Essay zur Hochsensibilität
(auch Hypersensibilität, Hochsensitivität oder Überempfindlichkeit genannt)
von Janis Purucker
"Hochsensibel?"
Wie viele verschiedene Stimmen und Meinungen kann ich mir allein zu diesem
einzelnen Begriff vorstellen.
"Bist du irgendwie verrückt oder so??"
"Die denken wohl, sie sind was Besonderes!"
"Hab' ich noch nie gehört."
"Da will sich wohl jemand Vorteile erschleichen!"
"Oje, du Arme. Wie lange hast du das denn schon?"
"Im Leben darf man nicht so empfindlich sein, sonst geht man unter!"
"Ach, du Mimose, dich muss man immer wie ein rohes Ei behandeln."
"Ist das heilbar?"
Diese Beispiele noch weiter fort zu führen, bleibt der Fantasie eines Jedem
selbst überlassen.
Man könnte sogleich versuchen, sie zu widerlegen, ihnen entgegen zu rufen:
Nein, nein, nein, so einfach und pauschal ist das nicht! Aber es ginge
vielleicht an unserer
komplexen Realität vorbei, auch und gerade wenn wir von einer rein subjektiven
Realität ausgehen, also der Sichtweise und Lebenserfahrung eines jeden
Einzelnen.
Und so bleibt es natürlich auch einem Jeden selbst überlassen, sich seine
eigene Meinung über das Thema zu bilden.
Zunächst folgende Fakten:
- Bei Hochsensibilität handelt es sich nicht um eine subjektive Befindlichkeit,
sondern um eine nachweisbare Veranlagung, und zwar um eine zum Teil sinnvolle
und nützliche.
- Es ist keine Krankheit des Körpers oder des Geistes, sondern eine völlig
natürliche Variation, wie z.B. blaue Augen.
- Allen bisherigen Erkenntnissen nach ist sie erblich bedingt (Zwillingsstudien
und andere Forschungen weisen darauf hin), teilweise auch über zwei
Generationen hinweg.
- Etwa 15 bis 20 %, also jeder 5. bis jeder 6. Mensch, der uns auf der Straße
begegnet, ist hochsensibel. Die allermeisten wissen allerdings nichts davon.
- Entgegen landläufiger, wenig differenzierter Ansichten sind Männer ebenso
häufig betroffen wie Frauen. Leider können Männer ihre Veranlagung seltener für
sich selbst akzeptieren und offen dazu stehen, da unser Gesellschaftsbild immer
noch sehr von klassischen Rollenbildern geprägt ist.
Forschung zum Thema
(Zusammenfassung aus den Büchern "Zart besaitet" und "Sensibel kompetent")
Der Begriff "hochsensible Person"
(kurz "HSP")
wurde durch die Psychologin
Elaine Aron in ihrem Besteller "The Highly Sensitive Person: How to thrive when
the world overwhelms you" geprägt.
Bereits
Ivan Pawlow
, ein russischer Physiologe der Jahrhundertwende,
beschäftigte sich unter anderem mit der menschlichen Empfindsamkeit. Auf der
Suche nach
objektiver "Messbarkeit" der Empfindlichkeit
fand Pawlow heraus,
dass es einen markanten Punkt gibt, an dem ein Mensch bei Überstimulation
"dicht macht".
Pawlow setzte seine Versuchspersonen extremem Lärm aus.
Überschreiten die Dezibel eine bestimmte Höhe, gehen Menschen auch gegen ihren
Willen in eine Schutzstellung, bei weiterer Steigerung der Lautstärke werden
sie irgendwann bewusstlos.
Es war zu erwarten, dass es Menschen gibt, die mehr aushalten, und andere, die
weniger aushalten. Was Pawlow aber überraschte, war, dass es in der
Empfindlichkeit
zwei deutlich unterscheidbare Gruppen von Menschen
gibt.
15 bis 20%
erreichten den markanten Punkt der Überstimulation sehr schnell -
doch dann kam lange nichts mehr, bevor schließlich die weniger Sensiblen nach
und nach anfingen, unter dem Lärm bewusstlos zu werden.
