Fünftes Buch: Die Plagen des Pharao

6. Kapitel:

Die Katastrophe Typhon 4
Teil 1: Die Katastrophe in der Dichtung und Berichterstattung

Die Dichtung hat sich dieser Katastrophe natürlich in derselben Weise bemächtigt, wie sie sich auch schon der vorigen Kataklysmen angenommen hatte, namentlich der Sintflut. Da ich dem Leser die wichtigsten Niederschläge dieses so spektakulären Ereignisses in der Literatur des Altertums nicht vorenthalten möchte, betrachten wir deshalb zunächst

DIE KATASTROPHE IN DER DICHTUNG

Phaëton

In der Dichtung um Phaëton, den Sohn des Helios, also des Sonnengottes, liegt uns sogar ein Kompendium aller vier Katastrophen vor, mindestens aber von zweien:

Nachdem Chus griechischen Boden betreten hatte, zeugte er in Argos mit einer Tochter des ägyptisch-minoischen Statthalters Inachos den Sohn Pheidon, der ein Zeitzeuge der Katastrophe Typhon 4 war. Die Sage machte ihn zu Phaëton, dem Sohn des Sonnengottes Helios, der verbotenerweise den Sonnenwagen seines Vaters bestieg und, da die Pferde nicht die starke Hand des Gottes spürten und sich nicht bändigen ließen, in einer chaotischen Fahrt die Sonne im Zickzackkurs über den Himmel steuerte. Mal geriet er zu tief, so dass "die Neger schwarz wurden", mal war er zu hoch, was zu Eiseskälte auf der Erde führte. So wurde unter der Hand des Dichters nicht nur eine schöne Erklärung für die vierte Typhon-Katastrophe daraus. Man erkennt zumindest auch die erste wieder: Ekpyrosis, Eiszeit.

Pheidon wurde etwa 597 ndFl geboren. Er ist durchaus eine historische Person. Pheidons Sohn wird - wie ich in einem früheren Kapitel schon zeigte - bei Herodot erwähnt (VI, 127). In demselben Kapitel sagte ich auch schon, dass die Ursache für den Tod des Pheidon eine ganz andere gewesen sein könne als die Katastrophe Typhon 4. Der Zeitpunkt dürfte allerdings damit übereinstimmen; denn als Theseus, der Herrscher von Athen, gegen den ägyptisch-minoischen Vasallen Pheidon-Phaëton von Argos Krieg führte, geschah folgendes:

Hippolytos

war der älteste Sohn des Theseus. Er wurde vor den Augen des Vaters in der Bucht von Argos von jener Flut in die Tiefe gerissen, die nach einem weiteren Zeitzeugen der Katastrophe Typhon 4 benannt wurde, nach dem ägyptisch-minoischen Herrscher von Kreta, nach Deukalion, dessen Unterstatthalter Pheidon war. Offenbar konnte Theseus den kretischen Stier Pheidon noch besiegen, wurde aber kurz danach von Lykomedes, dem König der Insel Skyros, von einer Klippe ins Meer gestürzt. Nicht auszuschließen ist, dass dieser "Unfall" ebenfalls mit der Katastrophe Typhon 4 zusammenhing. Seine Gebeine wurden später von Kimon nach Athen geholt.

Deukalion und Pyrrha

sollen die einzigen Überlebenden nach einer Flutkatastrophe gewesen sein. Sie wurden von den Göttern aufgefordert, Steine vom Boden aufzusammeln und hinter sich zu werfen. Das taten sie, und aus den Steinen wuchsen neue Menschen. Das "Steinesäen" kennen wir auch aus der Argonautensage, wo Jason  allerdings Drachenzähne sät, aus denen dann Soldaten emporwachsen. Die "deukalische Flut" gehört jedoch nicht in die Zeit Jasons.

