Zweites Buch: Die geschichtliche Zeit beginnt

4. Kapitel: Henoch und Semael

Gottkönigtum und Zikkurat

Um die jüdischen Überlieferungen aus dem Altertum besser verständlich machen zu können, muss ich mich einer realistischen Form der Darstellung bedienen, die vielen Lesern wie Blasphemie vorkommen wird. Ich rufe daher eine Zeugin zu Hilfe, die mir diese wertvolle Möglichkeit der Interpretation durch ihr Buch Der Adam & Eva Report in die Hand geliefert hat. Ich meine die Journalistin Eva Maria Borer, und es dürfte schwer fallen, aus diesem "Report" eine blasphemische Haltung der Autorin herauszulesen.

Nach ihrer Ansicht, der ich mich voll und ganz anschließe, ist "der Herr" sowohl in den biblischen als auch in den außerbiblischen Überlieferungen überwiegend der Gottkönig, also der Großkönig, der "König aller Könige", der "Herr der vier Weltteile", "der König des Weltalls", also der Herrscher über das Großreich in seiner klassischen Ausdehnung "vom oberen bis zum unteren Meer", vom Schwarzen Meer bis zum Persischen Golf. Der "Herr" ist mit dem römischen Caesar (als Titel) oder dem mittelalterlich-europäischen Kaiser vergleichbar. Mit dieser Verweltlichung des "Herrn" muss nicht notwendigerweise eine Gottesleugnung oder gar eine Gotteslästerung einhergehen. Eine Gottesvorstellung, die sich an einem gemessen an der Ohnmacht des niederen Volkes geradezu allmächtigen Herrscher orientiert, der zudem noch zu seinen Lebzeiten vergöttlicht wurde, ist überaus einleuchtend.

Der "Himmel", besonders aber in der Auffassung der "sieben Himmel", ist die sumerische Zikkurat, der siebenstöckige Stufenturm, der schon als "Turm zu Babel" in der Bibel erscheint. Die sieben Stockwerke dieses Stufenturms sind das Vorbild für die "sieben Himmel". Ich erwähnte schon in einem früheren Kapitel die "sieben Erden", die für eine ganz andere Thematik stehen, und ich wies an jener Stelle schon darauf hin, dass die "sieben Himmel" damit nichts zu tun haben. In jedem "Himmel", also auf jedem Stockwerk wohnte eine andere "Abteilung" mit unterschiedlichen Aufgaben: die Seraphim, die Cherubim, die Erzengel und natürlich die himmlischen Heerscharen. Dass diese nicht alle auf ihren jeweiligen Stockwerken wohnen konnten, ist leicht einzusehen; denn die Zikkurat war kein Wohnturm, sondern bestenfalls ein Bürogebäude.

Ich kann hier nicht auf alle Einzelheiten eingehen; ich möchte aber die sieben Erzengel erwähnen, die wir später als die sieben Fürsten der Meder und Perser, die das Angesicht des Königs sahen und saßen obenan im Königreich im Buch Esther (Kapitel 1, Vers 14) wiederfinden werden. Die Übersetzung sollte allerdings richtiger lauten: ... die dem König ins Angesicht schauen durften, also nicht vor ihm im Staube zu liegen hatten, wenn sie mit ihm sprachen. Das Privileg, stehend oder sitzend mit dem König zu verkehren, hatten demnach als einzige die sieben Fürsten, das sind die Provinzkönige (in persischer Zeit die Satrapen) oder die Erzengel. Die Gleichsetzung von "Fürsten" mit "Erzengeln" ist legitim; denn im Buch Daniel wird der üblicherweise als "Erzengel" geführte Michael mit dem Titel "Fürst" belegt.

Wem die Verbindung mit dem Perserkönig Ahasveros aus dem Buch Esther zu weit hergeholt erscheint, dem sei noch verraten, dass die spätere Heilige Schar der Zehntausend, die auch die Unsterblichen genannt wurden und den Perserkönig mit Leib und Leben in der Schlacht zu decken hatten (Garde du corps!), in der in Rede stehenden Zeit als die himmlischen Heerscharen verstanden wurden.

