geflohen war. Sarduri II scheint inzwischen verstorben zu sein. Rusa III muss während seiner Regierungszeit als König von Gesamturartu einen Vertrag mit einem gewissen Ambaris geschlossen haben, den er in Tabal, seiner letzten eigenen Region als Unterkönig, auf den Thron setzte. Seiner konnte Schar-ukin im Jahre 675 ndFl offenbar noch nicht habhaft werden; daher unternahm er im Jahr darauf einen weiteren Feldzug in diese Region, in das Land, das er seit dem Vorjahr als sein Eigentum betrachtete.

Im Westen schloss Rusa einen Vertrag mit Ambaris, dem Herrscher von Tabal. Sargon reagierte darauf 713 v.Chr. (entsprechend 676 ndFl) durch die Entsendung einer Armee gegen Tabal und brachte Ambaris gefangen nach Assur.69

Da nach dem Feldzug des Jahres 714 v.Chr., den die Assyrer gegen Rusa-Ursa-Uasi geführt hatten, dieser Selbstmord beging, kann im Jahr darauf kein Vertrag mehr von und mit ihm geschlossen worden sein. Es handelt sich daher um einen Vertrag, der schon vorher geschlossen worden sein muss. Der andere Rusa, als welcher nur noch Rusa II, der Sohn des Argischti, in Frage kommt, muss als Freund des Schar-ukin angesehen werden und kann daher keine gegen die Assyrer gerichtete Allianz eingegangen sein.

Bei Ambaris handelt es sich um den Nachfolger des Uassurme von Tabal auf dem Thron dieses Landesteiles, um den Nachfolger des zum König von Urartu aufgestiegenen Uassurme-Arsames-Rusa III.

Im 27. Jahr Salmanassars III wurde ein Siduri, der mit dem oben erwähnten Sarduri III identisch zu sein scheint, von einem assyrischen Heerführer besiegt:

Gegen Ende der Regierung Salmanassars (III) hatten die Assyrer wieder eine Streitmacht nach Urartu entsandt. Aber im 27. Jahr seiner Regierung war der betagte König nicht mehr imstande, den Befehl selbst zu übernehmen, sondern die Armee, die er gegen das Land Urartu entsandte, wurde von seinem General Dajan-Assur angeführt.70

Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass Dayan-Assur der Feldherr Assur-Da(ya)n = Asarhaddon = Salmanassar seines Vaters Sanherib-Assurbanipal ist, der in seinem 27. Jahr (entsprechend 675 ndFl) ebenfalls in Urartu Krieg führte wie sein Bruder Schar-ukin. In den Annalen zu seinem 27. Feldherrnjahr schreibt Salmanassar:

Als die Assyrer den Arzani (Aratsani) überquerten, "hörte Siduri (Sarduri), der Herrscher von Urartu, davon und brach im Vertrauen auf die Stärke seiner grossen Armee hervor, um die Schlacht zu beginnen." Zwölf Jahre nach der letzten Erwähnung des urartäischen Herrschers Aramu begegnen wir in den Annalen des Jahres 834 v.Chr. (hier ist ein sinnentstellender Übersetzungs- oder Druckfehler schon berichtigt worden) einem neuen Herrscher mit Namen Siduri (Sarduri), der seitdem häufig in der urartäischen Königsdynastie auftritt.71

Aramu wird in den Annalen Salmanassars zu seinem 1. und 3. Jahr, also zu 860 v.Chr. = 649 und 858 v.Chr. = 651 ndFl, erwähnt. Urartu, diesmal aber nicht mehr unter Aramu, wird auch noch zu seinem 15. Jahr, also zu 846 v.Chr. entsprechend 663 ndFl genannt. Hier hat Pjotrowski den Namen des Aramu irrtümlich eingesetzt; denn abgesehen von dem hohen Alter (geboren etwa 570 ndFl) dürfte Aramu-Menua-Ariaramnes auch politisch hier keinen Platz mehr haben. Bei der Erwähnung 846 v.Chr. = 663 ndFl handelte es sich um jene assyrischen Kriegsberichte, die konventionell mit Argischti I in Verbindung gebracht werden.

Kurch-Stelen-Annalen Salmanassars (Auswahl):
<860>  1. Jahr = 649 ndFl: Aramu;
<858>  3. Jahr = 651 ndFl: Aramu;
<855>  6. Jahr = 654 ndFl: Karkar;
<853>  8. Jahr = 656 ndFl: Babylon-Intervention;
<851> 10. Jahr = 658 ndFl: Israel;
<850> 11. Jahr = 659 ndFl: Israel;
<847> 14. Jahr = 662 ndFl: Israel;
<846> 15. Jahr = 663 ndFl: Argischti I (656-668 ndFl)
<843> 18. Jahr = 666 ndFl: Israel (Hasaël);
<839> 22. Jahr = 670 ndFl: Israel (Jaua mar chumri);
<834> 27. Jahr = 675 ndFl: Siduri.

Dieser Siduri, der Zeitgenosse Salmanassars III, der konventionell fälschlich mit dem Sohn des Lutipri identifiziert wird, muss ein Nachfolger des Uasi-Ursa-Rusa III, also des Arsames-Uassurme, des Sohnes von Ariyaramnes-Erimena gewesen und in diesem 27. Jahr, das dem Jahr 675 ndFl entspricht, auf den Thron gekommen sein. Das hatte ich weiter oben schon als gegeben angenommen. Es ist indes auch denkbar, dass er gar nicht bis auf den Thron gekommen ist, wenn er als Feldherr seines Vaters Rusa in demselben Krieg von Salmanassar besiegt wurde, in dem dessen Bruder Scharukin an einer anderen Front in Urartu kämpfte. In dem Falle wäre Salmanassar allerdings nicht in diesem Jahr mit seinem Vater gegen Babylon gezogen.