Die Nacht der argivischen Tyrannen

Atreus, der Pleistheniade, soll mit seinem Bruder Thyestes um den argivischen Thron gewettet haben: Wenn die Sonne am Mittag untergehe, dann solle Thyestes ihm die Herrschaft übergeben. Dieser willigte lachend ein; doch am Tage der Typhon-Katastrophe verging ihm das Lachen, als die von Phaëton über den Himmel geschleuderte Sonne unvermutet am Mittag bereits unterging. Mit diesem Thema haben sich die Dichter noch in römischer Zeit beschäftigt. Allerdings haben sie dabei übersehen, dass Atreus weder der Bruder des Thyestes noch ein Tyrann in Argos war. Die "argivischen Tyrannen", die um die Thronfolge in Argos stritten, waren Thyestes und sein Bruder Diomedes, beides Söhne des Aitolers Tydeus von Kalydon.

Atreus, der Herrscher von Mykenä (und Tiryns, falls diese Burg überhaupt noch bewohnt war) überlebte die Katastrophe Typhon 4, ebenfalls seine Söhne Agamemnon und Menelaos, die Anführer der Griechen im Trojanischen Krieg. Auch hier ist also eine Zeitgleichheit mit der vierten Typhon-Katastrophe gegeben.

Alle diese Überlieferungen sind mehr oder weniger dichterisch entstellte Berichte. Es gibt daneben aber auch noch zuverlässigeres Material:

DIE KATASTROPHE IN DER BERICHTERSTATTUNG

Die Flut des Osorkon

Der Flut des Deukalion entspricht die Osorkon-Flut in den ägyptischen Texten. Diese Texte sind ein wertvolles Hilfsmittel für die genaue Datierung dieser Katastrophe. Weiter unten komme ich ausführlich darauf zurück.

Der Aufruhr des Usia

Der Prophet Amos, den ich für Amoz, den Vater des Propheten Jesaja halte (Jesaja 1, 1), prophezeit "zwei Jahre vor dem Erdbeben" (Amos 1, 1,) eine furchtbare Heimsuchung der Feinde Israels. Der Prophet Sacharja (Sach. 14, 5) bezieht sich später auf das Erdbeben zur Zeit des Usia, des Königs von Juda, welches auch Amoz gemeint haben müsste, der ein Zeitgenosse Usias war.

Wie ich an anderer Stelle schon sagte, ist ein "raash", wie es im Originaltext heißt, mehr als ein Erdbeben, es ist eine Katastrophe größeren Ausmaßes, die jedoch durchaus mit einem Erdbeben einhergehen kann: ein "Aufruhr" der Elemente. Ich wies an anderer Stelle auch darauf hin, dass es zur Zeit des Usia zwei schwere Naturkatastrophen gab, von denen die eine erdumspannend, die andere nur von regionaler Bedeutung war.

Es ist nun typisch für die stets auf engste Tuchfühlung mit der Wahrheit bedachte Geschichtswiedergabe des Alten Testaments, dass Usia bei der einen Katastrophe der König von Juda war, während er bei der anderen als Priester im Tempel diente. Zwar wird dieses "Räuchern", das Usia verbotenerweise im Tempel vornimmt, als ein Frevel des Königs am Herrn hingestellt, woraufhin er mit Aussatz bestraft wird, doch hinter diesen Angaben verbirgt sich die Doppelzügigkeit der Handlung:

Zu der Zeit des Königs Asarja-Usia ereignete sich die vorhersagbare Typhon-Katastrophe, und zu der Zeit des inzwischen abgesetzten und zum Priester Asarja gewordenen Usia geschah der für diese Region weitaus schlimmere Einsturz des Siddim-Tales, besser bekannt als der "Untergang von Sodom und Gomorra", der wohl kaum voraussagbar gewesen sein dürfte. Der "Aufruhr des Usia" besteht demnach aus einem "Typhon-raash" und einem "Siddim-raash", zwei unterschiedlichen "Erdbeben".