Das heißt, es gibt in der Empfindlichkeit keinen fließenden Übergang zwischen
den Menschen, nur diese zwei deutlich voneinander getrennten Gruppen, innerhalb
derer es dann erst wieder fließendere Unterschiede gibt.
Pawlow fand auch über diesen Test hinaus eine Reihe von Gemeinsamkeiten bei den
Menschen der empfindlicheren Gruppe. Er war davon überzeugt, dass diese Anlage
zur Empfindlichkeit erblich ist.
Auch andere Forschungen aus jüngerer Zeit weisen stark darauf hin:
Jerome Kagan, ein Psychologe der Universität Harvard, stellte fest, dass
hochsensible Säuglinge
deutlich höhere Herzfrequenzen zeigten, ihre Pupillen
sich unter Stress früher weiteten und ihre Stimmbänder sich eher spannten. Ihre
Körperflüssigkeiten zeigten
hohe Konzentrationen von Noradrenalin
im Gehirn.
Dieser Neurotransmitter wird im Körper aller Menschen in geringen Mengen
produziert, wenn Adrenalin, das Stresshormon, hergestellt wird. Es weckt das
Gehirn auf und bereitet es auf bevorstehende Denkprozesse vor.
Im Blut hochsensibler Menschen ist Noradrenalin oft in ungleich größeren Mengen
vorhanden als bei nicht hochsensiblen. Das heißt, dass sie tendenziell ständig
geistig auf ihren Einsatz warten.
Auch das
Hormon Cortisol
, das unter dauerhafter Erregung freigesetzt wird, war
bei den von Kagan untersuchten hochsensiblen Kindern stärker vorhanden als bei
der nicht hochempfindlichen Parallelgruppe. Auch in einer ruhigen Situation,
etwa zu Hause, war die feststellbare Menge an Cortisol bei den HSP immer höher.
Damit bestätigte Kagan die These von Pawlow, dass diese
Unterschiede bereits ab
Geburt feststellbar
sind.
Hypersensibilität ist also nicht das Ergebnis einer besonders schweren oder
behüteten Kindheit oder ähnlichem, sondern in fast allen Fällen bereits von
Geburt an vorhanden.
Auch verblüffend: Selbst bei verschiedenen
höheren Säugetieren
konnte eine
Subpopulation hochsensibler Individuen von etwa 15 - 20%
ausgemacht werden. Es
sind Individuen, die sich nicht kurzentschlossen in neue Situationen werfen,
sondern erst innehalten, um die Lage genau zu erfassen. Manchmal wird ihnen
dies zum Verhängnis, etwa wenn sie zu wenig angriffslustig sind, wo es nötig
wäre. In anderen Situationen jedoch haben sie Vorteile, da sie sich nicht so
leicht in Gefahr begeben und andere Mitglieder ihres Rudels vor drohenden
Gefahren warnen können. Es kann daher angenommen werden, dass es für den
Fortbestand vieler Arten günstig ist, wenn es eine Mischung von hochsensiblen
und nicht hochsensiblen Vertretern gibt.
Wäre die Überempfindlichkeit also nur von Nachteil, wäre sie wohl durch die
Evolution längst ausgerottet worden, da im Laufe dieser nur die
anpassungsfähigste Spezies überlebte.
Wenn man an den Begriff des "Anpassens" denkt, scheinen HSPs oberflächlich
gesehen nicht besonders dazu geeignet, da sie mit scheinbaren "Kleinigkeiten"
öfter Probleme haben.
Beschäftigt man sich aber detaillierter mit der Geschichte der Menschheit, wird
man feststellen, dass genau dieses "Nicht-Anpassen ", das "Anders-Denken", das
"Ständige-Hinterfragen", das "Andere-Wege-Gehen-Müssen" von Hochsensiblen oft
zu veränderten Verhaltensweisen sowie zu Entdeckungen und Erfindungen führte,
die das Überleben unserer Spezies sicherten und tiefgreifende Fortschritte
ermöglichten.
Und oft waren es eben auch nur "Kleinigkeiten", genaue Beobachtungen, die
entscheidende Wendungen
herbeiführten.
