Neuntes Buch: Kyros

3. Kapitel:

Hellas vor dem Peloponnesischen Krieg
1. Teil: Die athenische Geschichte nach Theseus

Allgemeine Betrachtung

In vielen vorangegangenen Kapiteln ist die griechische Frühgeschichte immer wieder ergänzt und weiterverfolgt worden bis in "die Tage des Trojanischen Krieges". Dabei wurde nicht nur die Historizität dieses Krieges, sondern auch die der Götter wie auch deren Nachfahren, die man gemeinhin als Heroen bezeichnet, als Tatsache ermittelt. Die Götter und Heroen waren Menschen. Dass die Götter Menschen aus Fleisch und Blut gewesen seien, hatte der Sizilianer Euhemerus schon im Altertum behauptet, was jedoch nicht zum Allgemeingut der Wissenschaft geworden ist. Der Euhemerismus ist nie anerkannt worden. Für die anerkannte Wissenschaft sind die Göttermythen Phantasieprodukte ohne historischen Rückhalt. Da sich aber in meiner berichtigten Geschichte die Götter durchaus als historische Personen erweisen, so kann man getrost die Regel gelten lassen:

Ohne historischen Hintergrund kann sich Mythologie weder entwickeln noch über Jahrtausende erhalten.

Auch Mythologie muss glaubwürdig sein, wenn sie Allgemeingut werden will. Die unglaubhaften Kapriolen, die sich die Götter in der Mythologie bisweilen leisten, sind dichterische Zutaten. Bedauerlicherweise sind es aber gerade diese göttlichen Extravaganzen, die es den rationalen Menschen zu allen Zeiten so schwer gemacht haben und noch machen, an die Historizität der Götter zu glauben.

Es ist mir in den "mythischen" Kapiteln gelungen, eine der Wahrheit zumindest sehr nahe kommende Geschichte zu rekonstruieren, in der die Götter und Heroen ihren festen Platz haben. Mag das eine oder andere auch noch verbesserungsfähig sein, so ist doch das vielzitierte "dunkle Zeitalter" in der Hellas-Geschichte durch meine Rekonstruktionen ganz erheblich aufgehellt worden.

Die belegbare Geschichte Griechenlands wird nicht durch wüstenkonservierte Papyri noch durch gebrannte Tontafeln und auch nicht durch Gebäudeinschriften überliefert. Was wir über die altgriechische Geschichte wissen, stammt aus den Historiografien antiker Schriftsteller, deren Kompetenz allerdings nicht nur von mir stark angezweifelt wird. Das hat dazu geführt, dass die Rekonstruktion der altgriechischen Geschichte selbst aus Kreisen der Schulwissenschaft mit vielen Fragezeichen versehen worden ist. Es wird den Leser kaum noch überraschen, dass ich noch Legionen von Fragezeichen hinzugefügt habe, bevor ich die meisten wieder verschwinden lassen konnte durch meine Berichtigungen.

Hauptvertreter der antiken Historiografen sind der von mir schon mehrfach erwähnte Herodot, sodann der Verfasser des "Polemos" (= Der Peloponnesische Krieg), gemeinhin für Thukydides gehalten, und Xenophon. Alle drei standen in engem Verhältnis zu Athen. Dazu kann man noch eine Reihe anderer Schriftsteller aufzählen, von denen Plutarch zu nennen wäre. Sie alle haben Werke abgeliefert, die sich mehr oder weniger an der Wirklichkeit orientieren. Wenn sie selbst auch schon Fehler gemacht haben, so sind doch die unfreiwilligen wie die beabsichtigten Entstellungen, die im Laufe der Jahre hinzugekommen sind, nicht weniger schlimme Fehler in ihren Werken.

Die Bücher der Geschichte des Herodot wurden im Altertum schon sehr kritisch betrachtet, vermutlich hauptsächlich deshalb, weil Herodot viel mit Merkwürdigkeiten operiert, was auch damals schon suspekt war. Erst nach langem Zögern erkannte man seine Werke an und verlieh Herodot den Titel Vater der Geschichte. Von Quellenforschung und Feldarbeit sind die Bücher der Geschichte weit entfernt.

Herodot beginnt seine Geschichte mit den Frauenrauben, die eine Generation vor dem Trojanischen Krieg stattgefunden haben sollen1, lässt diesen Krieg selbst aber weitgehend unkommentiert. In der berichtigten Geschichte kann man den Beginn der Geschichte Herodots etwa fünfzig Jahre vor der Katastrophe Typhon 4 ansetzen, wenn er auch auf diese überhaupt nicht eingeht. Deren Zeitgenossen kennt Herodot jedoch sehr genau. Seine Geschichte endet mit dem Perserkrieg, das heißt kurz nach 730 ndFl. Die durch die Xerxes-Nacht (728 ndFl) verursachte Kalenderänderung nimmt er noch kurz auf, ohne jedoch deren Ursache mit diesem Ereignis zu verbinden.

Der Verfasser des "Polemos" soll derselbe Thukydides sein, der die Annalen des Krieges geführt hat. Das Werk geht jedoch viel zu weit über den Rahmen dieses Krieges hinaus, als dass es nur von diesem Mann geschrieben worden sein könnte. Es müssen mindestens zwei Schriftsteller für den Inhalt dieses Werkes verantwortlich sein. Das bestätigt auch der erste Abschnitt des Ersten Buches:

1. Thukydides von Athen erzählt in diesem Werke den Krieg, den die Peloponnesier und die Athener gegeneinander geführt haben. Er hat gleich bei dessen Ausbruch mit der Aufzeichnung begonnen; denn er sah voraus, dass es ein großer Krieg, der denkwürdigste von allen, die sich jemals ereignet, werden würde. ... In der Tat ist dieser Krieg die gewaltigste Erschütterung, die Hellas und ein Teil der Barbarenländer, ja fast die ganze Menschheit erlebt hat.2

Zunächst bis hier: Erstens wird Thukydides in der dritten Person genannt, was schon verdächtig ist, und zweitens wird von einem "denkwürdigsten Krieg" erzählt, was wohl kaum bei Beginn der Aufzeichnungen schon abzusehen war. Wenn diese Passage nicht erst in viel späterer Zeit, in der auch noch andere Veränderungen am Text vorgenommen worden sind, hinzugefügt worden ist, dann kann sie im Original nur vor den Perserkriegen niedergeschrieben worden sein; denn diese Kriege waren für die Griechen noch viel dramatischer als der Peloponnesische Krieg. Erst recht werden wir stutzig, wenn es weiter in obigem Absatz heißt:

Freilich habe ich von den Ereignissen der Vergangenheit und der fernen Vorzeit nichts Genaueres in Erfahrung bringen können, weil zu lange Zeit dazwischenliegt; aber nach den Zeugnissen, denen ich auf Grund meiner so weit wie möglich ausgedehnten Nachforschungen wohl Glauben schenken muss, kann ich nicht annehmen, dass damals große Dinge, weder große Kriege noch sonst große Ereignisse, vorgefallen sind.3

Hier spricht die Person, die den "Polemos" als Geschichtswerk verfasst hat. Dieser Schriftsteller bediente sich der Annalen des Thukydides, aber er war nicht Thukydides. Der "Polemos"-Autor verfasste eine Geschichte Griechenlands, die nicht einmal bis zum Perserkrieg reicht. Durch einige geschickte Manipulationen haben spätere Kopisten erreicht, dass der Eindruck entsteht, der Peloponnesische Krieg habe erst etwa fünfzig Jahre nach dem Perserkrieg begonnen. Ein Mittel war die Verquickung von Peisistratos mit Perikles, ein anderes war die Verlegung des Perserkrieges zwischen Ereignisse, die noch vor den beiden Kriegen lagen, so dass der Eindruck einer "Pentekontaëtie" entstand, eines Zeitraumes von fünfzig Jahren zwischen dem Perserkrieg und dem Peloponnesischen Krieg.

Die Kapitel, in denen die Kriegsannalen des Thukydides abgehandelt werden, sind in einer eklatanten Unordnung, durch die das Gesamtbild wesentlich geschädigt wird. Einige Rechnungen können nicht aufgehen, weil offenbar die Kapitel nicht in der richtigen Reihenfolge stehen. Auch die Angabe zu den spartanischen Ephoren und den athenischen Archonten, die in den einzelnen Jahren des Krieges regiert haben, stimmt nicht genau mit den Angaben in den Hellenika überein.

So wie der "Polemos"-Autor mit seiner Geschichte keinesfalls an die Geschichte Herodots anschließt, so schließen auch die Hellenika des Xenophon nicht an den "Polemos" an, wenn man die Kapitel wieder in die richtige Reihenfolge bringt. Vielmehr liegen die Berichtszeiträume aller drei Historiografen miteinander parallel. Allerdings enden die Hellenika tatsächlich im Anschluss an den "Polemos", ja ich bin sogar geneigt, den "Polemos"-Autor Xenophon zu nennen. Merkwürdigerweise endet nämlich der "Polemos" an einer Stelle - und zwar mitten im Text -, an der sich die Hellenika fast nahtlos anschließen lassen. Dieser Anschluss ist außerdem sehr befremdlich; denn das erste Kapitel im ersten Buch der Hellenika beginnt mit den Worten "meta de tauta" (= nach diesem; danach). Dass ein Buch mit "Danach" anfangen soll, ist kaum zu glauben.

Die Kapitel der Hellenika sind in einer noch größeren Unordnung, als sie im "Polemos" vorliegt. Die letzten Hellenika-Kapitel können problemlos an den Hellenika-Anfang gesetzt werden, wenn man die im "Polemos" zum Peloponnesischen Krieg gemachten Angaben vor das "Danach" einfügt. Aber auch innerhalb der Kapitel in den Hellenika müssen Verwechslungen vorgekommen sein; denn zwischen den in einzelnen Kapiteln geschilderten Ereignissen finden sich solche Angaben, die ein anderes Kapitel betreffen müssen. Man hat den Eindruck, das gesamte Textmaterial der Hellenika sei durch einen Windstoß durcheinander geraten, und niemand habe die Seiten wieder in die richtige Reihenfolge bringen können.