Es besteht Grund zu der Annahme, dass Rusas Sohn Sarduri als Heerführer seines Vaters im Besitze des größeren Teiles des Heeres war und trotzdem gegen die Assyrer unterlag. Von Rusa wird nicht gesagt, dass er ein grosses Heer bei sich hatte. Er beging auf der Flucht Selbstmord, nachdem Mussassir gefallen war. Wenn allerdings Sarduri als "Herrscher von Urartu" bezeichnet wird, dann muss angenommen werden, dass er diese Niederlage nach dem Tode seines Vaters einstecken musste, als er bereits Herrscher von Urartu war. Es ist jedoch - wie oben schon gesagt wurde - nicht auszuschließen, dass Siduri-Sarduri, der Sohn des Rusa, des Sohnes des Erimena, noch einige Jahre regierte.

Es liegen keineswegs völlig lückenlose Berichte über
Urartu vor, so dass auch von der Existenz solcher
Vorgänge ausgegangen werden muss, die sich unserer
Kenntnis entziehen.

Dafür, dass eine etwas längere Regierungszeit des Sarduri III, des Sohnes des Rusa III, angenommen werden muss, kann folgendes sprechen:

Eine urartäische Festung aus der zweiten Periode (der Regierungszeit Sarduris III, des Sohnes des Rusa) wurde von Erzen auf dem Çavustepe ausgegraben. ... Besonderes Interesse verdienen Wandmalereien und eine Bronzeplakette mit Darstellungen von Kriegswagen und Reitern.72

In Ermangelung exakterer Angaben kann hier nur vermutet werden, dass es sich tatsächlich um Sarduri, den Sohn des Rusa III, des Sohnes des Erimena, handelt, und nicht um den Sohn des Rusa II, des Sohnes des Argischti I; denn erstens liegt der Fundort auf türkischem Gebiet, also nicht in Armenien, und zweitens würde der Autor "Sarduri II" geschrieben haben. Wenn aber Siduri-Sarduri nicht oder nur ganz kurze Zeit regiert hätte, dann hätte er kaum größere Bauvorhaben zu Ende geführt haben können. Außerdem sprechen die kriegerischen Darstellungen auf der besagten Plakette, wenn sie eindeutig zu Sarduri III gehören sollte, dafür, dass er die Schlacht des 27. Jahres Salmanassars geschlagen und zumindest überlebt hat.

Der Sarduri aus dem Jahre 639 v.Chr., dem 30. Jahr Assurbanipals, ist nicht Siduri aus dem Jahre 834 v.Chr., dem 27. Jahr der Annalen Salmanassars III. Es wurde schon festgestellt, dass es sich bei Siduri nicht um den Sohn des Argischti I handeln kann, der zu dieser Zeit bereits tot oder zumindest abgesetzt ist und sich sogar auf der Seite der Assyrer befinden kann.

Obwohl Sarduri III, der Sohn des Rusa II (es muss heißen: Rusa III), Begrüßungsgeschenke an den assyrischen König Assurbanipal sandte, unterhielt er offenbar auch gute Beziehungen zu den Skythen. Auf ihn nimmt eine von Assurbanipal selbst verfasste Hymne an den Gott Assur mit folgenden Worten Bezug: "Auch die Urartäer, jenes stolze Bergvolk, hecken mit den Umman-Manda, dem ruchlosen Feind, Intrigen aus und machen sich ständig grosser Vergehen gegen Dich schuldig."73

Hier liegen offenbar zwei Fehler vor. Einmal scheint es keineswegs sicher zu sein, dass Sarduri III, der Sohn des Rusa III, gemeint ist. Es könnten auch ein anderer König von Urartu oder gar mehrere Urartäerkönige angesprochen sein. Zum anderen werden konventionell die Umman-Manda für die Skythen statt für die Mannae bzw. Mitanni-Meder gehalten. Insofern lässt sich nur vermuten, dass Assurbanipal die Meder und Hethiter meinte, mit denen die Urartäer in den Jahren 672/673 ndFl gegen Assyrien konspirierten. Möglicherweise stammt die Hymne sogar von dem "Dichterkönig" Schar-ukin. Das würde gut zu der Zerstörung Elam-Urartus durch Schar-ukin in der Zeit Assurbanipals passen. Bei der Erwähnung des Sarduri, des Sohnes des Rusa, handelt es sich demnach nur um eine Vermutung Pjotrowskis; aber in konventioneller Sicht hatte er keine andere Wahl.

Das Jahr 676 ndFl war für die Hethiter ebenfalls ein verhängnisvolles Jahr, wenn es auch nicht das "verhängnisvolle Jahr" gewesen sein kann, in dem Arnuwandas starb. Es entspricht dem "Pestjahr" in Syrien-Palästina: Dem AT und anderen Quellen zufolge musste Sennacheribos-Sanherib die Belagerung Jerusalems wegen der Pest, die in seinem Heere wütete, abbrechen. Im Jahre darauf kann diese Seuche bis nach Hattusas vorgedrungen sein. Die von dem Dichterkönig Mursilis II, dem Sohn des Suppiluliumas, verfassten Pestgebete passen in keine bessere Zeit als in dieses verhängnisvolle Jahr.