Die Angabe "zwei Jahre vor dem Erdbeben" beziehe ich auf das Jahr 622 ndFl, also zwei Jahre vor der Katastrophe Typhon 4, und fasse sie als eine astronomische Vorhersage auf, die auf himmelsmechanischen Berechnungen beruhte. Der vom Propheten Amos-Amoz vorhergesagte Himmelskörper traf 623 Jahre nach der Sintflut (das heißt: im Jahre 624 ndFl) zum vierten und letzten Mal mit der Erde gleichzeitig in seinem sonnennächsten Bahnabschnitt ein. In der Zwischenzeit seit der Sintflut hatten die "Vorbeigänge", also die Periheldurchgänge Typhons, jeweils zu Zeitpunkten stattgefunden, zu denen die Erde eine Position weitab vom Typhon-Perihel eingenommen hatte.

Es erübrigt sich in diesem Kapitel, auf die Einzelaspekte einer Typhon-Nahbegegnung einzugehen, da hierüber schon sehr ausführlich im Band 1 abgehandelt worden ist. Daher wenden wir uns sogleich dem bekanntesten Bericht über diese Katastrophe zu, der bekannt ist unter der Bezeichnung:

Die Plagen des Pharao

Mehr und genauere Augenzeugenberichte als zur Sintflut liegen uns zu Typhon 4 vor. Der Bericht in Exodus (2. Buch Mose) ist zwar ideologisch stark eingefärbt; ich möchte ihn dennoch nicht unter die Gruppe "Dichtungen" einordnen, da seine Angaben leicht in reale Begebenheiten zurückverwandelt werden können. Dasselbe gilt für das im Anschluss hieran zu besprechende sogenannte "Klagelied des Ipuwer", das eine sehr realistische Beschreibung der unmittelbar nach Typhon 4 herrschenden Zustände in Ägypten beinhaltet. Wenn diese beiden Berichte auch deutlich dichterische Züge aufweisen, so sind sie in erster Linie doch Beschreibungen, wenn auch einige der Plagen des Pharao ausgesprochen atypisch für Typhon sind. Wir werden uns mit den typischen um so eingehender befassen.

Auch diesmal gab es wieder eine Mittelmeerflut, die die Deltaregion heimsuchte. Hierin kam jedoch nicht der Pharao ums Leben, auch nicht sein Sohn, der Deltafürst Osorkon (= User-maat-Re), dessen Namen diese Flut neben dem Namen des Deukalion trägt, der ebenfalls die Flut überlebte. Diese deukalische bzw. die Osorkon-Flut nimmt das AT aus den eigentlichen Plagen heraus und verlegt sie als Krönung des Auszugs ins Rote Meer. Wie wir aber schon wissen, gehört der Untergang des ägyptischen Heeres zeitlich zu der Flut des Ogyges, die im Jahre 538 ndFl (86 Jahre vor Typhon 4) als Folge der Thera-Katastrophe das Nildelta heimsuchte, wo dieser Untergang demnach geografisch einzuordnen ist.

Die Rot-Meer-Flut kann trotzdem stattgefunden haben; denn der Fluthügel lag auch bei Typhon 4 wieder im Indischen Ozean, und es ist daher zu erwarten, dass sein Zusammenbruch in diesem Falle zu einer Hochflut im Roten Meer geführt hat, während Mesopotamien glimpflicher davonkam.

Zu den einzelnen Plagen sind schon viele Erklärungen angeboten worden. Ich möchte hier nochmals Hans Georg Asmussen zu Wort kommen lassen, der die logische Konsequenz des Auftretens der einzelnen Plagen in ihrer Reihenfolge überzeugend dargestellt hat13. Wir werden erkennen, dass die meisten der angegebenen Plagen typisch sind für Typhon und sich überaus einleuchtend erklären lassen.

Dass schon die erste Plage zu Typhon gehören muss, geht auch aus dem Augenzeugenbericht des Ipuwer hervor: Der Fluss ist wie Blut. Ob nun die Rotfärbung des Nils von mitgerissenen Partikeln aus dem roterdigen abessinischen Hochland oder von einem Massenauftreten von roten Einzellern wie Euglena sanguinea und Haematococcus pluvialis herrührte, lässt sich heute mit Sicherheit nicht mehr entscheiden. Jedenfalls war die Trinkbarkeit des Nilwassers nicht mehr gegeben.