Plutarch wiederum hat eine Biografie Alexanders des Großen verfasst, die aus den Biografien zweier unterschiedlicher Personen zusammengesetzt ist. Folglich entstand das Bild eines Alexanders, den es in dieser Form nicht gegeben hat. Die vermeintliche "Schizophrenie" Alexanders, die ihm von einigen Althistorikern unterstellt wird, erklärt sich auf diese Weise ganz unspektakulär. Der erste Alexander gehört noch in die Zeit des beginnenden Peloponnesischen Krieges, während der zweite erst nach dem Perserkrieg in Aktion tritt.

Dem Leser wird nach diesen Bemerkungen zur Historiografie im antiken Griechenland der Verdacht aufkommen, dass es überhaupt nicht möglich sein könne, eine tatsachengerechte Rekonstruktion der griechischen Geschichte zu erstellen. Das trifft weitgehend zu. Dennoch sollte das überkommene Material ausreichen, eine einigermaßen zuverlässige Rekonstruktion zu ermöglichen und die Fragezeichen auf ein Minimum zu reduzieren. Glücklicherweise gibt es Querverbindungen zu Daten in der Umfeldgeschichte, so dass eine durchgehende "chronologische Wirbelsäule" der griechischen Geschichte erstellt werden kann. Ob es immer gelingt, daran die richtigen "Filetstücke" zu positionieren, hängt von der Qualität der gelieferten Informationen ab.

Die athenische Geschichte nach Theseus

Mit einer jener "Merkwürdigkeiten", die Herodot gern in seine Geschichte einbaut, beginnt auch ein wichtiger Teil der athenischen Geschichte nach der Katastrophe Typhon 4. Herodot beschreibt ein Opfer4, das ein Zuschauer bei den Olympischen Spielen darbringt: Sein Opferfleisch kocht im Kessel ohne Feuer darunter. Für uns ist hieran der Hinweis auf die Spiele von Interesse. Zwar gibt Herodot keine Zeit an, doch es muss sich, wie aus dem weiteren Text hervorgeht, um die Zeit der Vatergeneration des Kroisos handeln, das heißt um die Zeit kurz nach der Katastrophe Typhon 4: Tudhaliyas = Alyattes, der Vater des Kroisos, wurde 590 ndFl geboren, und der Mann, der das wundersame Opfer darbrachte, war schon erwachsen, hatte aber offenbar noch keine Kinder.

Wie ich an anderer Stelle bereits sagte, fanden die Spiele ganz offensichtlich auch schon vor der Katastrophe statt, doch die Olympiaden-Kalender-Rechnung datiert erst seit diesem Ereignis. Konventionell heißt es, man habe im Jahre 776 v.Chr. mit der Aufzeichnung der Sieger begonnen, also auch hier nicht mit den Spielen selbst. Das konventionelle Jahr 776 v.Chr. entspricht inhaltlich dem Jahr 624 ndFl, in dem die Typhon-Katastrophe stattfand und die Zählung in Olympiaden(jahren) begann. Offenbar haben wir es bei dem obigen Wunder mit einem Opfer aus dem Jahre 628 oder noch besser aus dem Jahre 632 ndFl zu tun; denn Herodot hat die Geburt eines wichtigen Atheners damit verknüpft.

Hippokrates - so hieß der einfache athenische Bürger, der das Opferwunder erlebte - bekam bald darauf einen Sohn, der die Geschichte Athens für viele Jahrzehnte bestimmen wird: Peisistratos. Der Name des Vaters erinnert an den Namen der Gemahlin und eines Sohnes des Theseus: Hippolyte und Hippolytos. Da sich Peisistratos später offensichtlich als "Wiedergeburt des Theseus" ausgab, so liegt der Verdacht nahe, dass Hippokrates ebenfalls ein Sohn des Theseus war:

THESEUS      * ca. 561 ndFl
oo
HIPPOLYTE
+--------------------------------+
|                                |
HIPPOKRATES  * ca. 608 ndFl      HIPPOLYTOS kommt in der
(mit Tochter des Nestor?)        Flut des Deukalion um;
|
PEISISTRATOS * ca. 633 ndFl als "Wiedergeburt des Theseus"
|                                |
+---------------+                +----------------+
HIPPIAS         HIPPARCH         Akamas*          Demophon
* ca. 660 ndFl  * ca. 662 ndFl   (Phokion         Demades)
* Durch Konsonanten- und Silbenumstellung lassen sich die Namen - hier sogar übers Kreuz - ineinander umwandeln.

Im Rückgriff auf das 4. Kapitel im Sechsten Buch (Band 4), das vom Dorereinfall und vom Trojanischen Krieg handelt, fasse ich hier noch einmal zusammen, was ich dort zu der Geschichte Athens in dieser Zeit gesagt habe:

Athen selbst spielt in der Dichtung um den Trojanischen Krieg eine eher unbedeutende Rolle. Einmal wird ein König Menestheus von Athen genannt, der seine Truppen nach Troja sandte, ein andermal sind es die Söhne Akamas und Demophon des Theseus, des letzten Königs in Athen vor der Katastrophe, die am Krieg aktiv teilnehmen. Alles, was zu diesen angeblichen Söhnen des Theseus überliefert wird, ist dichterische Phantasie; denn diese Söhne sind nicht historisch echt. Ihre Namen gehören zu den Söhnen des Peisistratos, zu Phokion-Hipparch und Demades-Hippias, die um 660 ndFl etwa geboren werden. Auch sie werden bedeutende Staatsmänner in der Geschichte Athens.

Theseus hatte durch seinen attischen Synoikismos, den Zusammschluss der attischen Gemeinden mit Athen zu einem einheitlichen politischen Gebilde, die Grundlage für ein starkes Athen geschaffen. Die Früchte zeigten sich noch nicht sofort; doch die spätere Wirtschaftsmacht Athen bzw. Attika wäre ohne diesen Synoikismos nicht denkbar. Nachdem er auch noch Pheidon, den "kretischen Stier", den minoischen Statthalter in Argos, besiegt hatte, wurde Theseus zum Nationalhelden von Athen. Angeblich soll Lykomedes, der Beherrscher der Insel Skyros, Theseus dort von einer Klippe ins Meer gestürzt haben. Später, nachdem ihn das Meer an den Strand gespült hatte, wurde er dort begraben. Unter diesem Aspekt kann aber auch dieselbe deukalische Flut seinen Tod verursacht haben, die schon seinem Sohn Hippolytos zum Verhängnis wurde.

Jahrzehnte später holte der Athener Kimon die Gebeine des Theseus von Skyros nach Athen und setzte sie im neuerrichteten Theseion bei, einem heute noch gut erhaltenen dorischen Tempel, der als einziger griechischer Tempel noch Teile einer Deckenkonstruktion erkennen lässt.

Pheidon ist bekanntlich der Phaëton der Sage. Er überlebte die Niederlage gegen Theseus oder die Katastrophe Typhon 4 nicht, seinem Sohn indes werden wir schon bald begegnen. Da von Pheidon gesagt wird, er habe die Eleier, die traditionell als Schiedsrichter bei den Olympischen Spielen gewirkt hätten, gewaltsam aus Verärgerung über ein seiner Ansicht nach falsches Urteil, das sie gefällt haben sollen, aus ihrem Amt gejagt und sich selbst zum Schiedsrichter gemacht, so können wir davon ausgehen, dass auch vor der Katastrophe Typhon 4 schon Olympische Spiele in Elis abgehalten wurden; denn nach der Katastrophe hat Pheidon nicht mehr gelebt.

Theseus überlebte das Jahr 624 ndFl offenbar nicht. Ob sein Sohn Hippokrates sein Nachfolger wurde, ist nur von geringer Bedeutung; denn schon im Jahr darauf wurde Kodros König von Athen. Dieser wurde durch seinen Opfertod zur Legende: Er soll die Stadt durch seinen Tod vor den Dorern gerettet haben. Meines Erachtens war Kodros ein Nordwestgrieche, der mit demselben Zug, in dem sich auch Thestios von Kalydon befand, der als Thyestes in Argos einzog, gekommen war und möglicherweise Hippokrates vom athenischen Thron gestürzt hatte. Die dorischen Nordwestgriechen waren nach der Typhon-Katastrophe in Richtung Thessalien, Boiotien und Attika aufgebrochen. Den Opfertod könnte Kodros gegen die Sparta-Dorer erlitten haben, die Athen nicht erobern konnten. Eine Herkunft des Kodros aus Athen oder Attika ist ohnehin nicht erkennbar. Sein Name klingt eher dorisch als ionisch. Herodot lässt durchblicken, dass sein Geschlecht aus Pylos stammte5, einer Stadt in Messenien, wo die Dorer an Land gegangen waren. Er bezeichnet Kodros als Sohn des Melanthos und als Kaukoner. Auf Pylos weist Herodot auch an anderer Stelle hin:

(Her. V, 65) Ebenso wie die ehemaligen Könige Athens, das Geschlecht des Kodros und Melanthos, Eingewanderte waren, nämlich Pylier und Nachkommen des Neleus, so auch die Peisistratiden. Daher hatte auch Hippokrates seinem Sohn den Namen Peisistratos gegeben: zum Gedächtnis an Nestors Sohn Peisistratos.

Nestor war angeblich der an Jahren älteste Teilnehmer am Trojanischen Krieg, und somit wäre er ein Zeitgenosse des Hippokrates gewesen. Beider Söhne Peisistratos müssten folglich ebenfalls gleichzeitig gelebt haben. Besonders interessant ist natürlich die Angabe, die Peisistratiden seien Eingewanderte gewesen, was im Zusammenhang mit den Kaukonern des Kodros direkt auf dorische Herkunft weist. Allerdings bleibt die Abkunft des Peisistratos von Theseus unbestreitbar, wenn auch Herodot hiervon nichts zu wissen scheint. Vermutlich war die Mutter des Peisistratos eine Tochter des Nestor.

Wie der Wechsel vom attischen Geschlecht des Theseus zu dem des Dorers Kodros im einzelnen vonstatten ging, ist nicht mehr erkennbar.

Medon, der Sohn des Kodros, der meines Erachtens mit dem Menestheus der Dichtung identisch ist, folgte seinem Vater noch vor dem Trojanischen Krieg auf dem Thron von Athen. Von ihm leitet sich das Geschlecht der Medontiden ab, zu dem auch sein Sohn Solon gehört. In der konventionellen Geschichte kann Solon noch nicht der Sohn des Medon sein - falls dieser der unmittelbar folgende Sohn des Kodros sein soll -, da durch die Zeitüberdehnung eine viel zu lange Spanne zwischen Medon und Solon erscheint. Auch Hippokrates als Sohn des Theseus ist aus demselben Grund konventionell nicht vorstellbar. Herodot erwähnt den Vater des Hippokrates nicht. Er bezeichnet diesen ausdrücklich als einfachen Mann aus dem Volke.

