Band 5: Die Zeit des Epagomenenjahres

Vorwort zum fünften Band

Die Rekonstruktion der griechischen und auch der römischen Geschichte wird in den folgenden Zeiten äußerst schwierig. Das liegt in erster Linie daran, dass wir mehr und mehr auf solche Historiografien angewiesen sind, die schlicht falsch sind. Sei es, dass die Historiografen schlecht informiert waren, oder dass sie Gefälligkeitsgeschichte für ihre Kaiser geschrieben haben, oder sei es, dass die von ihnen verfassten Werke durch ständiges Kopieren und Manipulieren durch die Jahrhunderte hindurch verfälscht worden sind. Hierfür sind hauptsächlich Mönchsschreiber verantwortlich, die manchmal überdeutlich ihre eigenen Kommentare in die alten Werke eingefügt haben, die aber vor allen Dingen daran interessiert waren, keine der Bibel widersprechenden Äußerungen in den alten Schriften zuzulassen. Zusätzlich ergaben sich offensichtlich auch noch andere Schwierigkeiten, wie ich an einem Beispiel zeigen möchte. Dabei ist es keineswegs sicher, dass es auch tatsächlich so passiert ist; aber es liegt nach Lage der Dinge sehr nahe, dass es so gewesen sein könnte:

Ein Mönch in einem mittelalterlichen Kloster ist dabei, die Hellenika des griechischen Historiografen Xenophon zu kopieren. Das Fenster zu seiner Klause steht offen. Es ist ein wenig windig draußen. Mitten in seiner Arbeit passiert es: Er fällt tot von seinem Schemel. Als er zur gewohnten Zeit nicht zum Gebet erscheint, sendet der Abt einen Novizen, der nach dem Vermissten schauen soll. Der Novize, dem der Mönch auf sein Türklopfen nicht geantwortet hatte, öffnet die Tür, und sogleich packt ein Luftzug die Blätter der Original-Hellenika und der bereits kopierten Seiten und wirbelt sie zu Boden. Nachdem sich der Schrecken über den Verstorbenen gelegt hatte, begann man mit dem Einsammeln der losen Blätter und stellte fest, dass niemand in der Lage war, die richtige Reihenfolge der Kapitel wiederherzustellen. Seit der Zeit herrscht in den Hellenika des Xenophon ein Chaos der Kapitel. Ältere sind nach jüngeren eingeordnet, und der Anfang ist so offensichtlich falsch, dass man bezweifeln muss, ob das Original tatsächlich mit den Worten "Nach diesem" angefangen hat. Die Frage, die sich einem dabei aufdrängen muss, lautet: "Wonach denn?" Ich bezweifle, dass Xenophon seine Hellenika so begonnen hat. Kein Zweifel besteht allerdings daran, dass diese Kapitel heute in der falschen Reihenfolge stehen.

Ein anderes Hauptwerk über diese Zeit stammt vermutlich ebenfalls von Xenophon, da es beinahe nahtlos in dessen Hellenika überzugehen scheint. Dieser von mir so genannte Polemos (= griech. für Streit, Krieg, ist das erste Wort des Originaltitels) wird Thukydides zugeschrieben, der aber meines Erachtens mit dem gleichnamigen Feldherrn identisch ist, der auch der Verfasser der Kriegsannalen war, die dem Gesamtwerk zugrunde liegen. Den restlichen Teil hat man nicht nur fälschlich Thukydides zugeschrieben, sondern auch noch falsch eingeordnet. Dadurch, dass man den gesamten Rest vor die Annalen gesetzt hat, wurde eine künstliche Zeitdehnung möglich, die in erster Linie für diejenigen von Interesse war und ist, die eine überdehnte Geschichte bevorzugen, aus welchen Gründen auch immer. Durch diese Zwangsmaßnahme wurde allerdings ein weiterer Betrug erforderlich: Es musste Perikles an die Stelle des Peisistratos gesetzt werden.