Die Überlegungen Asmussens gehen ja auch davon aus, dass die erste Plage in den August gehörte, als die jahreszeitliche Hochwasserwelle des Nil, und zwar eine außerordentlich starke, Ägypten erreicht haben soll. Wie wir jedoch noch sehen werden, gehörten die Plagen in den Dezember. Es liegt daher näher, die Rotverfärbung des Flusswassers auf Ablagerungen des Sandsturms zurückzuführen, etwa in der Art, wie Velikovsky argumentiert hat. Speziell bei der ersten Plage bleibt vieles Spekulation, nicht jedoch die Rotfärbung und der Trinkwassermangel.

Die zweite oder Froschplage hängt mit der ersten ganz einfach dadurch zusammen, dass auch den Fröschen das Nilwasser und das Wasser in den Tümpeln und Teichen ungenießbar oder gar vergiftet erschien. So verließen sie - entgegen ihrer Gewohnheit - die Wasserstellen und suchten sogar Schutz in Häusern und Hütten. Normalerweise kommen sie im Oktober zur Begattung an Land. Im Dezember war das nicht zu erwarten gewesen. Innerhalb kurzer Zeit verendeten die Frösche, und Asmussen führt dieses plötzliche Massensterben auf den Milzbrand (Anthrax) zurück.

Die dritte oder Mückenplage trat ebenfalls jahreszeitlich unerwartet auf. Sie ist nicht unbedingt "typhontypisch", doch meines Erachtens kann diese Plage durchaus in der Zeit kurz nach der Katastrophe aus vielerlei Gründen verständlich erklärt werden.

Ähnlich ist es bei der vierten oder Fliegenplage. Nach der Ansicht Asmussens handelt es sich bei den Fliegen eher um den Wadenstecher (Stomoxys calcitrans), der als Überträger des Hautmilzbrandes (Anthrax externus) gilt. Von ihm ging die sechste Plage aus, die Beulen, die ein typisches Merkmal des Hautmilzbrandes sind.

Zwischen den beiden letzterwähnten fand aber eine viel schlimmere Plage statt, die fünfte. Es handelt sich bei dieser um das Viehsterben infolge des Fütterungsmilzbrandes (Anthrax internus). Die infizierten Frösche hatten den Boden verseucht, und als das Vieh, das während des Monats Dezember noch im Stall gehalten wurde, aus jahreszeitlichen oder katastrophenbedingten Gründen auf die Weide kam, da konnte die Seuche nicht ausbleiben. Es ist damit zu rechnen, dass Krankheiten nicht nur das Vieh, sondern auch die Menschen dahinrafften; denn wo Viehseuchen auftreten, da können auch für den Menschen gefährliche Infektionskrankheiten wie Typhus, Cholera und andere ausbrechen. Wie schreibt doch Ipuwer: "Pest zieht durchs Land."

Zu Missverständnissen kann die Angabe in Exodus 9 (2. Mose Kap. 9) führen, wo die siebte Plage beschrieben wird, der Hagel. Bei dieser Plage wird nämlich eine Angabe zur Jahreszeit gemacht, was in dieser unverwechselbaren Form mit keiner anderen Plage geschieht: Die Flachsblüte hat eingesetzt, und die Gerste trägt Ähren. Dies gehört nach den heutigen jahreszeitlichen Bedingungen aber in den Monat Februar. Da es sich hierbei nun um einen Zustand handelt, der schon vor der Katastrophe erreicht wurde, so scheint die Überlegung falsch gewesen zu sein, aus dem Dezember vor Typhon sei der Juni nach Typhon entstanden (siehe dazu weiter unten). Doch Velikovsky hat die Bibelstelle Exodus 9, 18 dahingehend interpretiert, dass die hier verwendete hebräische Bezeichnung "barad" nur ungenau mit "Hagel" übersetzt worden ist: Siehe, ich will morgen um diese Zeit einen sehr großen Hagel regnen lassen, desgleichen es in Ägypten nicht gegeben hat, seitdem es gegründet ist, bis her.