Menestheus soll den aus der Unterwelt zurückgekehrten Theseus aus Athen vertrieben haben. Dieser ebenfalls sehr märchenhaft anmutende Vorgang steht für eine politische Wende: auf dem Thron von Athen saßen dorische Könige! Das Haus des Theseus war zwar nicht ausgelöscht, da sein Sohn Hippokrates noch lebte und sehnsüchtig darauf wartete, noch einen Sohn zu bekommen; aber es war politisch völlig entmachtet worden. Erst durch Peisistratos wurde dieses Geschlecht wieder einflussreich in Athen.

Ein weiterer Sohn des Kodros war der oben schon erwähnte Neleus oder Neileus, der gemeinsam mit Philistos, dem Sohn des Pasikles, die Stadt Milet in Ionien gegründet haben soll6. Da die Geburt des Neleus-Neileus um etwa 620 ndFl anzusetzen sein dürfte, so kommt für die Gründung Milets die Zeit zwischen 640 und 650 ndFl in Frage, also die hohe Zeit der hethitischen Macht. In hethitischen Texten werden die Iavan genannt, also Ionier, was für die Schulwissenschaft ärgerlich ist, da zu so früher Zeit - wie man meint - noch keine Ionier in Kleinasien gelebt haben könnten.

Herodot (I, 17) berichtet von einem Krieg des Lyderkönigs Alyattes, also des Tudhaliyas (ermordet 656 ndFl), gegen Milet, den er schon von seinem Vater Sadyattes übernommen haben soll. Ich denke, dass Herodot hier wieder einmal die Generationen verschoben hat; denn für die Übernahme eines Krieges gegen Milet durch den Nachfolger kann nur der Sohn des Tudh-Alyattes in Frage kommen, nämlich Suppiluliumas. Elf Jahre soll Alyattes Milet bekämpft haben (I, 18), und sechs von diesen elf Jahren soll noch Sadyattes, der Sohn des Ardys, König von Lydien gewesen sein. Übertragen auf die erste Generation, die überhaupt erst mit Milet Kontakt haben konnte, weil es nicht vor der Regierung des Alyattes gegründet wurde, war dieser selbst. Somit läge der Krieg der Hethiter-Lyder gegen diese Stadt zwischen 650 und 661 ndFl: fünf oder sechs Jahre unter Tudh-Alyattes, geführt von dessen Sohn und Feldherrn Suppiluliumas, und fünf oder sechs Jahre unter diesem selbst, bis er als Uman-Igasch = Suppiluliumas, König von Elam, im Jahre 661 ndFl in Hattusas auf den Thron stieg.

Ohne ein Wunder kann der Krieg bei Herodot natürlich nicht zu Ende gehen (I, 22); aber es sieht danach aus, als habe es Frieden zwischen Milet und den Lydern gegeben. Hieran war Periandros, der Sohn des Kypselos und Herrscher von Korinth, nicht unbeteiligt. Dieser war mit Thrasybulos, dem Herrscher von Milet, befreundet (I, 20). Auf Periandros komme ich weiter unten wieder zurück.

Auf die Frage, was Athen mit einem argivisch-spartanischen Krieg gegen Troja zu schaffen gehabt haben soll, habe ich als Erklärung angeboten, dass der König Menelaos von Sparta einen gewissen, nicht näher zu definierenden Einfluss auf das dorisch beherrschte Athen gehabt haben könnte, was auch eine Bestätigung für meine Annahme abgeben würde, die Medontiden seien Dorer gewesen.

Die dorische Herrschaft über Athen währte nur kurze Zeit; denn mit der Abschaffung des Königtums begann die attische Adelsherrschaft in Athen. Der Konkurrenzkampf der beiden Königshäuser gipfelte in dem Streit des Medontiden Solon mit dem "Theseus II" = Peisistratos. Die Theseus-Dichtung entstand logischerweise am Hofe des Peisistratos, des späteren Tyrannen von Athen, der mehrfach in die Verbannung geschickt wurde und jedesmal wiederkehrte.

Herodot sagt7, Kroisos habe erfahren, dass es in Athen Parteikämpfe gebe, während Peisistratos bereits Tyrann in dieser Stadt gewesen sei. Kroisos regierte von 673 bis 687 ndFl. Die Peisistratiden regierten Herodot zufolge sechsunddreißig Jahre über Athen, bis die Söhne Hipparch und Hippias im Jahre 699 ndFl aus Athen vertrieben wurden8. Herodot hält diese Vertreibung für die endgültige Befreiung Athens von den Tyrannen; aber die Peisistratiden kommen noch einmal wieder.

Konventionell heißt es, Peisistratos habe zweiunddreißig Jahre regiert, seine Söhne Hippias und Hipparch gemeinsam noch dreizehn oder vierzehn Jahre, bis Hipparch ermordet wurde, und danach habe Hippias noch vier Jahre allein die Tyrannis ausgeübt bis zu seinem Sturz (konv. von 561/560 bis 510 v.Chr.). Das sind mindestens fünfzig Jahre.

Der Tod des mit Peisistratos vermischten Perikles tritt dem "Polemos" zufolge im dritten Jahr des Peloponnesischen Krieges ein, mithin konventionell im Herbst des Jahres 429 v.Chr.; denn der Krieg beginnt konventionell im Frühjahr des Jahres 431 v.Chr. Da dieser Krieg in der berichtigten Geschichte im Jahre 720 ndFl endet und siebenundzwanzig Jahre gedauert haben soll (konv. 431-404 v.Chr.), so muss er im Jahre 693 ndFl begonnen haben. Das Endjahr ergibt sich aus einer anderen Berechnung, auf die hier noch nicht eingegangen werden soll.

Das Todesjahr des (Perikles-)Peisistratos ist mithin das Jahr 695 ndFl, sein Regierungsantritt fiele nach konventioneller Auffassung demnach in das Jahr (695 ./. 32 =) 663 ndFl. Die Regierung des Peisistratos war einige Male unterbrochen, so dass eine genaue Angabe nur bedingt möglich ist. War der Parteienstreit in Athen, von dem Kroisos hörte, der Kampf um die Tyrannis, der am Beginn der Macht der Peisistratiden stand? Das wäre wohl zu spät gewesen.

Der Parteienstreit war das Ende einer Auszeit des Peisistratos, während welcher ein anderer in Athen geherrscht hatte, nämlich der weiter oben bereits erwähnte Medontide Solon. Er musste Athen verlassen und dem rehabilitierten Peisistratos das Feld räumen. Er begab sich auf Reisen, die ihn zu Kroisos in Sardes (Lydien) und nach Ägypten (Saïs oder Athribis) zu Amasis führten. Beide Gastgeber waren noch nicht lange im Amt: Kroisos seit 673 ndFl und Amasis seit 677 ndFl; letzterer war gerade erst von den Assyrern eingesetzt worden. Die Auszeit des Peisistratos muss folglich 677 ndFl oder kurz danach beendet worden sein.

Vergleicht man die konventionellen Angaben zur Regierungsdauer des Perikles mit der konventionell vertretenen Länge der Regierungszeit des Peisistratos, dann stellt man eine bemerkenswerte Übereinstimmung fest: beide regierten nach konventioneller Ansicht zweiunddreißig Jahre: 561/560 bis 528/527 und 461 bis 429 v.Chr.! Das kann kein Zufall sein. Rechnen wir jetzt von 695 ndFl diese zweiunddreißig Jahre zurück, so kommen wir in das Jahr 663 ndFl, in dem die Regierung des Peisistratos ihren Anfang genommen haben kann, und zwar ein Jahr nach einem gewissen Drakon, der in Athen "drakonische Strafen" eingeführt hatte.

Die Angabe zu Drakon errechnet sich aus der konventionell angegebenen Datierung "um 624 v.Chr.", die 152 Jahre nach dem Kalenderbeginn liegt. Geteilt durch vier ergibt das 38 Olympiadenjahre, also die Zeit von 624 bis 662 ndFl. Kurz davor muss der Kylon-Putsch in Athen stattgefunden haben: konv. 636 oder 632 v.Chr., also 659 oder 660 ndFl. Kylon soll im Jahre 640 v.Chr. olympischer Sieger geworden sein, was dem Jahr 658 ndFl entspräche, in dem es aber keine Spiele gegeben haben kann. Er müsste 656 ndFl oder sogar erst 660 ndFl seinen Sieg errungen haben. Herodot betont, dass Kylon noch vor die Zeit des Peisistratos gehöre9.

Was war in Athen zwischen dem Trojanischen Krieg (635/636 ndFl) und dem Kylon-Putsch geschehen? Offen gestanden: ich weiß es nicht. Vermutlich regierte noch eine Zeitlang ein dorisch-stämmiger König, möglicherweise Menestheus-Medon, bis die Adelskaste die Regierung übernahm, und alles war nach dem Trojanischen Krieg wieder friedlich. Nehmen wir die Gelegenheit war, einen Blick über den Zaun zu werfen:

Rom steht am Anfang seiner Geschichte. Die Phryger versuchen mit ihrem skythischen Söldnerheer, Kleinasien ganz zu unterwerfen und werden von Kadaschman-Charbe besiegt, ein Schicksal, das auch Nebukadrezzur ereilt, dem die Allianz aus Hethitern und Ägyptern zum Verhängnis wird. Die Zeit der Amarnakorrespondenz (um 650 ndFl) leitet über zu einer neuen Großmacht: Assyrien. Hinter dieser steht aber offensichtlich zunächst noch eine größere: Babylon. In Amurru-Kanaan streiten die Nachkommen des Jerobeam und des David I um die Brosamen, die vom Tisch der Assyrer fallen, und die Elamiter-Hethiter bereiten sich auf ihr Comeback in der Geschichte vor. Die Welt steht an einer Wende, und in weniger als einer Generation wird der Okzident den Orient herausfordern.

Das erste bedeutende Ereignis, das Athen in dieser Zeit betraf, war der Putsch des Olympioniken Kylon im Jahre 660 ndFl, der mit Unterstützung seiner jugendlichen Altersgenossen den Versuch unternahm, die Akropolis zu erobern und die Tyrannis zu gewinnen.