Diese und andere Stärken wiederzuerkennen, zu nutzen und zu einem neuen
Selbstbewusstsein zu finden, obliegt den Hochsensiblen unserer Tage.
Gemeinsamkeiten von Hochsensiblen
Die folgende Aufzählung enthält viele mögliche (allerdings nicht alle)
Gemeinsamkeiten der Gruppe der hochsensiblen Menschen, was aber natürlich nicht
heißt, dass alle Punkte auf jeden zutreffen.
Die individuellen Empfindlichkeiten, Begabungen und Eigenheiten der
Hochsensiblen sind breit gestreut und in den unterschiedlichsten Bereichen
angesiedelt.
Dennoch gibt es Hauptcharakteristika, die auf eine Hochsensitivität hinweisen.
Sowohl positive als auch negative.
Treffen viele dieser Punkte mehr oder minder zu, oder sind ein paar davon
besonders stark ausgeprägt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, hochsensibel zu
sein. Wer es genauer wissen möchte, macht den
Test auf zartbesaitet.net.
- Die wichtigste aller Eigenschaften, die alle Hochsensiblen verbindet, ist:
Eine erhöhte Empfänglichkeit für Reize und ein intensiveres Empfinden und
Erleben.
Die erhöhte Empfänglichkeit für äußere (z.B. Geräusche, Gerüche, etc.) und
innere Reize (z.B. Vorstellungen, Gedanken, Erinnerungen)
führt dazu, dass Hochsensible generell mehr Informationen wahrnehmen.
Außerdem verarbeiten sie diese wesentlich tiefer und gründlicher als nicht
hochsensible Menschen.
Weil sie aber mehr und stärker wahrnehmen, kommen diese Menschen auch schneller
an den Punkt, an dem sie sich in eine "reizärmere" Umgebung zurückziehen
möchten, also eine Art "Überstimulation".
Sie tritt auch bei nicht hochsensiblen Menschen irgendwann ein, z.B. bei einer
Nacht in der Disco, nach der sie sich auf eine geräuscharme Umgebung freuen.
Nimmt man aber einen Hochsensiblen, dessen erhöhte Empfänglichkeit laute
Geräusche einschließt, wird er schon viel eher an diesen Punkt kommen, und wohl
auch früher gehen. Aber Geräusche sind, wie schon erwähnt, nur ein Beispiel von
vielen.
Dazu eine persönliche Erfahrung:
Als ich das erste Mal über diese grundlegende Eigenschaft las, hörte sich das
für mich zunächst sehr seltsam an, und ich war mir absolut nicht sicher, ob das
bei mir wirklich zutrifft.
"Mehr Informationen aufzunehmen" als Andere, das konnte ich mir kaum
vorstellen, denn, so dachte ich mir, - dann müsste ich das ja deutlich merken.
Vielleicht müsste ich mich dann z.B. an mehr Dinge erinnern, die während des
Tages passiert sind, als jemand, der mit mir das Gleiche erlebt
hat. Aber das ist damit nicht gemeint.
Der Knackpunkt bei der Sache ist: Dieses "Aufnehmen", diese "erhöhte
Empfänglichkeit" - sie geschehen meist unbewusst. Das heißt wiederum, der
Hochsensible merkt gar nicht, dass er mehr aufnimmt und anders erlebt als
andere.
Und da man ja noch nie ein anderer Mensch war und aus anderen Augen auf die
Welt heraus geschaut hat, hat man auch keinen direkten Vergleich zu einem
Normal-Sensiblen. Wir Hochsensible gehen also automatisch davon aus, alle
nehmen die Dinge, die wir so intensiv und detailreich aufnehmen, gleich wahr.
Aber die Wahrnehmung ist individuell sehr verschieden, selbst bei Hochsensiblen
untereinander.
Es gibt jedoch weitere konkrete Eigenschaften, die bei Hochsensiblen sehr
gehäuft auftreten, wie die nun folgenden zeigen.
Weitere Eigenschaften der Hochsensibilität:
-
Starke subtile (innere) Wahrnehmung:
Ein reichhaltiges und vielschichtiges
Innenleben. Ausgeprägte Fantasie und Gedankenwelten. Intensives
Traumgeschehen. Endlose Nuancen der eigenen Stimmungen.