 

Die letzte Schlacht des 3. Halys-Krieges (677 ndFl)

Obwohl dieses VIII. Buch nur die Zeit bis 676 ndFl behandeln soll, so werde ich doch das Ende dieses fünfjährigen dritten Halys-Krieges noch in diesem Kapitel besprechen. Der Krieg endete in demselben Jahr 677 ndFl, in dem auch das Leben des Sanherib-Assurbanipal gewaltsam endete.

Die ersten drei Halys-Kriege gingen bei Herodot alle in den dritten und vorletzten Halys-Krieg ein, der auch als der vierte angesehen werden kann, wenn die Schlacht zwischen Gyges und Tuschratta des Jahres 661 ndFl schon als der dritte Halys-Krieg bezeichnet werden soll. Der fünfjährige Halys-Krieg (672-677 ndFl) ist von zwei Schlachten eingerahmt, die ebenfalls jeweils als ein einzelner Halys-Krieg gelten können. Insofern ist es angebracht, sich auf eine bestimmte Numerierung zu einigen.

Diesen dritten Halys-Krieg werde ich als solchen bezeichnen, die beiden Schlachten jedoch als dritte und vierte; die des Jahres 687 ndFl wäre somit die fünfte. Zu der in Rede stehenden Schlacht des Jahres 677 ndFl können die Angaben Herodots ebenfalls herangezogen werden74:

Als sie den Krieg auch im sechsten Jahre weiter fortsetzten, begab es sich während einer Schlacht, dass der Tag sich plötzlich in Nacht verwandelte. Diese Vertauschung von Tag und Nacht hatte Thales aus Milet den Ionern vorausgesagt und hatte genau das Jahr angegeben, in dem diese Verwandlung dann auch stattfand.

Handelt es sich im sechsten Jahr des dritten Halys-Krieges etwa gar nicht um eine Sonnenfinsternis, sondern um dasselbe Ereignis, dass die Babylonier zur Zeit des Merodachbaladan = Nabopolassar schockte und das unter Josua und Hiskia im AT beschrieben wird, also um den scheinbaren Sonnenstillstand des Jahres 676 ndFl? Immerhin hatte Thales lediglich das Jahr und nicht Tag und Stunde des Ereignisses angegeben. Es stört daran nur, dass es Nacht geworden sein soll; denn so weit liegt der Schlachtort am Halys nicht westlich von Babylon, dass die Sonne untergegangen sein könnte, während es in Babylon Mittag war. Aber etwas früher am Tage als in Babylon war es am Halys auf jeden Fall, als gegen Ende des Jahres 676 ndFl "die Sonne stillstand". Außerdem handelte es sich um das fünfte Jahr des Krieges, in dem dieses Ereignis eintrat. Das aber ist Herodot nachzusehen; denn das sechste Jahr begann bereits wenige Tage später.

Es ist nicht auszuschließen, dass Thales als erster eine Sonnenfinsternis nach den neuen astronomischen Daten, die sich nach dem scheinbaren Sonnenstillstand ergeben hatten, für die fünfte und letzte Halys-Schlacht ausgerechnet hatte. Herodot scheint der scheinbare Sonnenstillstand des Jahres 676 ndFl übrigens völlig unbekannt gewesen zu sein. Es gibt Anzeichen dafür, dass Thales eher mit der letzten Halys-Schlacht im Jahre 687 ndFl als mit der vorletzten im Jahre 677 ndFl in Verbindung zu bringen ist.

Als die Lyder und Meder sahen, dass es nicht mehr Tag, sondern plötzlich Nacht war, ließen sie ab vom Kampfe und eilten, miteinander Frieden zu schließen. Die Vermittler des Friedens waren Syennesis aus Kilikien und Labynetos aus Babylon. Sie setzten durch, dass ein Friedensschwur getan und ein verwandtschaftliches Band geschaffen wurde.75

Demnach ging dieser Kampf unentschieden aus bzw. wurde abgebrochen. Wegen des Syennesis (geboren 654 ndFl) liegt eine Einordnung dieser Schlacht ins Jahr 687 ndFl näher als eine Verbindung mit dem Jahre 677 ndFl, in dem Syennesis erst 23 Jahre alt und für einen Vermittler noch sehr jung war. Es handelt sich 687 ndFl nicht um den entscheidenden Sieg des Suppiluliumas über Sanherib, sondern um den Sieg des Kyros über Kroisos.

Konventionell wird die Niederlage Sanheribs bei (C)Halulina (= Halys) in das Jahr 681 v.Chr. gelegt, in das letzte Jahr Sanheribs, in das sie auch tatsächlich gehört. Allerdings liegen zwischen Chalule (dritte Halys-Schlacht) und Chalulina (vierte Halys-Schlacht) keine zehn, sondern nur vier bzw. fast fünf Jahre. Truppen aus Parsumasch und Anschan unter der Führung des Achaimenes  sollen an der Schlacht bei Halulina beteiligt gewesen sein. Ich halte diese Angabe auf die vierte Schlacht (677 ndFl) für anwendbar. An die Stelle des Achaimenes, dessen Anwesenheit im Jahre 681 v.Chr. nur aus konventioneller Sicht erforderlich ist, gehört ein anderer Urartäer: entweder Sarduri III oder noch wahrscheinlicher Kyros-Umak-Ischtar, der Sohn des Rusa I und Neffe des Suppiluliumas-Uman-Igasch. Die  Erwähnungen des Achaimenes  als Beteiligtem an dieser Schlacht und der Provinz Anschan basieren auf der falschen Chronologie.