(Herodot V, 71): Der Versuch misslang, und er setzte sich schutzsuchend unter das Bild der Göttin. Die Vorsteher der Naukrarien, die damals die Leiter der Stadt waren, versprachen den Aufrührern Begnadigung, woraufhin diese den Asylort verließen. Dass sie trotzdem getötet wurden, fällt den Alkmeoniden zur Last.

Die Vorsteher der Naukrarien waren die Träger des ionischen Heerbannes und der ionischen Flotte. Wenn sie damals die Regierung ausübten, dann muss es irgendwann in der Zwischenzeit eine Abkehr von der Königsherrschaft gegeben haben, die nicht dokumentiert ist. Wichtiger als dieses zurückliegende Ereignis ist die Erwähnung der Alkmeoniden; denn sie sind ein wichtiger Machtfaktor in Athen:

(Herodot I, 59) Als sich ein Streit zwischen den Paralern und den Pedalern von Athen erhob - Führer der Paraler war Megakles, der Sohn des Alkmeon, Führer der Pedaler Lykurgos, der Sohn des Aristolaidas -, beschloss Peisistratos, sich zum Tyrannen zu machen und schuf eine dritte Partei. Er sammelte Anhänger, nannte sich den Führer der Diakrier und ersann folgende List. ...

Die Paralioi (Paraler) waren die Bewohner der Küste und vertraten die Interessen der Kaufleute, die Pediakoi oder Pedaler wohnten in der Ebene und setzten sich aus dem attischen Landadel zusammen. Die Diakrioi waren die Bergbewohner, Schafhirten und Kleinbauern aus den weniger ertragreichen Regionen Attikas.

Lykurgos, ein Nachfahre des Lykurg-Lakedaimon, den Orpheus einst getötet hatte, war aus Sparta ins Exil nach Athen gegangen, weil er die spartanische Verfassung eingerichtet hatte. Solche Auszeiten waren damals üblich, um der Nachrede der eigenen Vorteilsnahme zu entgehen. Auf ihn werde ich im Zusammenhang mit der Geschichte Spartas zurückkommen. Er kann schon vor den hier beschriebenen Differenzen ein politisches Amt in Athen bekleidet und wie in Sparta strenge Gesetze mit "drakonischen" Strafen erlassen haben, was ihn auf der Stelle mit Drakon identifizierbar macht: (Lake-)Daimon = Drakon, Dämon, Drache!

Megakles ist der ältere dieses Namens, genauso wie sein Vater Alkmeon, der ein Sohn des Nestor von Pylos war. Wenn ihn der Kommentator Herodots (Anm. I, 50) als Urenkel des Nestor bezeichnet, dann verwechselt er ihn mit dem Sohn des älteren Megakles, mit Alkmeon II, der tatsächlich ein Urenkel Nestors und ein Zeitgenosse des Kroisos war. Auch Alkmeon I war von den Dorern aus der Peloponnes vertrieben worden und hatte Zuflucht in Attika gefunden. Hier begründete er eine einflussreiche Dynastie. Konventionell würde es übrigens schwierig sein, vom Dorereinfall bis zu dem älteren Alkmeon nur vier Generationen unterzubringen; aber glücklicherweise ist ja alles viel einfacher.

Durch listige Verstellung kann Peisistratos die Athener dazu bewegen, ihm eine Leibwache zu stellen, mit deren Hilfe es ihm gelingt, die Akropolis zu erobern und Herrscher von Athen zu werden. Er nimmt keinerlei Veränderung an den Ämtern und Einrichtungen vor und führt ein ordentliches Regiment.

(Herodot I, 60) Nicht lange danach verbanden sich die Anhänger des Megakles und des Lykurgos und vertrieben Peisistratos. So nahm seine erste Herrschaft über Athen ein Ende, weil die Tyrannis noch nicht so recht Wurzel gefasst hatte. Aber die Vertreiber des Peisistratos verfeindeten sich aufs neue miteinander. Megakles geriet in Bedrängnis und ließ Peisistratos durch einen Herold sagen, ob er die Herrschaft und dazu seine Tochter zum Weibe haben wolle. Peisistratos erklärte sich damit einverstanden.

Durch seine Schläue und die Unterstützung des Megakles gelang es Peisistratos, die Herrschaft in Athen neuerlich an sich zu reißen. Zu dieser Zeit soll er schon Söhne im Jünglingsalter gehabt haben; das heißt, da seine Söhne Hippias und Hipparch um etwa 660 ndFl geboren sein müssen, dass diese Rückkehr etwa im Jahre 677 ndFl anzusetzen sein dürfte, also in dem Jahr, in dem Amasis von den Assyrern in Athribis eingesetzt wurde, und als eine Tochter des Megakles ungefähr fünfzehn Jahre alt gewesen sein könnte. Was Herodot nicht sagt, ist, dass Solon zu dieser Zeit Athen - vermutlich in Richtung Sardes - verlassen hat.

Kurz danach verließ Peisistratos Athen ebenfalls und ging nach Eretria. Von hier aus bereiteten die Peisistratiden ihre Rückkehr nach Athen vor, indem sie Geldgeber auftrieben und Verbündete, wie zum Beispiel die Thebaner und den Naxier Lygdamis. Im elften Jahr ihres Exils kehrten sie in die Heimatstadt zurück10, vermutlich kurz vor der Rehabilitierung des Perikles-Peisistratos, sehr wahrscheinlich - wie sich aus Berechnungen weiter unten ergibt - im Jahre 692 ndFl. Somit hätte das zweite Exil des Peisistratos im Jahre 682 begonnen, fünf Jahre nach seiner zweiten Thronbesteigung und noch während der Abwesenheit des Solon, der sich noch bis 687 ndFl von Athen fernhalten musste.

Die Gesetzgebung des Solon, zu der auch die Seisachtheia gehörte, der allgemeine Schuldenerlass, um die Wirtschaft nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen, gehört in die Zeit der ersten Abwesenheit des Peisistratos bis 677 ndFl, und der Auslandsaufenthalt des Solon schließt daran an bis zum Jahre 687 ndFl. Solon soll auch Kypros (Zypern) besucht haben11, wo er dessen Herrscher Philokypros als einzigen Tyrannen überhaupt mit einem Gedicht besang. Der Sohn dieses Gastgebers, Aristokypros von Soloi, fiel auf Zypern in einer Schlacht gegen Darius I im Ionischen Krieg (705-712 ndFl).

In den letzten Jahren des Perikles soll eine Pestkatastrophe Athen heimgesucht haben12. Schließlich sei Perikles an dieser Seuche gestorben. Zu der Zeit des Peisistratos-Perikles ist an anderen Orten keine Pest übermittelt, wohl aber in den Jahren um 675 ndFl (Hiskias Feigenpflaster und die Pestgedichte des Mursilis). Der Tod des Peisistratos im Jahre 695 ndFl hatte mit derjenigen Pest, die Athen einige Jahre früher heimgesucht hatte, nichts zu tun.

Als Nachfolger des Peisistratos stiegen im Jahre 695 ndFl dessen Söhne Hippias und Hipparch gemeinsam auf den attischen Thron. Wer aber die Nachfolge des Perikles in Athen antrat, wird vom "Polemos" offengelassen.

ndFl Herrscher in Athen vor dem Pelop. Krieg
kurz nach 624
um 630
um 640
   660
   662-663
   663-675
   675-677
   677-682
   682-692
   693
   695
Kodros, Sohn des Melanthos
Medon-Menestheus, Sohn des Kodros (?)
Vorsteher der Naukrarien
Kylon-Putsch, dann Alkmeon, Megakles
Drakon (= Lykurgos?)
Peisistratos (gegen Megakles und Lykurgos)
Solon (Seisachtheia, Bauernbefreiung)
Peisistratos; Solon im Ausland (bis 687)
Peisistratos in Eretria im Exil;
Beginn des Peloponnesischen Krieges;
Peisistratos stirbt; Hippias und Hipparch

Die Archonten, die die Regierungsgeschäfte in Athen führten, werden schon ab dem ersten Jahr des Peloponnesischen Krieges namentlich aufgeführt. Nach einem von ihnen, dem jeweiligen Archon Eponymos, wurde das Jahr benannt. Daher muss die Einrichtung des Archontats als politisches Amt schon unter Peisistratos oder noch früher geschaffen worden sein. Analog zu den Archonten in Athen fungierten in Sparta die Ephoren ebenfalls als Namensgeber für das Jahr.

Als Peisistratos Athen zum dritten Male gewann, gingen die Alkmeoniden außer Landes: 692 ndFl, ohne jedoch ihr Interesse an Athen aufzugeben. In die Zeit des Kroisos gehört auch der Bericht Herodots über den Ursprung des Reichtums der Alkmeoniden:

(Herodot VI, 125) Die Familie der Alkmeoniden war in Athen schon von alters her angesehen, doch kam sie erst durch Alkmeon und dann wieder durch Megakles zum höchsten Ansehen. Alkmeon, Sohn des Megakles, war es, der jenen von Kroisos aus Sardes an das Orakel in Delphi entsandten Lydern Beistand leistete und sich ihrer annahm. Kroisos ließ ihn, als die Gesandten ihm von der Freundlichkeit des Alkmeon erzählt hatten, nach Sardes kommen und machte ihm alles Gold zum Geschenk, das er auf einmal an seinem eigenen Körper hinwegtragen könne.

Die Anfrage des Kroisos in Delphi bezieht sich auf Kyros und das von diesem eroberte Mederreich. Bekanntlich wollte Kroisos wissen, ob er die Meder angreifen könne, ohne den lydischen Thron zu gefährden. Der Orakelspruch verhieß ihm, dass er, wenn er den Halys überschreite, ein großes Reich zerstören würde.13 Dass er unterlag und damit sein eigenes Reich zerstörte, wurde ihm erst klar, als es schon zu spät war. Chronologisch ist es wichtig, dass die mit den Alkmeoniden verbundenen Ereignisse in diesem Zusammenhang erst kurz vor dem Ende des Kroisos-Reiches liegen können, also etwa in den Jahren 684 bis 687 ndFl, während die Peisistratiden im Exil auf Euböa waren. Wenn es heißt14, dass sich Alkmeon Rennpferde gehalten und einen Sieg in Olympia errungen habe, dann kann damit frühestens das Fest des Jahres 684 ndFl gemeint sein, die 16. Olympischen Spiele nach Typhon im 61. Olympiadenjahr. Im Jahr darauf siegte Kimon.