"Barad", so meint Velikovsky, sei an anderen Stellen in der jüdischen Literatur für "Meteoriten" gebräuchlich. Er weist auch darauf hin, dass aus Quellen des Talmud und der Midraschim zu erfahren sei, dass diese Steine, die auf Ägypten fielen, heiß waren. Velikovsky hält daher besagte heiße Steine für Abwurfprodukte des Planeten Typhon. Als Erklärung für die Herkunft dieser Steine ließe sich das allerdings nur verwenden, wenn gleichzeitig erklärt würde, wieso Gegenstände von Typhon auf die Erde gelangen konnten. Vom Mond, der seine Steine mit wesentlich kleinerer Anziehungskraft festhält als Typhon, sind bisher - soviel mir bekannt ist - noch keine Steine auf die Erde gefallen. Wieso sollten also von Typhon Steine auf Ägypten gefallen sein?

Ich greife etwas in der Zeit voraus, wenn ich diese barad- Steine einem ganz anderen Ereignis zuschreibe, von dem das AT ebenfalls berichtet, wenngleich es dort um einige Jahrhunderte früher angesetzt wird. In Wirklichkeit ereignete sich diese Katastrophe erst 17 Jahre nach der Exoduskatastrophe, nämlich im Jahre 641 ndFl = 239 v.Chr.: Es handelt sich hierbei um den Siddim-Einsturz, den ich weiter oben schon als einen Zweitaspekt des "Aufruhrs des Usia" erwähnt habe (der Untergang von Sodom und Gomorra).

Offensichtlich wurde der barad-Auswurf, der eine Begleiterscheinung der Siddimkatastrophe gewesen sein dürfte, in die Exoduskatastrophe übernommen. Die Synchronisation der Typhon-Katastrophe mit der Flachsblüte im Februar entfällt daher. Diese siebte Plage ist atypisch für Typhon.

Dasselbe gilt auch für die achte, die Heuschreckenplage. Sie kann wie die Mückenplage in dieser Zeit aufgetreten sein; doch sie ist genauso wenig zwingend logisch wie diese. Im Gegensatz dazu ist die Fliegen- oder Wadenstecherplage in eine logische Ereignisabfolge einzubauen.

Noch ausgeprägter als bei der Thera-Katastrophe stellte sich bei diesem Desaster die neunte Plage, die ägyptische Finsternis dar. Sie wird nicht nur als eine der zehn Plagen im AT geschildert, sondern sie kommt auch in anderen Berichten vor. Es handelt sich bei ihr, wie aus den unterschiedlichen Beschreibungen zu entnehmen ist, um einen ungeheuren Sandsturm, der aus der Sahara Millionen von Tonnen Sand nach Ägypten transportierte: Typhon = Taifun. Die Sphinx von Gizeh wurde völlig zugeschüttet. Thutmoses- Mencheperre befreite später dieses Bauwerk wieder von seinem Ballast und erhoffte sich dafür die Gunst der Götter, die ihm auf den Thron helfen sollten. Das taten sie dann ja auch.

Was die zehnte Plage angeht, den Tod der Erstgeburt, so wurde diese von Velikovsky schon dahin gehend ausgelegt, dass es sich bei den Toten nicht um "Erstgeborene", sondern um "Hochgeborene" gehandelt habe, die in ihren Steinhäusern wegen deren Einsturzgefahr gefährlicher lebten als die "Niedriggeborenen" in ihren Hütten. Dies wird in dem folgenden Bericht untermauert.