-
Tendenz zu überdurchschnittlicher Intelligenz und/oder Kreativität und/oder
Analyse- und
Differenzierungsfähigkeit.
-
Erhöhte Schmerzempfindlichkeit.
-
Bemerken von Details:
Hochsensible haben ein sehr gutes Auge für Details.
Ihnen fallen Dinge auf, die anderen oft entgehen. Wo es auf detailgenaues,
sorgfältiges Arbeiten ankommt, sind sie meist besser als Nicht-HSPs.
-
Schnelligkeit vs. Genauigkeit:
Da es bei vielen Dingen in unserer heutigen
Gesellschaft eher um Schnelligkeit als um wohlüberlegtes Handeln geht, kommen
HSPs damit oft nicht so gut zurecht. Auch Entscheidungen wägen sie
normalerweise gut ab, unter Berücksichtigung der möglichen Folgen.
-
Stress und Leistungsdruck:
Unter Druck bringen Hochsensible meist nicht die
Leistung, zu der sie eigentlich fähig wären. Stehen sie unter Dauerstress,
leidet - so wie generell bei den meisten Menschen - auch darunter ihre
Leistungsfähigkeit.
-
Anfälligkeit für psychische Krankheiten:
Wie man sich vorstellen kann, sind HSPs - bei ständiger "Überstimulation" -
damit leider auch eher gefährdet, an psychischen Erkrankungen wie "Burn-Out",
Depressionen, etc. zu
erkranken.
-
Empfindsamkeit für Kunst, Musik und/oder Naturstimmungen:
92% der
Hochsensiblen fühlen sich durch diese Dinge stark bewegt. Manche auf diesen
Gebieten Interessierte und Begabte machen ihre Empfindsamkeit daher auch
erfolgreich zum Beruf.
-
Vielseitige Interessen & hohe Begeisterungsfähigkeit:
Soviele interessante Dinge, die es zu erfahren gilt, und nur so wenig Zeit.
Viele HSPs sind von Natur aus neugierig und vielseitig interessiert. Themen wie
Geschichte, Philosophie, aber auch die Logik der Mathematik und der
Naturwissenschaften, oder die kreative Welt der Künste, etc. pp. - HSPs sind
für vieles offen und informieren sich. Ein hohes Allgemeinwissen ist deshalb
nicht selten bei ihnen anzutreffen.
Wenn sich Hochsensible für etwas begeistern, sei es ein bestimmtes Hobby, ein
Beruf, oder auch nur ein besonderes Erlebnis - dann ist ihre Begeisterung
tatsächlich sehr groß, und ebbt normalerweise nicht so schnell ab. Oft sind sie
wie versessen und vergessen die Welt um sich herum.
-
Feinwahrnehmung von Befindlichkeiten, Stimmungen und Beziehungsqualitäten:
Der köperliche und psychoemotionale Zustand anderer, oder die aktuelle Qualität
ihrer Beziehungen werden von einem in dieser Eigenschaft begabten HSP oft schon
erkannt, bevor die betreffenden Personen sich dessen selbst bewusst sind.
-
Gutes Einfühlungsvermögen:
Die Fähigkeit, sich in viele verschiedene
Stimmungen und Gefühle und deren Intensität hineinversetzen können, macht viele
Hochsensible zu verständnisvollen Zuhörern und differenzierten
Gesprächspartnern. Für diese HSPs sind tiefgehende Gespräche oft ein wichtiger,
erfüllender Lebensinhalt. Aber auch hier lauert - wie überall - die Gefahr der
Überstimulation, da die Informationen genauer aufgenommen und intensiver
verarbeitet werden.
-
Starke Beeinflussung durch die Stimmung anderer Menschen:
Durch eben dieses
Einfühlungsvermögen werden jedoch auch viele HSPs von den Stimmungen anderer
Menschen beeinflusst. Arbeitet z.B. ein Kollege im selben Raum, der sich über
etwas sehr ärgert, verspürt auch so mancher Hochsensible bald ein ähnliches
Gefühl. Er "spiegelt" quasi automatisch.