Wie alt war Alkmeon zu dieser Zeit? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir uns mit den Umständen und dem Zeitpunkt seiner Geburt befassen15:

Ein Menschenalter später (hier irrt Herodot, der offenbar den jüngeren mit dem älteren Alkmeon verwechselt hat; es muss heißen: eine Generation vorher) wurde die Familie durch Kleisthenes, den Tyrannen von Sekyon, noch weit berühmter in Hellas als sie vorher gewesen war. Kleisthenes war der Sohn des Aristonymos, ein Enkel des Myron, ein Urenkel des Andreus. Er hatte eine Tochter, namens Agariste, die er dem tapfersten und edelsten unter allen Hellenen, die er fände, zum Weibe geben wollte. Auf dem olympischen Feste gewann er einen Sieg mit dem Viergespann und ließ durch einen Herold verkünden, wer unter den Hellenen sich würdig glaube, des Kleisthenes Schwiegersohn zu werden, möge am sechzigsten Tage oder früher nach Sekyon kommen, weil Kleisthenes innerhalb eines Jahres von jenem sechzigsten Tage ab die Hochzeit seiner Tochter feiern wolle.

Der Sieg mit dem Viergespann gehört, wenn Kleisthenes den Wagen selbst gelenkt haben sollte statt eines jüngeren, kaum in ein späteres Jahr als 644 ndFl. Da seine Tochter Agariste jedoch erst etwa in diesem Jahr geboren wurde, so dürfte die Feier des Jahres 660 ndFl gemeint sein, als für Kleisthenes ein anderer den Wagen gelenkt haben müsste.

(Herodot VI, 126) Da machten sich denn alle Hellenen, die auf sich und ihre Vaterstadt stolz waren, als Freier auf nach Sekyon, und Kleisthenes richtete eine Rennbahn und einen Ringplatz ein. (127) Von Italien kam Smindyrides, Sohn des Hippokrates von Sybaris, ... und aus Siris kam Damasos, Sohn des Amyris, ... von dem ionischen Meerbusen kam Amphimnestos, Sohn des Epistrophos, aus Epidamnos. Von Aitolien kam des Titormos Bruder Males, ... Aus der Peloponnes kam Leokedes, der Sohn des Tyrannen Pheidon von Argos, jenes Pheidon, der den Peloponnesiern Maß und Gewicht gegeben hat und der gewalttätigste aller Hellenen war - er vertrieb in Olympia die Kampfrichter aus Elis und leitete die Spiele selber -; ... Ferner der Arkader Amiantos, Sohn des Lykurgos, aus Trapezus, und der Azanier Laphanes, Sohn des Euphorion aus der Stadt Paios, jenes Euphorion, der, wie in Arkadien die Sage geht, die Dioskuren bewirtet und seitdem alle Menschen gastlich aufgenommen hat - und aus Elis Onomastos, Sohn des Agaios. Das waren die Freier aus der Peloponnes selber.

Aus Athen kamen Megakles, Sohn jenes zu Kroisos berufenen Alkmeon, und Hippokleides, Sohn des Teisandros, (eines Nachfahren des Kypselos von Korinth, Herodot VI, 128) ...

Aus Eretria, damals einer blühenden Stadt (auf Euböa), kam Lysanias. Aus Thessalien kam der Skopade Diaktorides, aus der Stadt Krannon, und der Molosser Alkon. Die Molosser wohnten in Epirus, einer urdorischen Heimat in Nordwestgriechenland.

Wichtige Markierungen für die Chronologie sind die Angaben zu Leokedes (bzw. anderswo auch Leokades genannt), dem Sohn des Pheidon = Phaëton, der noch vor der Katastrophe Typhon 4 geboren sein muss, sodann zu Euphorion, der die Dioskuren, also die Söhne Aristodemos und Zeuxidemos des "Tyndaros" Aristomachos, die um 600 ndFl geboren wurden, kurz nach 624 ndFl bewirtete. Sein Sohn Laphanes von Paios dürfte im Jahre 660 ndFl etwa fünfunddreißig Jahre alt gewesen sein.

Hippokrates ist meines Erachtens auch der Vater des Peisistratos, und somit wäre Smindyrides aus Sybaris dessen Bruder in Italien. Sybaris soll damals in höchster Blüte gestanden haben16. Wenn dieser mutmaßliche Bruder des Peisistratos etwa 635 ndFl geboren sein sollte, dann darf das Sekyon-Ereignis nicht vor 660 ndFl angesetzt werden. Das harmoniert trefflich mit der Blütezeit der Stadt Sybaris.

Interessant ist auch der Hinweis auf einen Teilnehmer aus Aitolien, auf Males, den Bruder des Titormos, der alle Hellenen an Kraft übertraf und sich in die entlegensten Gegenden des Aitolischen Landes vor den Menschen geflüchtet hatte. Es scheint sich bei diesen Brüdern um Nachfahren der "gewaltigen" Kalydonier gehandelt zu haben, möglicherweise um Enkel des Thestios = Thyestes, die ebenfalls um 630 ndFl geboren sein könnten.

Megakles ist natürlich nicht der Sohn jenes Alkmeon, der sich bei Kroisos sämtliche Taschen seines Mantels und auch die Backen mit Gold vollstopfte, sondern er ist dessen Vater, aber der Sohn des älteren Alkmeon.

Hippokleides kann nur in mütterlicher Linie von Kypselos abstammen, da er spätestens 635 ndFl geboren sein muss, um 660 ndFl an der Brautwerbung teilnehmen zu können. Sein Vater Teisandros (* ca. 613 ndFl) könnte eine um 620 ndFl geborene Tochter des Kypselos (* ca. 598 ndFl) geheiratet haben. Herodot sagt ja auch nicht, dass Teisandros der Sohn des Kypselos gewesen sei.

Nachdem alle Freier ihre besten Seiten zur Schau gestellt hatten und Kleisthenes sein Urteil gefällt hatte (Herodot VI, 130f.) sprach (er) folgendermaßen zu den Versammelten: "... Meine Tochter Agariste aber verlobe ich dem Megakles, Sohn des Alkmeon, nach dem Eherecht der Athener."

Der Sohn dieses Paares war jener Kleisthenes, der die Phylen in Athen schuf und die Demokratie einrichtete.

Damals war es üblich geworden, den Söhnen die Namen ihrer Großväter zu geben. Das Geburtsjahr des jüngeren Kleisthenes dürfte kurz nach 660 ndFl liegen, die Errichtung der Demokratie gehört erst ans Ende dieses und den Anfang des nächsten Jahrhunderts nach der Flut.

Die Alkmeoniden
Herakles             Andreus
|                    |
Hyllos oo Jole       Myron
|                    |
|                    +-----------+------------+
Nestor von Pylos     Aristonymos Aristomachos Aristolaides
* 587 ndFl           * 585       |            |
|                    |           Aristodemos  Lykurg
|                    |           Zeuxidemos   |
|                    |           (Dioskuren)  Amiantos von
|                    |                        Trapezus?
Alkmeon d.Ält.       Kleisthenes d.Ält.
* 608 ndFl           * 610 ndFl
|                    |
Megakles d.Ält.  oo  Agariste d.Ält.
* 630 ndFl           * 645 ndFl
+ ca. 685 ndFl
|
+----------------+---------------+
Alkmeon d.Jüng.  Hippokrates     Kleisthenes d.Jüng.
* 661 ndFl       * ca. 663 ndFl  * ca. 665 ndFl
                 |               (Demokratie, Phylen)
                 |
         +-------+----------+                    Ariphron
         |                  |                    |
         Megakles d.Jüng.   Agariste d.Jüng. oo  Xanthippos
         * ca. 685 ndFl     * ca. 682 ndFl       * ca. 672
                                                 |
                                                 Perikles
                                                 * 694 ndFl

(Herodot VI, 131) Ein zweiter Sohn des Megakles war Hippokrates, und dieser Hippokrates hatte wiederum einen Sohn Megakles und eine Tochter Agariste, die ihren Namen nach der Tochter des Kleisthenes, Agariste, hatte. Sie vermählte sich mit Xanthippos, dem Sohn des Ariphron, und ... sie gebar dem Xanthippos den Perikles. Xanthippos war Feldherr der Athener im Peloponnesischen und im Perserkrieg (693-729 ndFl). Perikles, sein Sohn, wird nach dem Peloponnesischen Krieg der Oberste in Athen.

Was Herodot an dieser Stelle übergeht, ist der Hinweis auf den Sohn Alkmeon des Megakles; denn dieser ist es, der von Kroisos so reich beschenkt wurde. Herodot (VI, 125) sagt: "Alkmeon, Sohn des Megakles"; und das war keineswegs der ältere Alkmeon; denn der war der Sohn des Nestor.

Es gilt nun, eine weitere einflussreiche Familie, die zu dieser Zeit in Athen lebte, vorzustellen:

(Her. VI, 35f.) In Athen war damals Peisistratos der unumschränkte Herr. Aber mächtig und einflussreich war auch Miltiades, Sohn des Kypselos, aus einem reichen Hause, das vierspännige Rennwagen halten konnte. Dieses Geschlecht stammte von Aiakos ab und war aus Aigina gekommen. Philaios, der Sohn des Aias, war der erste des Hauses, der in Athen ansässig wurde. Der Kommentator vermerkt (VI Anm. 57): Das Geschlecht des Miltiades führte sich also wie das der Alkmeoniden und Peisistratiden auf Helden des Troischen Krieges zurück. Ob hier ein historischer Kern vorliegt, diese Geschlechter also von alten achäischen Adelsclanen abstammen, lässt sich heute nicht mehr beantworten.