Ganz oben, im "Siebten Himmel", war der "Stuhl des Herrn", der Gottesthron, der natürlich ebenfalls nur bei besonderen Gelegenheiten besetzt war. Als eine solche kann die Heilige Hochzeit angesehen werden, bei der der König und die Oberpriesterin der Inanna (Eanna) die Hochzeit von Dumuzi und der Göttin Inanna physisch nachvollzogen. Wenn der König bei anderen Gelegenheiten hier residierte und natürlich auch dann, wenn er in seinem ebenerdigen Palast "Sprechstunde" hatte, musste selbstverständlich der Dienstweg eingehalten werden. Nicht jeder konnte ungehindert zu dem Gottkönig vordringen und ihn behelligen. Wie den Gottessohn Enlil, der das Vorbild für alle "Kanzler" wurde, mussten die Bittsteller den obersten Erzengel bewegen, ihre Anliegen dem "Herrn" vorzutragen.

Henoch

Henoch, Enoch oder - wie wir jetzt außerdem noch sagen können - Enuk ist eine für die außerbiblische jüdische Tradition ungemein wichtige Person. Will man Henoch aber näher beschreiben, so gerät man in einen Konflikt; denn es gibt zwei voneinander abweichende Sagenkreise um Henoch, so dass Experten schon der Ansicht waren, man müsse in ihm demzufolge zwei unterschiedliche Personen sehen. In der Tat lassen sich die mit dem König Henoch verbundenen Erzählungen nur schwer mit denen in Einklang bringen, die sich um den Knaben Henoch winden, der "von Gott entrückt" wurde und im Himmel den neuen Namen Matatron bekam. Das ist mit dem reifen Mann nicht zu verbinden, der von seinen Mitkönigen zum Gottkönig erhoben wurde.

Es liegt auf der Hand, dass Enuk-Henoch auch der Gottkönig Enukduanna von Uruk ist, der frühere Enna-Dagan von Ebla. Er wurde von seinen Mitkönigen im Jahre 360 ndFl offensichtlich aufgefordert, aus welchen Gründen auch immer, seinen Bruder Iblul-Il abzusetzen, den vormaligen Il von Zabalam und mutmaßlichen Namensgeber der Stadt Ebla im Sabäerland Zabalam, der seit 350 ndFl auf dem Thron des Großkönigs in der Residenz Mari saß. Unter den Königen, die Enuk auf den Thron hoben, war auch Puzur-Assur. Der andere Henoch, den ich fortan Henoch II nennen möchte, wird später ebenfalls ein "Fürst"; jedoch nicht bei seinem Namensvetter, sondern am Hofe dessen Enkels Lugalzagisi. Er wird uns erst in dem folgenden Kapitel ausführlich beschäftigen.

Semael

Nach dem Tode seines (eventuellen) Vaters Thiras, der auch einer der sieben Fürsten am Hofe des Enuk gewesen sein dürfte, übernahm (dessen Sohn?) Assur dieses Amt eines Puzurs oder Unterkönigs (ca. 370 ndFl). Der Großkönig - welcher es zu dieser Zeit auch immer gewesen sein mag - schenkte Puzur-Assur die Felsnase über dem Tigris, auf der vor der Flut eine Stadt gestanden hatte, die aber bislang noch nicht wieder aufgebaut worden war. Lediglich die an anderer Stelle bereits erwähnten "17 Könige, die in Zelten wohnten" und frühkanaanitische (semitische) Namen trugen, hatten hier residiert. Puzur-Assur baute nun die Stadt, der er selbstverständlich seinen Namen gab, und es wundert uns nicht, dass er später hier göttlich verehrt wurde.