Die von der Schulwissenschaft vertretene Reihenfolge der Historiografen und ihrer Werke ist nicht haltbar. Herodot mag als "Vater der Geschichte" schon im Altertum gegolten haben; aber es verhält sich keineswegs so, dass sein Werk, die Bücher der Geschichte, den zeitlichen Anfang bilden zu der gesamten griechischen Geschichtsschreibung. Thukydides bzw. der Polemos schließt keineswegs an Herodots Kapitel an, sondern er liegt parallel zu seiner Geschichte. Folglich gehören auch die Hellenika des Xenophon in dieselbe Zeit wie die beiden anderen Werke. Kennern der Materie sei hier schon verraten: Der Peloponnesische Krieg (= Polemos) endete bereits acht Jahre vor der Seeschlacht bei Salamis!

Einer der schlimmsten Fehler geht schon auf das Konto des Historiografen Plutarch oder eines seiner Vorgänger, von dem er teilweise abgeschrieben hat. Der von ihm beschriebene Alexander, den wir heute "den Großen" nennen, besteht aus zwei unterschiedlichen Personen, die allerdings beide den Namen Alexander trugen. Bei beiden handelt es sich um Makedonenkönige, unter denen es auch noch weitere Träger dieses Namens gab. Das und einiges andere mag zu der Verwechslung bzw. Vermischung des Indien-Eroberers aus der Zeit des Kyros und des Kambyses mit dem Ägypten-Eroberer aus der Zeit des Antiochos beigetragen haben. Schizophren, wie einige Historiker unserer Tage vermuten, war Alexander der Große demnach nicht, sondern er war tatsächlich aus zwei Personen zusammengesetzt. Der eine Alexander war ein Haudegen und Heeresreformer, der andere, der jüngere, war ein Draufgänger mit philosophischen Ambitionen, sogar ein Schüler des Aristoteles, und der Rächer seines ermordeten Vaters Philipp (II), den er geliebt hatte. Für die Historiker besteht die vermeintliche "Schizophrenie" nun darin, dass es auch Anzeichen dafür gibt, dass Alexander seinen Vater nicht geliebt hat. Der ältere Alexander brauchte seinen "einäugigen Vater Philipp" gar nicht zu lieben, da der einäugige Antigonos, der ebenfalls Philipp (I) hieß, überhaupt nicht sein Vater, sondern lediglich sein Onkel war, der Bruder seines Vaters Perdikkas.

Auf diese und viele andere absichtliche oder unabsichtliche Entstellungen der Geschichte komme ich im weiteren Verlauf ihrer Besprechung wieder zurück.

Zu der Bezeichnung "Pentekontaëtie" (= Fünfzigjahreszeitraum), die von der Schulwissenschaft für die Zeit zwischen dem Ende des Perserkrieges (479 v.Chr.) und dem Beginn des Peloponnesischen Krieges (431 v.Chr.) verwendet wird, wenn dies auch nicht ganz genau fünfzig Jahren entspricht, ist zu sagen: In der tatsächlichen Geschichte hat es diesen Zeitraum überhaupt nicht gegeben. Vielmehr lag der Peloponnesische Krieg noch vor dem Perserkrieg, und eine Schlacht, die konventionell erst nach dem Perserkrieg in dieser Pentekontaëtie stattgefunden haben soll, wurde auf einer Wand der Wandelhalle abgebildet, während nicht eine einzige Schlacht aus dem so wichtigen Perserkrieg hier festgehalten wurde. Daraus ist zu ersehen, dass die Stoa poikile (= bemalte Wandelhalle) um die Agora, den athener Marktplatz, zwischen der hier abgebildeten Schlacht von Oinoë und den Schlachten mit den Persern erbaut oder zumindest bemalt wurde. Niemand in Athen hätte Verständnis dafür gehabt, wenn man zwar die angeblich jüngere Schlacht bei Oinoë, nicht aber die von Salamis und Platää hier verewigt hätte.

In Anlehnung an die konventionelle Bezeichnung habe ich die fünfzig Jahre vom Beginn des Peloponnesischen Krieges bis zum Ende des Achämenidenreiches die "echte Pentekontaëtie" genannt (693-744 ndFl).

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