Der Name Labynetos soll nach der Ansicht des Kommentators zu Herodot die griechische Umschreibung des babylonischen Namens Nabu-na'id sein. Ich halte dies für eine opportunistische Auslegung; denn Nabunaid lebt in der berichtigten Geschichte auch zu der Zeit der fünften Halys-Schlacht noch gar nicht; er ist in der falschen konventionellen Darstellung amtierender König in Babylon. Es könnte mit Labynetos der Vater Belesys des Syennesis gemeint sein, aber auch Marduk-/Nabu-apal-idin/ussur: LABY = umgekehrt gelesen APAL? Dieser regierte zur Zeit der 5. Halys-Schlacht in Babylon.

Syennesis (Sin-Uas, Sin-urballa oder Warpalawas) war der Sohn des Marduk-belusati (= Belesys, Asitawandas, Zidantas oder Zidas), des Sohnes des Tudhaliyas, der diesen gemeinsam mit Hantilis-Kandaules umgebracht hatte. Belesys war zur Strafe für den Vatermord offenbar von Assur-Uballit in einer Burg auf dem heutigen Karatepe oberhalb des Çeyhan-Tales (im Südosten der Türkei) in Arrest gesteckt worden.

Wenn der fünfjährige Halys-Krieg im Jahre 672 ndFl bereits mit dem weiter oben beschriebenen Ereignis begonnen hätte, dann fiele das sechste Jahr des Krieges in das letzte Jahr Sanheribs, der somit den Frieden noch geschlossen haben könnte. Die Niederlage des Sanherib in seinem letzten Jahr (konventionell 681 vor Chr.) bei Chalule machte Suppiluliumas zum Herrn über das Chatti-Reich und sogar über die ganze Region des traditionellen Grossreiches "vom oberen bis zum unteren Meer". Unter seinem Namen Kaschtiliasch war er auch König von Babylon. Möglicherweise ist er der neue Labarnas-Labynetos von Babylon, der den Frieden schließt und nicht "vermittelt". Er kann die lydische Residenz Sardes als Winterquartier beibehalten haben und wäre auf diese Weise mit Kroisos zu identifizieren. Im Sommer residierte er jedoch in Chatti-Susa (= Hattusas).


 

Der Halys-Friede von 677 ndFl

Der Sinn des Halys-Friedens, dessen Bedeutung mit Sicherheit weit über die eines üblichen Friedensschlusses hinausgeht, scheint darin bestanden zu haben, durch Verzicht der einzelnen Herrschaftsbezirke auf Expansion dem ständigen Kriegsspiel mit seinen verheerenden wirtschaftlichen Folgen Einhalt zu gebieten. Wie ernst es den Beteiligten gewesen sein muss, ist unter anderem daran zu erkennen, dass alle namhaften Personen der damaligen Zeit im Heiligtum von Yasilikaya zusammenkamen, in dem auch der Friede zwischen Tudhaliyas und den Phrygern nach dem Sieg über die "Sutu" im Jahre 641 ndFl schon geschlossen worden war.

In konventioneller Sicht, die sich an Herodot orientiert, erscheinen viele der von diesem als am Friedensschluss beteiligt erwähnten Personen als "Vermittler", da sie nicht in die beschriebene Konfrontation hineinzupassen scheinen. Sie sind alle untereinander verwandt, und zwar nicht nur durch Einheirat in diese Grossfamilie, sondern schon von ihrer Abstammung von dem "ersten Menschen" Adam-Zeus (I) = Teschub-Semael-Iluschuma her. Es gab mittlerweile so gut wie keine Herrscherpersönlichkeit in Vorderasien mehr, die ihre Abstammung nicht von diesem Urvater herleiten konnte. Aus diesem Grund wurden der Stammvater Teschub-Adam und die Stammutter Chepa-Eva sowie deren Söhne Schiuini-Kain und Nabu-Chaldi = Irischum, von denen alle am Friedensschluss Beteiligten abstammten, auf einem grossen Wandbild im Yasilikaya-Heiligtum, über den Köpfen der Konferenzteilnehmer schwebend, festgehalten.

Das einfache Volk bestand aus einem Rassen- und Völkergemisch, das weitgehend noch aus der Zeit vor der indoarischen Einwanderung stammte. Entsprechend vielfältig waren die Sprachen, Dialekte und - vor allem - Religionen. Somit gab es zwei Sorten von Menschen, die durch Welten voneinander getrennt waren: die Herrscher und die Beherrschten.

Die Beschreibung des Yasilikaya-Heiligtums habe ich schon im dritten Kapitel des sechsten Buches (Die Medo-Perser Teil II) vorgenommen.