Auf Enuk folgte (ca. 380 ndFl) sein Sohn, dessen Name mir nicht bekannt ist. Gegen diesen unternahm Puzur-Assur den Aufstand, den die Historiker Iluschuma zuschreiben, und setzte ihn ab. Er beließ ihm vermutlich Uruk, wo dieser noch bis 420 ndFl als Stadtkönig gesessen haben muss (vgl. weiter oben: 2. Dynastie von Uruk regierte 60 Jahre!). Als Großkönig nannte sich Puzur-Assur fortan Iluschuma. Von Iluschuma von Assur ist bekannt, dass er ganz Mesopotamien beherrschte. Hieran lassen in Assur gefundene Dokumente keinen Zweifel. Sie erwähnen hingegen nicht, auf welche Weise Iluschuma diese Macht im Einzelnen erlangte.

Dem Leser ist vielleicht schon aufgefallen, dass der in der Überschrift erwähnte Semael lange auf sich warten lässt. Er ist aber soeben eingetroffen; denn

die Namen Ilu-Schuma und S(ch)ema-El bzw. -Ilu
sind absolut übereinstimmend!


Der Name Semael taucht in Assur zwar nicht inschriftlich auf; aber die keilschriftliche Schreibweise Iluschuma kann auch Semael gelesen werden. Wie ich weiter oben schon ausgeführt habe, ist kaum anzunehmen, dass der Vater seinem Sohn schon im Kindesalter einen Gottesnamen gab. Es liegt daher nahe, dass sich der unter dem Namen Puzur-Assur in Assur auf den Thron gekommene Pusar, Patesi oder Provinzkönig Puzur-Assur als Großkönig den Gottesnamen Schema-El bzw. Ilu-Schuma zulegte. Das würde auch mit der Vergöttlichung des Assur konvenieren. Der Vater des Iluschuma, der nicht mehr als ein Provinzkönig war - wenn überhaupt -, dürfte wohl kaum zum Gott Assur aufgestiegen sein.

Semael gilt in der außerbiblischen jüdischen Überlieferung als Aufrührer, der einen Aufstand gegen Gott unternahm. Dass ihm dies nicht gelungen sein darf, ist verständlich. Ersetzt man aber "Gott" in diesem Falle durch "Gottkönig", wie wir es schon mehrfach in diesem Kapitel getan haben, so braucht der Erfolg nicht auszubleiben. Semael-Iluschuma war ein erfolgreicher Putschist; er musste es sich aber in der Überlieferung gefallen lassen, dass er mit dem erfolglosen Aufrührer Satanas (= Widersacher) gleichgesetzt wurde, den Gott zur Strafe aus dem Himmel stieß. Der andere Name für Satanas ist Luzifer (lat. für Lichtträger, griechisch: Phosphoros), der als ein gestürzter Engel gilt.

Auf ihn komme ich wieder zurück; denn noch sind wir bei Semael-Iluschuma, und ehe wir zu seinem wichtigsten Alterego kommen, muss ich unbedingt eine

Lehrstunde in altertümlicher Literatur

einschieben, die der Leser im Interesse einer leichteren Verständlichkeit der Überlieferung frühgeschichtlicher Informationen nicht versäumen sollte.

Zunächst sei festgehalten, dass - wie das Beispiel doppelter Henoch schon gezeigt hat - der Begriff Eindeutigkeit weder im Alten Testament noch in der sonstigen Literatur des Altertums angebracht ist. Es galt in diesen Tagen geradezu als miserabler Stil, wenn in einer Erzählung etwas eindeutig war. Es war jeder dazu in der Lage, etwas Eindeutiges von sich zu geben, dazu brauchte man kein Dichter oder besser: kein Erzähler zu sein. Das viel jüngere Ideal der griechischen Dichter, die Einheit von Ort, Zeit und Handlung, wäre in der frühen Zeit belächelt worden. Je mehrschichtiger und mehrdeutiger eine Erzählung war, umso größer war der Erfolg des Erzählers.

Die ältere Literatur ist zu vergleichen mit moderner Fotomontage. Legt man in den Rahmen eines Diapositivs mehrere Dias übereinander ein und projiziert dieses Paket auf eine Leinwand, so entsteht dort ein Bild, das in seiner Gänze keinen Bezug zur Wirklichkeit hat. Wenn die Auswahl der im Rahmen enthaltenen Diapositive willkürlich war, dann lässt sich leicht feststellen, dass es sich um mehrere Aufnahmen handelt, um wieviele und um welche. Anhand der abgebildeten Gegenstände lässt sich aussagen, welche sich nicht auf ein und demselben Dia befinden können.