Das Klagelied des Ipuwer

Während Peser-Petosiris den Kometen Typhon beschrieb als feurige Kugel, die bei ihrem Auftauchen die blutige Röte des Himmels und Verwüstungen auf der Erde hervorrief, hat sich Pewero-Ipuwer mit den Auswirkungen dieser Katastrophe auf der Erde befasst. Das Klagelied des Ipuwer, das erst von Velikovsky als ein Bericht über die Plagen des Pharao erkannt worden ist1, enthält eine wichtige Formulierung, deren Bedeutung für die richtige Einordnung der in dieser Reportage beschriebenen Zustände weder von der Schulwissenschaft noch von Velikovsky erkannt worden ist; denn man liest sehr leicht darüber hinweg:

Es ist doch so (andere übersetzten: Ist es denn nicht so?); das Land dreht sich um wie die Töpferscheibe tut. ...

Es ist doch so: das südliche Schiff ist in Wirren.

Zu dem ersten Vers hat man allen Ernstes vorgebracht, hier sei die Drehung der Erde um ihre Achse gemeint. Ich kann die Formulierung dreht sich um wie die Töpferscheibe tut nicht als einen Hinweis darauf ansehen, dass der Verfasser dieser Zeilen dabei an den normalen, beruhigenden Vorgang der täglichen Erdrotation dachte. Die Erwähnung der normalen Tagesdrehung in einem Katastrophenbericht ist ohnehin wenig überzeugend. Außerdem nimmt sich die Erddrehung nur an den Polen wie die Drehung einer Töpferscheibe aus - und auch nur, wenn man lange genug hinsieht.

Weder in den Breiten, in denen Ägypten heute liegt, noch in denen, worin es damals lag, kann von einer Drehung "wie die Töpferscheibe tut" eine Rede sein. Diese Art der Rotation erfolgt um eine senkrecht stehende Achse. Wenn aber Ipuwer eine derartige Drehung des Landes beobachtete, dann kann daraus nur geschlossen werden, dass sich in Ägypten bzw. in dessen Nähe ein Drehpol der Mantelverlagerung befunden haben muss. Hieraus kann weiterhin der Schluss gezogen werden, dass die Peripherie oder der "Äquator" dieser Bewegung um ca. 90° versetzt vom Meridian Ägyptens gesucht werden muss, und zwar an der Stelle, wo Typhon im Zenit stand: über dem Indischen Ozean.

Der Vers, in dem vom südlichen Schiff gesagt wird, es sei "in Wirren", wird meist als unverständlich bezeichnet. Ich meine hingegen, dass dieser Vers ganz unmissverständlich aussagt, dass sich das Sternbild Schiff, das für die Geodäsie und Navigation des Altertums sehr wichtig gewesen zu sein scheint, merkbar am Himmel verlagerte. Das war natürlich erst zu beobachten, nachdem die Finsternis, die so dicht war, dass man seinen Nächsten nicht erkennen konnte, gewichen war und der Himmel nach der Katastrophe erstmals wieder in voller Klarheit zu sehen war.

Dem blutigen Nil, der unter den Plagen des Pharao eine bedeutende Rolle spielt, widmete sich auch Pewero-Ipuwer in seinem Klagelied:

Es ist doch so: Der Fluss ist Blut. Will man es trinken so weist man (das Wasser) als Mensch zurück, obwohl man durstig ist.

...

Pest zieht durchs Land, und Blut ist überall.

Wie oben schon gesagt wurde, hat Velikovsky bei dem im Exodus-Bericht beschriebenen Tod der Erstgeburt weniger an "Erstgeborene" als an "Hochgeborene" gedacht, die in ihren Steinhäusern größeren Gefahren ausgesetzt waren als die einfachen Leute in ihren Hütten. Ipuwer berichtet von der misslichen Lage der Bessergestellten:

Es ist doch so: die Vornehmen sind voll Klagen und die Geringen voll Freude ... Gold und Lapislazuli, Silber und Malachit ... sind um den Hals der Sklavinnen gehängt. Die Damen aber ziehen durch das Land und sagen: Ach, hätten wir doch was zu essen.