Im einzelnen lassen sich folgende Herrschaftsgebiete nach der Neuregelung von Yasilikaya erkennen:

Chatti unter Suppiluliumas; er ließ es sich - als Sieger aus diesem Krieg hervorgegangen - nicht nehmen, die Oberherrschaft über all diese Gebiete zu übernehmen;

Assyrien unter Sanherib-Assurbanipal musste Gebiete abtreten, so zum Beispiel Babylonien:

Babylonien unter dem Chaldäer Nabopolassar-Merodachbaladan bzw. Gaubaruva-Gobryas, dem Sohn des Mardonios = Mardukbalatsu-ikbi; er war im Bündnis mit den Judäern am Sturz des Sanherib und möglicherweise auch an dessen Ermordung beteiligt;

Medien-Mitanni möglicherweise unter mehreren Herrschern;

Tabal (Tebal, Tubal) unter Scharukin (?);

Armenien unter Rusa II, dem Sohn des Argischti I; er ist mit Tomyris verheiratet, der Mutter des um etwa 645 ndFl geborenen Spargapises = Argischti II, der im Jahre 685/686 ndFl von Kyros getötet werden wird;

Aza-Arzawa unter Rusa IV = Umak-Ischtar-Chundu, Kyros II, Tarkundimme, Tarkondemos, dem Sohn des Rusa I = Tarchunda-Rausch;

Kilikien unter Syennesis = Sin-Uas, Warpalawas.


 

Kommagene, Samal und Assyrien

Das Land Kommagene, das in den assyrischen Inschriften Kum(m)uch heißt, liegt in der Grenzregion von Chatti-Land, Urartu und Assyrien zwischen den Flüssen Pyramos (heute Çeyhan) und Euphrat (heute Firat). Es wechselte wegen seiner exponierten Lage mehrmals den Besitzer. Hauptsächlich herrschte hier die Dynastie der urartäischen Parsa-Könige, und zwar die Linie Arsames. Friedrich Karl Dörner widmet sich dieser Aera deshalb ganz besonders, weil der Perser Arsames offensichtlich ein Vorfahre jenes Antiochos war, der das Nimrud-Grab auf dem Nemrud Dag usurpierte, das "der grosse Jäger vor dem Herrn", Nimrud-Assurbanipal, für sich gebaut hatte76. Von besonderem Interesse für uns sind die Beziehungen, die zwischen Assur und Kommagene bestanden77:

Eine Inschrift aus der Regierungszeit des Sohnes von Samsiadad, Adadnirari III (810-752 v.Chr.), die erst vor kurzem entdeckt wurde, wirft ein Licht auf die Verbindung zwischen Kummuh und Assur. Im Jahre 805 v.Chr. bekämpfte Adadnirari in Paqaruhbuni erfolgreich eine Allianz von acht hethitischen (d.h. syrischen) Königen unter der Führung des Königs Atarschumki von Arpad (heute Bit-Agusi nördlich von Aleppo). Anschließend errichtete er beim heutigen Pazarcik die Grenze zwischen Gurgum (heute Maras) und Kummuh. Die Maßnahme traf er zweifellos zum Vorteil von Kummuh, da seine Euphrat-Überschreitung auf eine Anregung des Königs Uschpilulme von Kummuh zurückging.

Es handelt sich offenbar um den Aleppo-Überfall der Hethiter, der von Atarschumki = Arta-schum-ara angeführt wurde, dessen Anstifter aber ganz offensichtlich Uschpilulme = Suppiluliumas war. Arta-schum-ara  wurde anschließend von Astyages oder in dessen Auftrag ermordet, um kurz danach selbst ermordet zu werden (644 ndFl). Die Ortszuweisungen (Arpad, Kummuch) sind Interpretationsirrtümer. Die Ortsangaben selbst beschreiben das Kampfgebiet. Dörner weiter:

Die Allianz unter der Führung von Arpad schloss wahrscheinlich auch die Staaten Meliddu (heute Malatya), Gurgum, Sam'al, Que (Kue) und vielleicht auch Karkamis ein. Das würde bedeuten, dass Kummuh zu dieser Zeit politisch isoliert von seinen Nachbarn war. Es profitierte aber von assyrischer Unterstützung. Allerdings scheint diese Politik in der Mitte des 8. Jhdts v.Chr. einen Rückschlag erlitten zu haben, als die assyrische Macht aufgrund innenpolitischer Meinungsverschiedenheiten im Westen abnahm.

Arpad ist auch nach der Ansicht von Alfred Jepsen78 "wahrscheinlich" die Hauptstadt des nördlich von Aleppo gelegenen Fürstentums Bit-Gusi, das wohl Bit-Agusi (siehe oben bei Dörner), "Haus der Ägypter", bedeutet. Es handelt sich m.E. um eine ägyptische Besitzung wie Irem-Armenien und Punt-Kolchis in dieser Gegend, was bedeuten würde, dass Arpad unter ägyptischer Oberhoheit gestanden hätte. Ich habe Arpad weiter oben schon versucht, mit Irpuni = Eriwan zu identifizieren, was unter den hier erwähnten Aspekten weniger wahrscheinlich ist: Arpad war die Hauptstadt von Bit-Agusi, und das in der Nähe liegende Aleppo die Hauptstadt des Adad-narari, des ägyptischen Statthalters von ganz Nuchasse-Arrapachitis-Urartu. Meine Vermutung Arpad = Irpuni wäre eventuell noch aufrecht zu erhalten, wenn Arpad zerstört und unter dem Namen Irpuni wieder aufgebaut worden wäre. Insofern kann dieser Vorgang auch die Zeit des Adad-narari als Statthalter betreffen. Dörner fährt fort:

Um 750 v.Chr. konnte der urartäische König Sarduri II (ca. 764-735 v.Chr.) den damaligen Herrscher von Kummuh, Kuschtaschpi, zwingen, sich seinem Kampf gegen die Assyrer anzuschließen.