Wurde die Auswahl jedoch so geschickt getroffen, dass eine echte Fotomontage dabei herauskam, dann wird es schwierig zu entscheiden, ob es sich um mehrere Dias handelt, und wenn ja, um wieviele und um welche verschiedenen. Darin waren die alten Dichter Meister. Sie projizierten mehrere Realitäts- bzw. Themenebenen auf dieselbe Erzählebene und verknüpften diese Ebenen noch durch "Treppen" miteinander, über die man von der einen in die andere Ebene "umsteigen" konnte. Dieser "Sandwich"-Stil machte es unmöglich, jede einzelne Ebene nur für sich zu betrachten, sondern alle mussten "an einem Stück genossen" werden, so wie man auch bei einem Sandwich verfährt: Man beißt gleichzeitig durch alle seine "Ebenen", man isst die Schichten nicht einzeln nacheinander.

Diese Methodik müssen wir uns stets beim Hören oder Lesen antiker Überlieferungen vor unsere modernen Augen halten. Manches wird dem Leser daher in den folgenden Kapiteln zunächst sehr gewunden und kalauerisch vorkommen, so dass er es am liebsten als Spinnerei abtun möchte; doch die vielen Wortspielereien legten die Alten schon ganz bewusst in ihre Erzählungen hinein, während ich sie lediglich wieder in modern verständliche Informationen zurückverwandelt habe.

Es war allerdings nicht immer Erkenntnis auf den ersten Blick, die mich in die Lage versetzte, ein solches Gewirr von mehrschichtig verflochtenen Zusammenhängen und Doppeldeutigkeiten zu durchschauen und die realen Vorgänge zu erkennen. Bisweilen bedurfte es mehrerer Anläufe über zunächst halbrichtige oder auch falsche Zwischenstationen, bis ich die Lösung endlich gefunden hatte.

Adam und Eva

Jeder kennt Adam und Eva. Weniger bekannt ist, dass in der außerbiblischen Tradition ein gewisser Semael erscheint, den viele für einen Nebenbuhler Adams halten, da Evas Sohn Kain von ihm stammen soll. Semael ist mit Adam identisch. Es wird auch behauptet, Semael sei mit Adam "verwechselt" worden, weil Adam wie Semael ein "Widersacher" Gottes gewesen sei, indem er nämlich das Fernhaltegebot vom Baum der Erkenntnis missachtet habe. Es wird völlig verkannt, dass Semael das politische, menschlich-reale Vorbild für den "Stammvater Adam" aller Menschen geworden ist. Semael-Iluschuma war der erste japhetitische (indoarische) Gottkönig im Vorderen Orient und der Stammvater aller indoarischen Dynastien nach ihm. Und hieraus lesen wir gleichzeitig den Stellenwert der übrigen Menschen ab, die nicht zu diesem indoarischen Hochadel gehörten: Sie zählten nicht.

Es hat keinen Sinn, über den Feigenblättler Adam erhaben zu lächeln, der nur ein Hirngespinst der Dichter gewesen sei. Es gibt so gut wie gar keine Überlieferung, die nicht irgendein reales Vorbild hatte, das dann auf die beschriebene Weise dichterisch abgewandelt wurde. Altertümliche Literatur ist nun mal mehrschichtig.

Da nicht zwingend zu fordern ist, dass Eva die Mutter des Abel gewesen sein muss, so kann an ihre Stelle eine andere Frau gesetzt werden. Nur wenige Menschen, die Adam und Eva kennen, wissen, dass Adam in der außerbiblischen Tradition mit einer Frau namens Lilith verheiratet war (siehe dazu Goethe, Faust II). Sie erscheint im AT unter den Erzvätern mit dem Namen Mahalaleel. Ich erwähnte En-Lilith schon als Gemahlin des Enlil, dem sie sterbend den Sohn Nannar-Nammu gebar, den Mondgott. Diese vorsintflutliche Mutter kann natürlich nicht mit einer zweiten Frau Adams identisch gewesen sein. Daher ist an eine zufällige, aber ebenso gut auch an eine beabsichtigte Namensgleichheit zu denken. Der Schritt von Maha-Lale-El zu Lilith ist ohnehin nicht gerade halsbrecherisch.