-
Ausgeprägte Intuition:
Einzelheiten unbewusst aufzunehmen und diese in
Beziehung zu setzen, geschieht bei vielen Hochsensiblen automatisch. Das
"Bauchgefühl" entscheidet oft für sie, ohne dass dabei das lineare Denken oder
die Sinne in bewusster Weise bemüht werden.
-
"Nachhall" von Emotionen und Erlebnissen:
Manche Erlebnisse und die damit
verbundenen Gefühle beeinflussen HSPs oft noch Stunden, Tage oder sogar Wochen
danach. Sie kreisen noch immer in ihren Gedanken und Erinnerungen, und
teilweise spüren sie auch die gleichen Emotionen, so als wäre das Erlebnis noch
immer gegenwärtig.
-
Tiefe Reflexion, Nachdenken und Nachempfinden:
HSPs denken über fast alles
nach und sie reflektieren meist sehr gut über ihr eigenes
Innenleben.
-
Denken in größeren Zusammenhängen:
Vor allem erfahrene Hochsensible hüten
sich vor täuschend einfachen Denk- und Erklärungsmustern. Pauschalisierungen
und Klischees lehnen sie daher aus gutem Grund oft ab. Ihr System der
"Schubladen", das dennoch ein Jeder braucht, um Menschen und Situationen
richtig einschätzen zu können, ist dann jedoch - in Extremfällen - so
vielfältig und komplex, dass es nicht unbedingt dazu beiträgt, "klarer" zu
sehen.
-
Mitgefühl und Altruismus:
Jedem Menschen helfen zu können, der Hilfe
benötigt, ist unmöglich, und doch gibt es so einige HSPs, die diesen Wunsch ihr
Leben lang hegen. Viele ergreifen deshalb auch einen helfenden Beruf, z.B. im
Gesundheitswesen. In unserer Zeit verzweifeln jedoch viele an der
Massenabfertigung, die mittlerweile in diesem Bereich herrscht.
-
Empfindsamkeit für Temperaturen/Luftqualität:
Eine schmälere Behaglichkeitszone in punkto
Hitze oder Kälte, das heißt, es ist ihnen schneller zu heiß oder zu kalt.
Stickige Sommer oder eisige Winter sind daher für temperaturempfindliche HSPs
schwerer zu ertragen.
Auch verräucherte oder übelriechende Luft, Gerüche, die Andere kaum oder nur
unterschwellig wahrnehmen, können Stress bedeuten. Regelmäßig zu lüften ist
deshalb für Manche ein Muss.
-
Gerechtigkeitssinn und Harmoniebedürftigkeit:
Viele Hochsensible verabscheuen
Unfrieden und Streit, ebenso offensichtliche Ungerechtigkeiten. Sie tun, was
sie können, um diese Dinge zu vermeiden und ihnen entgegen zu wirken. Manche
ziehen sich bei Konflikten um der Harmonie willen auch lieber zurück.
-
Gewissenhaftigkeit:
Ist ein HSP von einem Projekt, einer Aufgabe, oder einem
Ziel überzeugt, steht er normalerweise sehr stark dahinter. Er würde niemals
wissentlich zu einer Gefährdung dessen beitragen, wenn er es nicht mit seinem
Gewissen vereinbaren könnte. Auch in Bezug auf Menschen, die er respektiert,
zeigt er große Loyalität.
-
Perfektionismus und Fehler-Sensibilität:
Manche HSPs sind wahre
Perfektionisten, sie versuchen unter allen Umständen, Fehler zu vermeiden. Auch
fallen ihnen Fehler anderer eher auf, weshalb sie oft als "pedantisch"
gefürchtet sind. Bevor sie etwas nur halb oder nicht "gut genug" in die Tat
umsetzen können, lassen sie es lieber gleich ganz bleiben.
-
Uneinheitliches Persönlichkeitsbild & schwächer ausgeprägte
Geschlechtsstereotypien:
Die Persönlichkeiten vieler Hochsensibler sind nicht
linear und allzu einfach in eine Schublade zu stecken. Oft vereinen sie beinahe
gegensätzliches in sich. Ob sensibel und gleichzeitig wagemutig, ängstlich aber
Horrorfan, oder optimistisch und auf der anderen Seite voller Weltschmerz -
eine komplexe Persönlichkeit lässt sich oft schwer einschätzen.