Stammtafel der Aiakiden Nr. 1
Chus-Sesostris-         Aiakides (?)
Sisiphos                * ca. 560 ndFl
* ca. 550 ndFl          |
|                       Ajax der Ältere
Kypselos                = Aias = Aiakos
* ca. 598 ndFl          * ca. 585 ndFl
|                       |
+------------+          +-----------------+
Periander    Tochter oo Philaios          Ajax der Jüngere
| ca. 635    * 620      | 608 ndFl        = Aiakes
|     ndFl              |                 * ca. 610 ndFl
|            +----------+--+              |
|            | (Halbbrüder)|              |
Psammetich   Kimon         Miltiades d.Ä. (Pantagnotos,
* ca. 656    * ca. 635     * ca. 633 ndFl  Syloson und)
      ndFl?  + 696 ndFl    + ca. 695 "     Polykrates
             |             kinderlos gem.  * ca. 635 ndFl
             |             Herodot VI, 38  + 699 ndFl
+------------+----------+
|                       |
Miltiades d.J.          Stesagoras
* ca. 663 ndFl          * ca. 660 ndFl
Feldherr bei            + kinderlos gem.
Marathon                Herodot VI, 38

Doch, es lässt sich sogar ganz einfach beantworten: Der Trojanische Krieg liegt erst wenige Jahre zurück, wenn der Nestor-Enkel Peisistratos die Tyrannis in Athen übernimmt. Und folglich ist ein Enkel des Ajax-Aias-Aiakos und Sohn dessen Sohnes Philaios ebenfalls in der richtigen Zeit neben Peisistratos. Der hier aufgeführte Kypselos ist entweder ein Namensvetter des korinthischen, eines Sohnes von Chus-Sesostris-Sisiphos, oder, falls er dieser selbst sein sollte, der Großvater mütterlicherseits, was ich für wahrscheinlicher halte.

Der thrakische Stamm der Dolonker war damals im Besitz der thrakischen Chersones(os), jener Halbinsel im Westen des Hellesponts, für welche die Apsinthier oder Absinthier, ein anderer thrakischer Stamm, zu dieser Zeit ebenfalls Interesse zeigten. Die Dolonker baten Miltiades (den Älteren) um Hilfe, die dieser ihnen gern gewährte; denn seine Familie stand mit den Peisistratiden nicht auf gutem Fuß, und so bot sich ihm eine willkommene Gelegenheit, Athen zu verlassen. Miltiades nahm die Chersones in Besitz, und die Dolonker machten ihn zu ihrem König. Nachdem er die Chersones an ihrer schmalsten Stelle, nämlich zwischen Kardia und Paktya, durch eine Mauer gegen Apsinthier und andere thrakische Stämme gesichert hatte, zog Miltiades gegen die Stadt Lampsakos auf der gegenüberliegenden asiatischen Seite des Hellesponts, zu Felde. Die Lampsakener stellten Militiades einen Hinterhalt und nahmen ihn gefangen.

Wegen des hohen Ansehens, in dem Miltiades bei Kroisos von Lydien stand, drohte dieser den Lampsakenern mit Vernichtung, wenn sie den Athener nicht wieder freiließen. Einige Zeit nach seiner Freilassung ist Miltiades jedoch verstorben, ohne Söhne zu hinterlassen17. Herrschaft und Besitz vererbte er seinem Neffen Stesagoras, einem Sohn seines Halbbruders Kimon. Stesagoras, ebenfalls sohnlos, wurde einige Zeit nach dem Tode des Peisistratos von einem Lampsakener erschlagen. Obgleich die Peisistratiden zwischenzeitlich den Tod des Kimon veranlasst hatten, sandten sie Miltiades den Jüngeren, den Sohn des Kimon und Bruder des Stesagoras, nach der Chersones, um diese in Besitz zu nehmen. Er soll dort die Tochter Hegesipyle des Thrakerkönigs Oloros, geheiratet haben, die allerdings nicht die Mutter seines ältesten Sohnes Metiochos geworden sein soll - das macht uns stutzig: war er es überhaupt, der diese Frau heiratete, oder war es schon sein Vorfahre Miltiades der Ältere?

Offensichtlich wird im Interesse der Zeitdehnung entweder schon von Herodot oder aber auch erst von späteren Kopisten eine Wiederholung fast der ganzen Familie inszeniert: Obwohl Stesagoras sohnlos verstarb, muss er als der Vater eines jüngeren Kimon herhalten18, dessen Sohn Miltiades der athenische Feldherr gewesen sein soll, der die persischen Heere unter Mardonios und auch in der berühmten Schlacht bei Marathon besiegte. Außerdem soll dieser jüngere Kimon derjenige gewesen sein, der vor Peisistratos aus Athen fliehen musste; das hatten wir aber bereits: der ältere Kimon war schon nach dem Tode des Peisistratos ermordet worden, so dass es keinen Sinn macht, wenn dessen Enkel erst vor Peisistratos fliehen muss, und der Sohn dieses Kimon war auch jener Bruder des Stesagoras, den die Peisistratiden nach der Chersones schickten, und zwar - wie ich glaube - um diese für Athen und nicht für Miltiades in Besitz zu nehmen. Auf die Herren Kimon und Miltiades komme ich noch einige Male zurück.

Herodot (VI, 103) stellt die Verhältnisse so dar: Als Verbannter errang Kimon in Delphi einen Sieg mit dem Viergespann, ein Sieg, den sein Halbbruder Miltiades ebenfalls davongetragen hatte. Als er bei dem folgenden olympischen Feste mit denselben Pferden noch einmal siegte, ließ er Peisistratos als Sieger ausrufen, der sich zum Dank dafür mit ihm versöhnte und ihm die Rückkehr gestattete. Noch einen dritten olympischen Sieg errang er mit denselben Pferden; aber dann ereilte ihn der Tod.

Hier ist eindeutig von dem älteren Miltiades, der in dem Satz davor als Feldherr bei Marathon ausgewiesen wird, und von seinem Halbbruder Kimon die Rede. Es war jedoch nicht der ältere, sondern der jüngere Miltiades der Sieger von Marathon. Hier liegen erhebliche Fehler vor.

Es sind bei Kimon die Pythischen Spiele des Jahres 690 (in diesem Jahr waren er und Peisistratos verbannt), die Olympischen 692 (in diesem Jahr war Peisistratos wieder nach Athen zurückgekehrt) und 696 ndFl gemeint; denn der letzte Sieg Kimons lag schon nach dem Tode des Peisistratos (im Jahre 695 ndFl). Daraus folgt, dass die zehnjährige letzte Exilzeit des Peisistratos schon im oder vor dem Jahr 692 ndFl beendet gewesen sein muss. Andernfalls ergäbe es keinen Sinn, weshalb Kimon bei ihm um seine eigene Rückkehr gebuhlt haben sollte. Hatte er doch den Großvater Theseus des Peisistratos schon von Skyros nach Athen geholt und sogar das Theseion (vielleicht aus eigenen Mitteln) für Peisistratos errichtet, nur um diesem zu gefallen.

Der Halbbruder Miltiades muss seinen Sieg mit dem Viergespann übrigens nicht unbedingt gleichfalls im Jahre 690 ndFl errungen haben; aber bei den Olympischen Spielen davor im Jahre 688 oder 684 ndFl siegte Alkmeon der Jüngere.

(Herodot VI, 103f.) Der ältere Sohn Kimons, Stesagoras, war damals bei seinem Oheim Miltiades in der Chersones, der ihn erzog. (Und deshalb machte der ihn auch zu seinem Erben) Der jüngere lebte bei Kimon in Athen; er hatte nach dem Besiedler der Chersones den Namen Miltiades erhalten. (104) Jener Miltiades war also damals nach seiner Rückkehr aus der Chersones Feldherr der Athener.

Hier ist natürlich der richtige Kimon gemeint, nicht der fiktive Sohn eines sohnlosen Stesagoras, eines jüngeren Kimon, dessen Sohn Miltiades dann angeblich erst der athenische Feldherr geworden sein soll, der die Perserheere unter Mardonios und wenig später bei Marathon besiegte. Dieser Sieger bei Marathon war - um es nochmal zu sagen - Miltiades der Jüngere, der Sohn des Kimon, Bruder des einzigen Stesagoras und Neffe des älteren Miltiades, der wiederum Marathon nicht mehr erlebt haben kann.

Die Dame Hegesipyle muss schon von dem älteren Miltiades geehelicht worden sein; denn sie soll die Mutter des Feldherrn Kimon (angeblich des jüngeren) und die Großmutter des Thukydides geworden sein19, des Verfassers der Annalen des Peloponnesischen Krieges. Nun kann aber der ältere Miltiades nicht der Vater seines Halbbruders Kimon gewesen sein; deshalb muss er Hegesipyle, wenn sie überhaupt seine Ehefrau gewesen sein sollte, von seinem Vater als Witwe und Stiefmutter übernommen und geheiratet haben. Sie war schon von seinem Vater Philaios die Mutter Kimons und in ihrer ersten Ehe mit dem Großvater des Thukydides die Mutter des Vaters oder der Mutter des Thukydides geworden. Auf diese Weise bleibt der ältere Miltiades sohn- bzw. kinderlos und wird dessen Beziehung zur Chersones(os) noch plausibler: Schon sein Vater müsste diesen Landstrich als Mitgift bekommen haben.

Stammtafel der Aiakiden Nr. 2
             Ajax der Ältere
Kypselos     = Aias = Aiakos   Oloros, König von Thrakien
* ca. 598    * ca. 585 ndFl    * ca. 585 ndFl
|            |                 |
Tochter  oo  Philaios    oo    Hegesipyle  oo   1. Ehemann
* ca. 620    * ca. 608 ndFl    * ca. 615        * ca. 600
      ndFl   |                       ndFl       |     ndFl
+------------+-----------------+                |
Miltiades d.Ä. (oo Hegesipyle  Kimon            Melesias?
* ca. 633 ndFl  nach Tod des   * ca. 635        * ca. 630
+ ca. 695 "     Vaters?)       * 696 ndFl       |     ndFl
kinderlos gem.                 |                |
Herodot VI, 38                 |                |
               +---------------+                |
               Miltiades d.J.  Stesagoras       Thukydides
               * ca. 663 ndFl  * ca. 660 ndFl   * ca. 662
               Feldherr bei    + kinderlos gem. + nach 720
               Marathon        Herodot VI, 38         ndFl

Zu einer späteren Zeit, die hier noch nicht besprochen werden soll, werden uns die Alkmeoniden erneut begegnen:

(Herodot VI, 121) Es kommt mir wunderlich und unglaubhaft vor, dass die Alkmaioniden ... den Wunsch gehabt haben sollen, Athen unter das Joch der Barbaren (= Perser) und des Hippias zu bringen.