Lilith war die erste Frau Adam-Semaels, also auch des Iluschuma, von der er seinen ältesten Sohn, den historisch verbürgten Thronfolger Irischum bekam, der aber auch der inschriftlich genannte Gutäerkönig Erridu-Pizir ist und der biblische Jared bzw. Irad; denn Mahalale-El (= Maha-Lilith) zeugte Jared (1. Mose 5,15) und Henoch zeugte Irad (1. Mose 4,18). Henoch (I) könnte demnach der Vater der Lilith gewesen sein, was auch generationsmäßig hinreicht. Der Thronfolger Irad-Jared-Irischum steht nicht zuletzt auch für Abel, den ältesten Sohn Adams. Für die Griechen war JA(red)-PUT(zur) = Japetos der Vater des Prometheus, jenes Fackelträgers Selasphoros, der mit dem Widersacher Luzifer-Phosphoros identisch ist.

Später heiratete Adam "Fleisch von seinem Fleisch und Bein von seinem Bein". Damit gemeint ist die Indoarierin Eva, die ihm den Sohn Kain schenkte, den wir auch noch unter vielen anderen Namen kennen lernen werden.

An dieser Stelle werde ich das ganze Geheimnis um Semael-Iluschuma-Adam noch nicht lüften. Ich möchte aber noch erklären, wie Semael zu dem Namen "Adam" kam. El bzw. Ilu (auch Lim) sind semitische Wörter für "Gott". Der "Herr" lautet aber z.B. hebräisch Adonai, was an den indoarischen Namen Adad für den Sturm- (Wetter-) und Vegetationsgott anklingt. Da nun Adam selbst Gott(könig) war, was in der Überlieferung nicht zum Ausdruck kommt, so ist auch auf ihn die Anredeform "Adonai" anwendbar. Außerdem ist in der Person des Gottkönigs Iluschuma der alte Gott Teschub (= Adad) personifiziert worden, der mit dem indoarischen Gott Dieus-Petér, dem "Vater des Strahlenden", dem Sonnen- oder besser dem Himmelsgott, identisch ist. Eine solche "göttliche Wiedergeburt" oder Theogonie (= Gotterschaffung) ist ein Vorgang, der bei vielen alten Völkern bekannt ist, der als historisch glaubwürdige Quelle von der Wissenschaft aber nicht ernstgenommen wird. Im Altertum wusste man über diese Vorgehensweise sehr gut Bescheid.

Te-Schuba-El = Ilu-Schuma ist Gott(könig) und Herr Adad = Adonai. Wortspielerisch leitet sich von adamah, dem aus Erde geschaffenen Menschen, für Adad der Name Adam ab. Weiter unten werden wir noch sehen, dass dieser Vorgang überaus komplex ist, was hier jedoch noch nicht vorweggenommen werden soll.

Für das einfache Volk war "der Name seines Gottes", also des Gottkönigs, nicht aussprechbar. Für die breite Masse war der "Herr" absolut austauschbar, das heisst, auch ein Thronwechsel änderte nichts daran, dass dieser "Herr" allmächtig war. Er hatte nicht nur keinen Namen - er hatte auch kein Gesicht! Wenn die Bibel (im Hebräischen) von "Elohim", also von Göttern in der Mehrzahl spricht, dann meint sie damit die ganze göttliche Sippschaft, das ganze Königshaus. Die monotheistische Version, die auf nur einen Gott ausgerichtet ist, den wirklichen, den "Himmelsgott", der sich keiner menschlichen Gestalt zu bedienen braucht, wurde erst unter Enos eingeführt, der mit dem Sohn Kain des Adam-Semael und der Eva identisch ist. Dazu wird weiter unten mehr zu sagen sein.