Ich denke bei dieser Stelle immer an die "Sklavinnen", die sich den goldenen Schmuck von den Ohren reißen, daraus das Goldene Kalb gemacht werden soll, und die in den Kleidern der vornehmen Damen um dieses Goldene Kalb tanzen, wie es im 2. Buch Mose, Kapitel 32, beschrieben wird.

Ipuwer schildert den Kampf ums nackte Überleben in ergreifenden Worten:

Man raubt die Abfälle aus dem Maule des Schweins, weil man so hungrig ist. ... Ein Mann erschlägt seinen Bruder von derselben Mutter.

Wie deprimiert die Menschen waren, macht er in zwei weiteren Versen deutlich:

Es ist doch so: Groß und Klein sagt: Ich wünsche, ich wäre tot; die Kinder sagen: hätte er mich doch nicht ins Leben gerufen.

Die Leute gehen freiwillig zu den Krokodilen; man sagt zu ihnen: tritt nicht hierher! Aber sie treten doch zu ihnen als wären es Fische. So sinnlos ist der Furchtsame vor Schrecken.

Seine eigene Stimmung ist angesichts der Not aber auch nicht besser:

Es ist doch so: zugrunde gegangen ist, was gestern noch gesehen wurde. Das Land ist seiner Mattigkeit überlassen, wie wenn man Flachs ausgerissen hat. -

Ach, dass es aufhörte mit den Menschen und es gäbe kein Schwangerwerden mehr und kein Gebären.

Das ist nur ein kleiner Auszug aus all den schrecklichen Erlebnissen, den deprimierenden Beobachtungen und den schmerzlichen Gefühlen, die sich Ipuwer von der Seele schrieb. Als letzten Vers zitiere ich noch einen Hinweis auf das Geräusch, das den Vorgang der Mantelverlagerung begleitet haben muss:

Möchte die Erde schweigen vom Geräusch und kein Streit mehr sein!

Möglicherweise hat hier der Übersetzer nicht verstanden, was gemeint sein soll. Immerhin ist es nicht ohneweiters zu erkennen, welche Drehungen und Geräusche gemeint sein könnten. An Typhon hat der Übersetzer wohl kaum gedacht.

In Ipuwers Klagelied werden noch weitere Plagen beschrieben, auf die ich teils schon hingewiesen habe, teils muss ich sie aber auch unerwähnt lassen, da eine eingehende Erörterung besagter Dichtung den Rahmen dieses Kapitels sprengen würde. Dem Leser ist aber einleuchtend gemacht worden, dass dieser Bericht das Pendant zu der Beobachtung des Peser-Petosiris darstellt, eines Zeitgenossen des Pewero-Ipuwer, und somit in die Zeit des Kometen Typhon gehört.

In Ipuwers Bericht spielen auch "Fremde in Ägypten" eine Rolle, worauf hier jedoch noch nicht eingegangen werden soll. Das gleiche gilt für die Aaron-Moses-Geschichte und den Exodus der Kinder Israel. Diese Begebenheiten werden in einem späteren Kapitel behandelt.

Es ist einleuchtend, dass der Himmelskörper, der die vierte Typhon-Katastrophe auslöste, zu der Zeit aufgetreten sein muss, als derjenige König von Ägypten und Äthiopien auf dem Thron saß, nach dem er benannt wurde: Phrix-Typhon = Phritiphantes, der Pharao Phrix-Anubis-Ramses III/VIII.

Letzter Stand: 21. Mai 2013


1

Alle im Zusammenhang mit den Plagen gemachten Hinweise auf Velikovsky stammen aus: Immanuel Velikovsky, Vom Exodus zu König Echnaton, Umschau-Verlag

13 Hans Georg Asmussen, Sonne stehe still...!  Selbstverlag Heide 1980; er bezieht sich dabei "in bezug auf die mit den Plagen zusammenhängenden Fragen" auf einen Aufsatz von Greta Hort in der "Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft" (ZAW 69/1957 und 70/1958, "The Plagues of Egypt") 

 
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