Sarduri (II), der Sohn des Teispes-Ischpuini, hat von 638 bis 660 ndFl regiert. Kuschtaschpi-Hystaspes war in Kommagene bis zuletzt sein Untergebener und Gefolgsmann. Es ist nicht auszuschließen, dass Sarduri (II) in der Schlacht gegen Ahab oder im Jahr darauf gegen die Assyrer des Sanherib fiel (659 oder 660 ndFl?) und Hystaspes in Gefangenschaft geriet. Der Nachfolger des Hystaspes-Kuschtaschpi war vermutlich jener weiter oben in diesem Kapitel schon erwähnte Mutallu, der uns noch beschäftigen wird. Dörner fährt fort:

So finden wir in der Zeit, als Assur unter Tiglatpilesar III (745-727 v.Chr.) im Westen wieder politisch aktiv wird, eine gegen Assur gerichtete Allianz der Staaten Meliddu, Gurgum und Kummuh unter der Führung von Urartu und Arpad. Die Koalition wurde im Jahre 743 v.Chr. in einer Schlacht in Arpad und in den Nachbarprovinzen von Kummuh besiegt. Tiglatpilesar belagerte 740 v.Chr. Arpad und nahm es ein.

Eine neue Allianz oder noch die alte? Gemeint ist hier die schon im 3. Kapitel des VI. Buches in diesem Band besprochene Schlacht:

Pjotrowski79: ... im 3. Jahr seiner Regierung (743 v.Chr.) rückte Tiglath-Pileser westwärts vor und schlug in einer Schlacht bei Arpad die Armee der Urartäer, die mit vier syrischen Ländern verbündet waren (Agusi, Melita-Melida, Gurgum und Kummuch). Die Assyrer machten viele Gefangene. Die assyrischen Annalen berichten, dass Sarduri im Schutze der Nacht floh und von Tiglath-Pileser bis zum Euphrat-Übergang, also bis zur Grenze seines Königreiches verfolgt wurde.

Dörner fährt fort: Er (Tiglatpilesar) scheint sich mit der Unterwerfung und den Tributen der am Krieg beteiligten Könige zufriedengegeben zu haben. Die aufständischen Herrscher sind aufgeführt in den Tributlisten der Jahre 738 und 732 v.Chr. Auch Kuschtaschpi von Kummuh erscheint in beiden Listen; seine Illoyalität scheint ihm vergeben worden zu sein.

Wenn auch die obigen Angaben Sarduri (II), den Sohn des Ischpuini, betreffen, so handelt es sich dennoch um zwei verschiedene Vorgänge. Zu den Datierungen der Tributlisten und Feldherrnjahre Tiglath-Pilesers ist schon an anderer Stelle abgehandelt worden.

Arsames-Uassurme-Rusa III, der Vater des Hystaspes-Kuschtaschpi und dessen Vorgänger in Kommagene, war seit dem Jahr 654 ndFl, in dem sein Vater Ariaramnes-Arame von Bit-(A)Gusi verstorben war, dessen Nachfolger in der Provinz Tabal-Uasi. Von 654 ndFl an, dem Geburtsjahr seines Sohnes Darius, regierte Kuschtaschpi-Hystaspes in Kommagene. Arsames ist sehr wahrscheinlich mit Azamis identisch. Dafür spricht die folgende Inschrift80:

... ferner konnte J. David Hawkins den Nachweis führen, dass die Blöcke einstmals zwei Doppelpodien gebildet hatten, die als Untersatz für einen Thron und einen Tisch dienten und der Göttin Kupapa (Eig.Anm.: Chepa?) geweiht waren. Das bezeugt der in luwischen Hieroglyphen geschriebene Text, in dem es gleich eingangs heißt: "Diesen Thron und diesen Tisch habe ich, Panumawatis, Gemahlin (?) des Herrschers Suppiluliumas, geweiht." Die Strafe der Kupapa wird allen angedroht, die diesen Weihungen oder den Namen der Stifterin oder ihres Vaters Azamis oder ihres Sohnes Hattusilis oder Suppiluliumas Schaden zufügen sollten.

Da Suppiluliumas durchaus mit einer Tochter des Arsames verheiratet gewesen sein könnte, so liegt es nahe, in Panumawatis diese Tochter zu sehen, also Azamis mit Arsames zu identifizieren. Als Mutter des Hattusilis (III = Antiochos I/III) wäre sie allerdings die Schwiegertochter des Suppiluliumas gewesen und müsste Gaschulawija-Laodike sein. Von ihr müsste demnach die Inschrift stammen, die sie nicht als, sondern für Panumawatis, die Tochter des Arsames-Azamis und Gemahlin des Suppiluliumas, verfasste. Die Stifterin Gaschu-Laodike war die Tochter des Gobryas-Nabopolassar, nicht die des Arsames.

Bis zum Jahre 668 ndFl regierte in Urartu Argischti I, der ein Verbündeter des Mutallu von Kommagene war. Infolgedessen muss davon ausgegangen werden, dass in der Zwischenzeit  ein Wechsel im Verhalten des Mutallu von Kommagene stattgefunden haben muss. Dieser Wechsel gehört ins Jahr 667 oder 668 ndFl.