Der Verdacht des "Alkmeoniden-Verrats" gehört in die Zeit nach der Vertreibung des Hippias, des Sohnes des Tyrannen Peisistratos, und die Gelegenheit, bei welcher sich der Verdacht erhebt, betrifft die Marathon-Schlacht im Jahre 718 ndFl. Wenn Herodot dann fortfährt, lernen wie einen weiteren Gegner des Peisistratos kennen: (Herodot VI, 121) Denn sie (die Alkmaioniden) sind ohne Zweifel ebenso große oder noch größere Tyrannenhasser gewesen wie Kallias, Sohn des Phainippos, Vater des Hipponikos. Dieser Kallias war nämlich der einzige Mann in Athen, der die öffentlich zur Versteigerung angebotenen Güter des aus Athen vertriebenen Peisistratos zu kaufen wagte. Auch sonst hat er seine Todfeindschaft gegen Peisistratos stets bewiesen.

Interessant ist, was der Kommentator Herodot unterstellt (VI Anm. 171): Der Archon Eponymos zur Zeit der Schlacht bei Marathon (konv. 490 v.Chr., tatsächlich 718 ndFl) war Phainippos, der hier als der Vater des Kallias aufgeführt wird. Kallias war wiederum der Vater des Alkmeoniden Hipponikos, der 426 v.Chr. (im sechsten Jahr des Peloponnesischen Krieges, entsprechend 698 ndFl) Stratege war. Dieser Kallias kann natürlich nicht mit dem gleichnamigen Zeitgenossen des Peisistratos, der gleichfalls ein Alkmeonide war, identisch sein. Herodot ist hier eine Verwechslung unterlaufen.

Wie wir schon längst wissen, sind die Angaben des Herodot nicht immer zuverlässig, und Verwechslungen sind geradezu seine beliebtesten Irrtümer. In diesem Falle muss ich ihn aber in Schutz nehmen: Die "Verwechslung" in der Filiation (Vater-Sohn-Folge) ist meines Erachtens nicht von Herodot, sondern von Kopisten zu verantworten, die mit aller Gewalt den Peloponnesischen Krieg erst fünfzig Jahre nach dem Perserkrieg stattfinden lassen wollten. In Wirklichkeit sieht die Generationsfolge wie folgt aus:

Hipponikos, Stratege im Jahre 698 ndFl;
* ca. 630 ndFl
|
Kallias kauft die Güter des Peisistratos im Jahre 682 ndFl
* ca. 652 ndFl         und führt die Friedensverhandlungen
|                      zwischen Athen, Sparta und Persien;
|
Phainippos, angeblicher Archon Eponymos im Jahre 718 ndFl,
* ca. 674 ndFl         dem Jahr der Schlacht bei Marathon.

Nehmen wir 682 ndFl als das Jahr des Erwerbs der Güter des verbannten Peisistratos durch Kallias an, so kann dieser im Jahre 652 ndFl einem Vater geboren worden sein, dessen Geburtsjahr 630 ndFl gewesen sein könnte und der dann als Stratege im Jahre 698 ndFl für dieses Amt keineswegs schon zu alt gewesen wäre. Es gab damals eine ganze Reihe sogar achtzigjähriger Heerführer, wie wir noch sehen werden. In den Hellenika (IV 5, 13; VI 3, 2) erscheint Hipponikos als Vater des Kallias. Dadurch wird nicht nur meine Aussage, sondern auch die des Herodot bestätigt, der in diesem Fall offensichtlich die richtige Filiation angegeben hatte, die von Kopisten später jedoch verändert worden sein muss.

Der Sohn Phainippos des Kallias wäre etwa 674 ndFl geboren, so dass er als Archon Eponymos im Jahre der Schlacht bei Marathon (718 ndFl) nicht mehr zu jung war. Allerdings erwähnt Xenophon (Hellenika I,6) nicht ihn, sondern seinen Vater Kallias in diesem Amt. Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Im folgenden Jahr (718 ndFl = 407/6 v.Chr.), in welchem eines Abends eine Mondfinsternis eintrat, und in dem der alte Tempel der Athena in Athen in Brand geriet, unter dem Ephorat des Pityas (dieser Spartaner war auch eponymer Ephor in Hellenika II 3, 10) und dem Archontat des Kallias in Athen entsandten die Lakedaimonier an Stelle des Lysandros, dessen Amtszeit abgelaufen war, den Kallikratides als Befehlshaber der Flotte. Das gehört ins Jahr 705 ndFl! Im Vorjahr hatte Lysandros die athenische Flotte vernichtet, und der Seebund hatte aufgehört, zu bestehen.

Die Schlacht bei Marathon wird in den Hellenika überhaupt nicht erwähnt! Das hat natürlich diejenigen in ihrer Chronologie bestärkt, die Marathon ins Jahr 490 v.Chr. und das Archontat des Kallias ins Jahr 405 v.Chr. gelegt haben. Es ist aber absolut unglaubhaft, dass der alte Athene-Tempel erst gut ein halbes Jahrhundert nach dem Bau der Akropolis abgebrannt sein soll! Der Autor des "Polemos" schreibt als Zeitgenosse sowohl des Brandes des alten als auch des Baues des neuen Tempels, des Parthenon auf der Akropolis. Zu beachten wäre in diesem Zusammenhang auch noch der Hinweis bei Herodot (V, 64 und Anm. 82), dass sich die Peisistratiden bei einem Angriff der Spartaner (im Peloponnesischen Krieg und zwar kurz nach dem Tode des Peisistratos) in die pelargische Burg zurückgezogen hätten.

Nun erwähnt Herodot zwar den Peloponnesischen Krieg mit keinem Wort; aber es ist eindeutig diese Zeit gemeint, und der Kommentator hält das Pelargikon, die Burg der alten Pelasger, der Urbevölkerung Griechenlands, "für die Residenz der Peisistratiden am nordwestlichen Abhang der Akropolis". Die bekannte Akropolis war zu dieser Zeit noch nicht gebaut; sie wurde erst nach dem Peloponnesischen Krieg errichtet, und bei dieser Gelegenheit dürfte das Pelargikon abgerissen worden sein.

Wir können davon ausgehen, dass die hier auftretenden Ungereimtheiten nicht allein den antiken Autoren angelastet werden können. Hier ist von interessierten Kopisten des Mittelalters Geschichte mit Absicht in eine ganz bestimmte Richtung gefälscht worden: Man wollte die griechische und auch die übrige Altertumsgeschichte in die Länge ziehen, um die Diskrepanz zwischen ihr und der biblischen, die offensichtlich damals schon als zu lang erkannt worden war, zu verwischen. Auf Kallias komme ich in einem späteren Kapitel noch ausführlich zurück.

Der weiter oben schon im Zusammenhang mit einer Schlacht in Thrakien erwähnte persische Heerführer Mardonios ist in diesem Falle nicht der Vater, sondern der Sohn des Gobryas = Nabopolassar. Er ist möglicherweise der Bruder Nebuscharadan = Nabu-schar-idin des Nebukadnezar. Herodot erkennt diese Identität nicht, aber er spielt darauf an (VI, 43):

Als der Frühling kam, schickte der König (Darius I) nach Abberufung der anderen Feldherren den Mardonios, Sohn des Gobryas, ans Meer. Er brachte ein gewaltiges Heer mit, Landtruppen und Flotte, und war ein junger Mann, der sich erst kürzlich mit Artozostre, einer Tochter des Königs Dareios, vermählt hatte.

Anm. 70: Gemeint ist das Frühjahr 492 v.Chr.; statt der bisherigen von den einzelnen Satrapen geführten Provinzialheere, die aufgelöst wurden, erschien damals an der Küste ein persisches Reichsheer.

Aus den Angaben bis hier möchte ich darauf schließen, dass dieser Zug des Mardonios nicht in das verhältnismäßig späte Jahr 492 v.Chr. (analog 716 ndFl, zwei Jahre vor Marathon = konv. 490 v.Chr.) gehört, sondern in ein wesentlich früheres, näher an den Beginn der Regierung des Darius I, der im Jahre 700 ndFl liegt. Auf weitere Einzelheiten soll hier noch nicht eingegangen werden.

Herodot fährt fort (VI, 43): Mardonios ... segelte an der Küste Asiens entlang nach Ionien und tat dort etwas, was jene Hellenen, die nicht glauben wollen, dass Otanes damals den persischen Sieben die Einführung der Demokratie in Persien vorgeschlagen und empfohlen hat, höchlich verwundern wird. Mardonios setzte nämlich alle Tyrannen in den ionischen Städten ab und richtete Demokratien ein.

Auf die Empfehlung des Otanes beim Regierungsantritt des Darius (Herodot III, 80) nach der Entlarvung des Pseudo-Smerdis gehe ich im 1. Kapitel des folgenden X. Buches in diesem Band ein. Was bemerkenswert daran ist, das ist der Name Otanes, den ich schon im vorangegangenen Kapitel mit Hystanes-Uschtannu = Nebukadnezar gleichgesetzt habe und der jetzt auch mit der Person des Mardonios verbunden werden kann. Allerdings wird Otanes nicht als Sohn des Gobryas bezeichnet, sondern einmal als Sohn des Pharnaspes, des Arnuwandas-Burnaburiasch mithin, und ein andermal als Sohn des Sisamnes, was ersteres jedoch für Nebukadnezar nicht zutrifft. Sisamnes kommt nur dann als Vater in Frage, wenn er mit Nabopolassar = Mardonios-Baladan = Marduk-apal-idin identisch sein sollte. Wieso ausgerechnet ein Chaldäer aus Babylon ein Faible für Demokratie haben sollte, entzieht sich jedoch derzeit meinem Verständnis.

Polykrates und Periandros

Weiter oben unter den Aiakiden habe ich Polykrates bereits erwähnt, und die Umstände seines Todes habe ich im vorangegangenen Kapitel schon beschrieben. Zwar gehört er als Herrscher der Insel Samos nicht eigentlich zu Athen, aber die Aiakiden gehören dorthin, und insofern ist es gerechtfertigt, Polykrates unter den Athenern zu führen. Falls Solon ihn tatsächlich besucht haben sollte - Herodot weiß davon offenbar nichts; aber an anderer Stelle wird es angedeutet -, dann muss das in den letzten Jahren von Solons Exil gewesen sein (um 685 ndFl).

Sicher war Amasis, der von 677 bis 699 ndFl als König von Unterägypten in Saïs-Athribis residierte, bei dem Samier zu Gast, und zufällig wird Amasis genau im Todesjahr des Polykrates von dem Perser Kambyses vorläufig seines Thrones enthoben. Über diesen Aufenthalt des Amasis bei Polykrates berichtet auch Herodot (II, 182): Amasis stiftete ... der Hera in Samos zwei hölzerne Bildnisstatuen von sich ... Diese Stiftung nach Samos machte er seiner Gastfreundschaft mit Polykrates, dem Sohn des Aiakes, wegen.