Kain und Abel

Bleiben wir zunächst bei Iluschuma-Semael-Adam und seiner Familie. Seine Frau Lilith war vermutlich die Tochter des Henoch (I) = Enukduanna. Von ihr stammte Abel-Nabu-Chaldi = Irad, Jared bzw. Erridu-Pizir = Irischum oder Japetos. Die Mutter des Kain war die Indoarierin Eva, deren Name sich auf Cheva bzw. Chepa zurückführen lässt, also medisch bzw. hethitisch ist.

Für die Hethiter, die nun bald auftauchen, waren Teschup und Chepa die Hauptgottheiten. Als beider Söhne werden Chaldi, der mit Bag-MASCH-tu verheiratet war, und der Sonnengott Schiuini angesehen, dessen Gemahlin Hal-MASCH-tu hieß. Beide Frauen stammten ganz offensichtlich aus der MASCH-Dynastie. Als Mutter Chaldi-Nabu-Abels kommt Chepa indes nicht in Frage. Der Name Schiuini entspricht nicht nur dem Namen Kain, sondern auch dem biblischen Namen Chiun. Wichtiger ist die Bedeutung "Lanze", die das hebräische Wort "kain" in einer anderen Schreibweise als in der gewöhnlichen hat, in der es "Besitz" bedeutet. Besitz ist in erster Linie Landbesitz, was für den Ackersmann Kain bezeichnend ist.

Den Namen Chiun benutzt der Prophet Amos (Am. 5,26). Er stellt eine Parallele zu dem Namen des ägyptischen Gottes Chons(u) dar, der für den Planeten Saturn gilt. Letztgenannter Name ist abzuleiten von persisch Sitareh = Seth, und somit steht der Name Chiun sowohl für Kain als auch für Seth. Auf Chiun komme ich im folgenden Kapitel wieder zurück. Bleiben wir zunächst bei Seth:

Wenn wir den Angaben im Alten Testament trauen wollen, dann hatten Adam und Eva noch einen dritten Sohn, dessen Name Seth war, welches Wort im Hebräischen Ersatz bedeutet. Bezeichnend für die Machart des AT ist daher das folgende Wortspiel:

(1. Mose 4,25:) ... denn Gott hat mir, sprach sie (gemeint ist Eva) einen anderen Samen gesetzt (als Ersatz = "seth") für Abel, den Kain erwürgt hat. Den hieß sie Seth.

Wie ich im folgenden Kapitel aber darlegen werde, handelt es sich bei Seth ebenfalls um Kain, dessen Namensvielfalt damit jedoch noch keineswegs erschöpft ist.

Dem Leser, der hier soeben ein Lehrstück an Theogonie mitbekommen hat, soll auch gleich noch an einem zweiten Beispiel gezeigt werden, wie altertümliche Mythologie funktionierte. Der Bruder - oder richtiger: Halbbruder - Kains war bekanntlich Abel, in dem wir schon den historisch echten König Irischum und die Götter Chaldi und Nabu erkannt haben.

Ebenso wie Kain in mehreren Versionen im AT erscheint, so ist auch sein (Halb-)Bruder Abel hier unter mehreren Identitäten vertreten. Eine davon ist ein Teilaspekt der Person Nahor, der als Bruder des Abraham und eines gewissen Haran gilt, dessen Tochter Milka (hebr. für Königin!) er heiratet. Nahor und Milka werden die Eltern des Bethuel oder Methuel. Letzterer ist Pro-Methuel = Pro-Methu-Selasphoros, der Fackelträger, und daher auch Lapidoth (hebr. für Fackeln), der Gemahl der Debora, der Amme bzw. Mutter Rebekkas, die wie ihr Bruder Laban obigen Bethuel zum Vater hatte.

Haran, Nahor und Abraham waren angeblich gleichaltrige Söhne des Tharah. Weder war Tharah der Vater des Abraham noch der beiden Brüder noch waren diese überhaupt Brüder, und wenn schon, dann war bestenfalls der Namensgeber der Stadt Haran, der mit Abraham aus Ur nach hier kam, dessen älterer (?) Bruder.