Dörner sagt81: Im Jahre 712 v.Chr. erhob sich Tarchunazi von Meliddu, wurde aber von Sargon unterworfen. Er erklärte das Land zur Provinz, und man errichtete Festungen zur Verteidigung gegen Urartu, die Kaskäer und Phrygien. Die Hauptstadt Meliddu (heute Malatya-Arslantepe) erhielt Mutallu, der König von Kummuh, als Geschenk. Damit zeichnete Sargon ihn als Verbündeten und zuverlässigen Vasallen aus in der gleichen Weise wie zum Beispiel auch den König Panamu von Sam'al, der von Tiglatpilesar III Städte im Gebiet von Gurgum erhielt. Die Schenkung zeigt, dass Sargon der Politik seines Vorgängers folgte und Kummuh weiterhin begünstigte.

Tarchunazi von Melidda scheint der unmittelbare Nachfolger des Sulumal dort gewesen zu sein, der in den Tributlisten des Tiglath-Pileser aus den (fiktiven) Jahren 738 und 732 v.Chr. erscheint und der vielleicht mit dem Lali aus der Kurch-Stelen-Inschrift des Salmanassar aus dem Jahre 654 ndFl identisch ist; denn zur Zeit des Feldherrn Schar-ukin konnte Sulumal-Lali, wenn er tatsächlich mit Suppiluliumas identisch gewesen sein sollte, nicht mehr Statthalter der Assyrer in Melidda sein. War Tarchunazi womöglich ein Angehöriger der Tarchun-Familie des Rusa I (= Tarchundarausch), etwa ein Bruder des Kyros (= Isch-Tarchun-du)?

Die Übergabe der Region Melidda an Mutallu bedeutet, dass dieser im Jahre 712 v.Chr. noch ein loyaler Anhänger der Assyrer gewesen sein muss. Das hatte sich im folgenden Jahr aber schon geändert, wie aus der weiter oben in diesem Kapitel schon zitierten Textstelle hervorgeht82:

Durch Sargon II wurde 711 v.Chr. der Kummuh benachbarte Bereich von Gurgum (Maras) in eine assyrische Provinz umgewandelt. Gleichzeitig kam es zu einer Verschlechterung der Beziehungen zwischen Mutallu von Kummuh und Sargon II, über die wir leider nur einseitig von dem assyrischen Herrscher informiert werden. Er berichtet über den Hergang der Geschehnisse:

"Mutallu von Kummuh, ein gottloser Hethiter, der den Namen der Götter nicht fürchtet, der Böses geplant und voller Arglist ist, vertraute auf Hilfe von Argischti, König von Urartu, ein Verbündeter, der ihn nicht retten konnte, und beendete die jährlichen Tribut- und Steuerzahlungen und hielt seine Geschenke zurück. ... Er sah mich nahen, verließ seine Stadt und wurde nicht mehr gesehen. Diese Stadt belagerte ich und eroberte sie zusammen mit 62 starken Städten in seinem Land. Seine Frau, seine Söhne, seine Töchter, sein Vermögen, Waren und alle Arten von Schätzen in seinem Palast, schließlich auch das Volk seines Landes - alles führte ich hinweg, kein einziger entkam. Ich organisierte das Gebiet neu. Das Volk von Bit-Yakin, das ich selbst erobert hatte, siedelte ich dort an; meinen Beamten setzte ich als Gouverneur über sie ein."

Damit reiht sich Mutallu von Kommagene nicht nur in die Zeitgenossen des Schar-ukin ein, sondern auch in die des Urartäers Argischti I. Außerdem muss die Eroberung von Bit-Yakin und die Fortführung der "zehn Stämme Israels" durch Schar-ukin (bzw. durch Salmanassar, der sich dieser Tat zu der Zeit des Hosea ebenfalls rühmt) und deren Ansiedlung in Ostanatolien bereits erfolgt sein. Da nun Argischti nur bis zum Jahre 668 ndFl regiert hat, so muss die Eroberung, Fortführung und Neuansiedlung Israels im selben oder im Jahr zuvor stattgefunden haben, also im ersten Jahr des jungen Feldherrn Schar-ukin, in welchem er Mutallu noch begünstigt hatte.

Die beiden Ereignisse, die konventionell in die Jahre 712 und 711 v.Chr. verlegt werden, können nicht diese späten Jahre des Schar-ukin betreffen; denn Argischti hat nur bis zum zweiten Jahr Schar-ukins regiert. Die Angaben 712 und 711 v.Chr. sind in der Weise zu korrigieren, wie weiter oben schon verfahren wurde: 712 v.Chr. entspricht dem Jahr 667 ndFl, dem ersten Jahr des Feldherrn Schar-ukin, und 711 v.Chr. dem Jahr 668 ndFl, mithin dem letzten Jahr des Argischti I. Die Erhebung des Tarchunazi gehört demnach ins Jahr 667 ndFl.

Bei Mutallu kann es sich um Mursilis II = Nabu-ukin-zer = Muschezib-Marduk, den Chaldäer bzw. den "gottlosen Hethiter", handeln, womit er der ärgerlichen Inschrift des Schar-ukin bestens entspräche.

Dörner meint weiter zu Mutallu83:

Benno Landsberger hat vermutet, dass eine in Meliddu gefundene Königsstatue Mutallu darstelle; denn er glaubte, dieselbe Persönlichkeit auf einem Relief aus Sakçagözü identifizieren zu können. Aus diesem Befund wollte er den Schluss ziehen, dass der gesamte Raum von Meliddu bis Sakçagözü der Herrschaft von Mutallu unterstellt gewesen sei.