Unmittelbar daran schließt Herodot eine für die berichtigte Geschichte aufschlussreiche Passage an. Amasis hatte nämlich der Athena von Lindos (auf Rhodos) ebenfalls Weihegeschenke gemacht, weil dieses Heiligtum von (den Töchtern des) Danaos, also vermutlich von Perseus, gegründet worden sei. Athena entspricht der ägyptischen Göttin Nut = Neith = Tanit = Hathor, der Mutter des Apophis-Epaphos-Apis-Ptah-Achmose Neb-pechti-Re, eines Vorfahren des Ptah-Ramses = Ptolemaios (Epiphanes) = Amasis Men-pechti-Re. Diese Beziehung dürfte für die konventionelle Ägyptologie nicht erkennbar sein. Perseus war der Vetter des Achmose.

In diesem Zusammenhang sagt Herodot, dass Amasis erstmals für Ägypten die Insel Kypros (Zypern) erobert habe, was ich in Anbetracht der Amarnabriefe von hier nach Ägypten bezweifeln möchte. An anderer Stelle habe ich schon meine Meinung dazu gesagt, dass nämlich Zypern eine Reparationsleistung der Hethiter an die Ägypter nach der Niederlage bei Araïna und dem neuen Bundschluss gewesen sein könnte.

Ebenso möchte ich der Angabe bei Herodot (III, 39) keinen Glauben schenken, dass die Lakedaimonier einen Kriegszug gegen Samos unternahmen, als Kambyses gegen Ägypten zog. Das Jahr 699 ndFl ist auch das Todesjahr des Polykrates, dessen Tod von Herodot (III, 120 ff.) in das Jahr verlegt wird, in dem Kambyses krank lag. Das aber ist das Jahr 699 ndFl, und insofern wäre die Zeit zu kurz zwischen dem Zug der Lakedaimonier und dem Tod des Polykrates. Zwischen den beiden Ereignissen sehe ich auch keinen direkten Zusammenhang, so dass es erlaubt sein dürfte, den lakedaimonischen Heerzug gegen Samos einem früheren Jahr zuzuordnen.

Polykrates, der Sohn des Aiakes, so schreibt Herodot (III, 39), hatte sich in einem Aufruhr zum Herrn (der Stadt und der ganzen Insel Samos) gemacht und anfangs die Stadt in drei Teile geteilt, die er mit seinen Brüdern Pantagnotos und Syloson gemeinsam beherrschte. Später aber tötete er den einen und vertrieb den anderen, nämlich den jüngeren Syloson. So war er Herr von ganz Samos. Er schloss Freundschaft mit Amasis, dem König von Ägypten, ...

Offenbar entwickelte sich Polykrates zu einem Herrn von fast ganz Ionien, und zwar nicht nur der Inseln; er eroberte sogar Städte des Festlandes. Er besiegte die Lesbier in einer Seeschlacht, die den Milesiern zu Hilfe kommen wollten. Herodot lässt offen, ob Polykrates Milet erobern konnte oder nicht. Dafür erzählt er die wundersame Begebenheit mit dem Ring, die Schiller in seinem Gedicht "Der Ring des Polykrates" aufgegriffen hat.

Stammtafel der Ajakiden Nr. 3
Aiakides (?)
* ca. 560 ndFl
|
Ajax der Ältere   | Teilnehmer am
= Aias = Aiakos   | Trojanischen Krieg
* ca. 585 ndFl    | 635 bis 636 ndFl
|                 |
Ajax der Jüngere  |
= Aiakes          |
* ca. 610 ndFl    |
|
Pantagnotos, Syloson und Polykrates
                         * ca. 635 ndFl
                         + 699 ndFl
                         |
                         Tochter (Herodot III, 124)
                         * ca. 680 ndFl

Den tatsächlichen Zeitpunkt des Lakedaimonierzuges nennt Herodot an anderer Stelle (III, 44): Ein Teil der Samier, der später Kydonia auf Kreta gründete, hatte sie zu Hilfe gerufen. Polykrates aber schickte Boten an Kyros' Sohn Kambyses, der damals Truppen gegen Ägypten warb.

Das liegt doch wohl einige Jahre vor dem eigentlichen Zug des Kambyses gegen Ägypten. Polykrates wollte unbequeme Landsleute loswerden und bat Kambyses, er möge Truppen von Samos rekrutieren. Der Perser stimmte zu, und der Samier schickte ihm vierzig Trieren mit verdächtigen Opponeuren mit der Weisung an Kambyses, diese Leute nicht nach Samos zurückkehren zu lassen. Trotz widersprüchlicher Angaben zum weiteren Verlauf nimmt Herodot (III, 45) als gesichert an, dass die Abgeschobenen nach Samos zurückkehrten, dass sie aber nicht ohne fremde Hilfe den Boden der Insel hätten betreten können. Daher riefen sie die Lakedaimonier zu Hilfe, denen sich aus freien Stücken auch die Korinther anschlossen, die offenbar mit den Samiern noch eine Rechnung offen hatten.

Ein Menschenalter vor diesem Zug, so sagt Herodot (III, 48), habe Periandros von Korinth, der Sohn des Kypselos, dreihundert Söhne vornehmer Männer von der Insel Kerkyra (Korfu) nach Sardes zu Alyattes geschickt, um sie dort kastrieren zu lassen. Weshalb die Korinther dann mit dieser menschlichen Fracht erst noch in Samos anlegten, lässt Herodot offen; aber die Zeit ist richtig: Periandros wurde um 635 ndFl geboren und könnte im Jahre 656 ndFl, in dem Tudhaliyas-Alyattes ermordet wurde, als junger Herrscher von Korinth diesen Transport - aus welchem Grunde auch immer - auf den Weg gebracht haben. Möglicherweise traf die Kunde vom Tod des Hethiterkönigs schon vor Samos bei den Korinthern ein, so dass sie zunächst vorsichtshalber die Insel anliefen und nicht aufs Festland gingen.

Die Samier befreiten die Söhne der Kerkyräer und machten sich so in Korinth unbeliebt; denn die Korinther und die Korkyräer waren noch lange Zeit verfeindet; so fand noch kurz vor dem "Polemos" ein Seekrieg zwischen den beiden statt: 690 ndFl (konv. 435 v.Chr.) besiegten die Korkyräer in einer Seeschlacht bei Leukimme die Korinther, und die Korinther revanchierten sich zwei Jahre später in der Seeschlacht bei den Sybota-Inseln, indem sie die korkyräische Flotte besiegten. In demselben Jahr 692 ndFl kehrte Peisistratos nach Athen zurück und forderte (angeblich soll es Perikles gewesen sein) die Stadt Poteidaia auf der Halbinsel Chalkidike auf, die korinthischen Epidamiurgen auszuweisen, und sechs Monate vor Beginn des Peloponnesischen Krieges wurde Poteidaia noch besiegt. Diese Ereignisse werde ich im Zusammenhang mit dem "Polemos" erst in einem späteren Kapitel besprechen.

Herodot führt die Fehde zwischen Korinth und Kerkyra auf ein Ereignis zurück, das in eine Zeit fällt, zu welcher die Söhne des Periandros schon erwachsen sind. Zu dieser Zeit, die um etwa 680 ndFl liegen müsste, war Tudhaliyas-Alyattes jedoch schon längst tot. Von dem unumstößlichen Datum der Geburt des Kypselos, des Vaters von Periandros, ausgehend, also von 598 ndFl, könnten die Enkel des Kypselos bestenfalls vierzehn Jahre alt gewesen sein, als der Hethiter ermordet wurde; doch an dem Geburtsjahr des Periandros, an 635 ndFl, möchte ich zunächst festhalten. Vielmehr halte ich die von Herodot geschilderten Ereignisse um die Söhne des Periandros nicht für die Ursache jener Bestrafung aus dem Jahre 656 ndFl. Da die Fehde noch bis in die Zeit vor dem Peloponnesischen Krieg anhielt, so ist nach der Tötung des Sohnes des Periandros durch die Korkyräer ebensogut eine andere Art der Bestrafung denkbar.

Der Zug der Lakedaimonier gegen Samos endete nach einigen Scharmützeln unentschieden, und die Lakedaimonier zogen wieder ab. Polykrates wurde, als Kambyses krank aus Ägypten kommend in Hazar-Susim weilte, von Oroites ermordet. Darauf bin ich schon im vorangegangenen Kapitel eingegangen.20

Außer dem Sänger Arion aus Methymna auf der Insel Lesbos, einem Gastfreund des Periandros von Korinth, der von einem Delphin vor dem Tod im Meer bewahrt worden sein soll21, gehören in diese Zeit auch die Sieben Weisen des Altertums, von denen ich einige schon erwähnt habe: Solon von Athen, Periandros von Korinth, Thales von Milet, Bias von Priene, Pittakos von Mytilene, Chilon aus Lakedaimon, der anwesend war, als Hippokrates das Opferwunder in Olympia erlebte und von dem der Ausspruch stammt Erkenne dich selbst!, und Kleobulos.

Wir wenden uns jetzt der ständigen Konkurrenzstadt Athens zu, dem dorischen Sparta mit seinen völlig anderen Sitten und - was Lakedaimon ganz erheblich von dem ionisch-attischen Athen unterschied - seinem Doppelkönigtum.

Letzter Stand: 14. Februar 2014


1 Herodot, Historien (Die Bücher der Geschichte), übersetzt von A. Horneffer, neu herausgegeben und erläutert von H.W. Haussig mit einer Einleitung von W.F. Otto
2 Thukydides, Der Peloponnesische Krieg, Phaidon Verlag, Essen; übertragen von August Horneffer, durchgesehen von Gisela Strasburger, eingeleitet von Hermann Strasburger;
3 Thukydides, op. cit.
4 Herodot, op.cit. I, 59
5 Herodot I, 147;
6 Herodot IX, 97
7 Herodot I, 59
8 Ebenda V, 65
9 Herodot V, 71; Anm. 90
10 Herodot I, 62;
11 Ebenda V, 113;
12 Thukydides, II 47ff.
13 Herodot I, 53;
14 Ebenda I, 125;
15 Ebenda VI, 126, 127
16 Herodot VI, 127
17 Herodot VI, 38;
18 Ebenda VI, 103
19 Herodot VI, Anm. 63
20 Herodot III, 120ff.;
21 Ebenda I, 23f.
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