Der Name Haran steht deshalb hier für die Stadt, aus der seine angebliche Tochter kam, die zur Königin (= Milka) aufstieg. Die Stadt Haran kann unter diesem Aspekt zu Milkas Zeit schwerlich schon so geheißen haben. Andererseits kann ihr Vater Haran aber durchaus derjenige Sabäer gewesen sein, der der Stadt Haran (römisch Charrae) den Namen verliehen hat und der seine Tochter seinem Großkönig Irischum zur Frau gab. In dem Falle wäre Haran natürlich kein Zeitgenosse Abrahams gewesen. Mit Milka, der Gemahlin des Nahor = Japetos = Irischum, wurde das sabäische Blut erneut in die Gutäerfamilie eingebracht. Von ihr gehen - wie auch aus dem Alten Testament hervorgeht - die eigentlichen "Semiten" aus.

Chaldis Tempel in Mussassir (in Ostanatolien) hatte auf dem Dach eine Art Blitzableiter. Chaldi war der Kriegsgott der Urartäer, eines Volkes, das im Altertum in Armenien und im ganzen Osten Anatoliens wohnte. Die zu dem mit dem Gott Chaldi identischen babylonischen Gott Nabu gehörende "Lanze" war jedoch ein harmloses Instrument: der Schreibgriffel. Nabu galt als der Gott der Schreibkunst. In einer assyrischen Bildwiedergabe hat dieser Tempel des Chaldi eine verblüffende Ähnlichkeit mit griechischen Tempeln, so dass man in ihm geradezu deren Prototyp sehen darf. Das ist auch gar nicht abwegig; denn die in diesem Kapitel besprochenen Personen arischer Herkunft finden sich alle in der griechischen Mythologie wieder, was ich mit der Erwähnung des Prometheus schon andeutete. Darüber soll im folgenden Kapitel abgehandelt werden.

Die verschiedenen Namen des Chaldi-Irischum seien hier zur Verdeutlichung ihrer Herleitung nochmals zusammengefaßt:

   E R I D U - PIZIR = JA-PUT(ZUR)
  = JA-PETOS, JAPHET
    (PATESI = Statthalter)
   I R I - SCHUM  
   I R A D = JA-RED (als König)
CH A L - D I = N A B U
  = J A B A L (s. 5.Kapitel)
  =   A B E L

Bevor wir das nächste Kapitel aufschlagen, müssen wir noch die Verhältnisse in Uruk untersuchen.

Enuk-Henoch I hatte (mindestens) zwei Söhne. Den einen scheint Iluschuma-Semael unter Belassung seiner Stadt Uruk abgesetzt zu haben, der andere fühlte sich dem sabäischen Kult verbundener als dem sumerischen; denn er war Ekstasepriester der Göttin Nisaba, seiner Großmutter, in Umma und trug einen semitischen Namen. Der Sohn des abgesetzten Herrschers von Uruk hieß Uruk-Agina, und der Sohn des Nisaba-Priesters wurde später der "Herr", von dem Luzifer abfiel. Sein Name war Lugal-Zagisi. Über ihn und seine Machtergreifung werde ich erst in einem besonderen Kapitel abhandeln.

In den letzten Jahren des vierten nachsintflutlichen Jahrhunderts stand Mesopotamien eindeutig unter der Herrschaft des Gutäers Iluschuma-Semael. Sein Sohn Erridu-Pizir-Abel = Irischum war etwa 15 Jahre älter als Kain, der andere Sohn. Als letzterer alt genug war und keine Chance unter seinem Halbbruder sah, der die Nachfolge des Vaters gegen 410 ndFl angetreten haben dürfte, begab er sich auf Reisen. Möglicherweise war dieser Kain tatsächlich der Mörder seines Bruders Abel-Chaldi, da Irischum offensichtlich von Lugalzagisi gestürzt wurde, und es ist durchaus möglich, dass Kain dessen Gefolgsmann und Helfershelfer bei dieser Revolte gewesen ist. Auf jeden Fall und unabhängig davon ist der Zwist Dumuzi, der Hirte, und Enkidu, der Ackerbauer, auf Kain und Abel übertragen worden.


Letzter Stand: 4. Juli 2012
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