Ob diese Theorie richtig ist oder nicht, wird hoffentlich der glückliche Fund einer Darstellung von Mutallu mit Nennung seines Namens erweisen.

Für einen um 646 ndFl geborenen Mursilis II wäre eine oben beschriebene Machtfülle in seinem 21. Lebensjahr, nämlich im Jahre 667 ndFl, etwas zu gewaltig. Die geschilderten Vorgänge können aber nicht erst viel später stattgefunden haben. Die Fortführung der Leute von Bit-Yakin muss auch deshalb schon vor dem konventionell angegebenen Jahr 711 v.Chr. stattgefunden haben, da Schar-ukin sie sonst nicht in diesem Jahr schon in Kommagene hätte ansiedeln können. In dem Zusammenhang muss auch auf Panamu von Sam'al und auf seinen Sohn Bar-Rekub = Barrakkab hingewiesen werden, die schon in einem früheren Kapitel erwähnt worden sind84.

Bekanntlich war es Salmanassar auch auf seinem Feldzug im 21. Jahr (669 ndFl) nicht gelungen, Hasaël zu unterwerfen. Das gelang erst Tiglath-Pileser - unterstützt von Panamu von Sam'al - in seinem 14. Jahr: 672 ndFl. Dieses Jahr war das 24. Jahr seines Sohnes und Feldherrn Salmanassar. Es war auch das Todesjahr des Panamu.

Panamu, der sich als (Ex-)König von Juda bezeichnet, halte ich für Jotham, den Sohn des Abiam und Nachfolger des Asa auf dem Thron von Juda in Jerusalem: 626 ndFl. Er schloss sich vermutlich im Jahre 641 ndFl, nachdem das Siddim-Tal eingestürzt war, den hethitisch-assyrischen Truppen an, so dass Jerusalem zunächst verwaist war. Als Manachpiria im folgenden Jahr durch diese Region nach Norden zog, setzte er in Jerusalem Abdichiba ein, den Vetter des Jotham. Von Panamu wissen wir, dass er sich der Hadad-Familie verbunden fühlte. Hadad, Ruben, Rechob, Rehab, Rehabeam sind Namen, die inhaltlich zusammenhängen; auf welche genaue Weise, habe ich am Ende des 1. Kapitels des VII. Buches in diesem Band (Die Medo-Perser Teil III: Vorderasien von 642 bis 656 ndFl) zu erklären versucht. Feststeht, dass Panammu seinen Sohn Bar-Rekub nannte.

Rehabeam
|
+---------------------------+
|                           |
Abiam                       Bo-Asa
|                           Ba-esa
|                           |
+-----------+               +--------------+
|           |               |              |
Usia        Jotham          Obed-Edom      Obed-Ela
Asarja      Panammu         Abdichiba      Pudu-Ilu
"Salomo"    | von Samal     Josaphat
            |
            Bar-Rekub


Auf die Juda und Israel betreffenden Anspielungen in diesem Kapitel komme ich im nächsten Königs-Chronik-Kapitel wieder zurück, um diese Zusammenhänge auch aus der berichtigten Sicht des AT zu beleuchten.

Letzter Stand: 19. Juli 2013


 

53 Boris Pjotrowski, Urartu, Fortsetzung Seite 94;
54 Ebenda
55 Boris Pjotrowski, Urartu, Seite 94;
56 Ebenda;
57 Boris Pjotrowski, Urartu, Seite 96;
58 Ebenda, Seite 96;
59 Boris Pjotrowski, Urartu, Seite 98
60 Boris Pjotrowski, Urartu, Seite 98;
61 Ebenda, Seite 99;
62 Ebenda, Seite 114;
63 Boris Pjotrowski, Urartu, Fortsetzung Seite 99;
64 Ebenda, Seite 103;
65 Ebenda, Seite 104
66 Boris Pjotrowski, Urartu, Seite 62;
67 Ebenda, Seite 107/8
68 Boris Pjotrowski, Urartu, Seite 176
69 Boris Pjotrowski, Urartu, Seite 92;
70 Ebenda, Seite 54
71 Boris Pjotrowski, Urartu, Seite 54
72 Boris Pjotrowski, Urartu, Seite 34;
73 Boris Pjotrowski, Urartu, Seite 177
74 Herodot, Die Bücher der Geschichte I, 74;
75 Ebenda, I, 74
76 Friedrich Karl Dörner, Der Thron der Götter auf dem Nemrud Dag, Gustav Lübbe Verlag
77 Ebenda, S.145, nach J. David Hawkins, Assyrians and Hittites, Iraq 36, 1974, 74ff.
78 Alfred Jepsen, Von Sinuhe bis Nebukadnezar, Calwer Verlag Stuttgart, Kösel-Verlag München, Seite 153
(Fußnote 4, Hinweis auf ZDPV 1955.38)
79 Pjotrowski, Urartu, Seite 84
80 Friedrich Karl Dörner, op.cit., Seite 144
81 Ebenda, Seite 145f.; Übersetzung des Sargon-Textes nach Hawkins in Kommagene, Sondernummer AW 8f.
82 Friedrich Karl Dörner, op.cit., Seite 146; Übersetzung nach Hawkins in Kommagene, Sondernummer AW 9.
83 Friedrich Karl Dörner, op.cit., Seite 146 (Übersetzung nach Hawkins, Kommagene, Sondernummer AW 9f.)
84 Im Kapitel Die Chronik der Könige, Teil II: Die Amarnazeit.

 

 



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