Auch "Geschlechtsstereotypien" wie z.B. Männer & Fußball, Frauen &
Romantikschnulzen, etc.
lassen sich auf Hochsensible seltener anwenden.
Dafür sind sie durch diesen Umstand jedoch auch vielseitige und interessante
Menschen.
-
Starke Reaktionen auf Medikamente und/oder Alkohol und/oder Koffein:
Für
manche HSPs ist die übliche Dosierung von Medikamenten viel zu hoch, da sie
sehr empfindlich darauf reagieren. Teilweise vertragen sie sie auch gar nicht
oder kämpfen gehäuft mit Nebenwirkungen. In diesem Fall ist es ratsam, ein
Medikament erst auf Verträglichkeit zu testen, oder eine geringere Dosis als
üblich einzunehmen.
Auch Alkohol und Koffein wirken sich auf manch einen verstärkt aus.
-
Gefühle der Verbundenheit:
HSPs "investieren" oft viel in ihre Beziehungen zu
manchen Menschen ihrer Umgebung und spüren starke Gefühle der Verbundenheit,
beispielsweise in einer guten Freundschaft. Leider haben auch viele das Gefühl,
als würden ihre Gefühle nicht in dieser Form erwidert, so als wäre dem Anderen
die Freundschaft nicht so wichtig, und wisse sie nicht so sehr zu schätzen.
Tatsächlich ist es so, dass jeder Mensch eine andere Auffassung von
Freundschaft hat - von relativ oberflächlicher Plauderei im Café um die Ecke
bis zu einer engen Vertrauensbasis, auf der man vieles teilt. Um richtig gute
Freunde zu finden, die dieses Verbundenheitsgefühl teilen, bedarf es also oft
einer längeren Suche - dafür halten diese Verbindungen aber größtenteils auch
sehr lange.
Auch in Beziehungen wünschen sich HSPs meist große Nähe und starkes Vertrauen
auf beiden Seiten.
-
Erhöhte Tendenz zu Allergien.
-
Introversion/Extraversion:
Laut Umfragen bezeichnen sich etwa 70% aller
Hochsensiblen als introvertiert, allerdings auch ganze 30% als extrovertiert.
Es gibt also auch einen Anteil HSPs, die sehr aktiv auf Leute zugehen und
energisch und bestimmt auftreten.
Wobei man berücksichtigen muss, dass extreme Ausprägungen an Intro- oder
Extraversion generell eher selten sind, auch hier sind vorwiegend Mischformen
zu finden.
Zur Introversion ist folgendes zu sagen: Viele Hochsensible werden automatisch
als schüchtern bewertet, weil sie in sozialen Gruppen eher beobachten, als zu
handeln oder sich in den Mittelpunkt zu stellen. Introversion ist allerdings
nicht unbedingt gleich Schüchternheit. Trifft man z.B. den gleichen HSP, der in
einer bestimmten Gruppe oder Situation eher zurückhaltend auftritt, an einem
anderen (vielleicht weniger überstimulierenden) Ort, unter anderen Umständen,
oder nur zu zweit, kann er wie ein anderer Mensch erscheinen, denn von der
vermeintlichen Schüchternheit ist dann oft kaum noch etwas zu spüren. Hier
liegt der Unterschied zur wahren Schüchternheit.
-
Unreflektiertes Schließen von sich auf Andere:
Da die meisten HSPs nicht
wissen, dass es zwei voneinander relativ klar getrennte Sensibilitäts-Gruppen
gibt, schließen sie trotz - oder auch gerade wegen - ihrer guten
Selbstreflexion einfach so auf andere, und schätzen sie dadurch vielleicht
falsch ein.
Dieser Mechanismus findet sich auch bei weitem nicht nur bei Hochsensiblen,
hier fußt er jedoch auf dem Grund, dass ein Hochsensibler ja davon ausgehen
muss, dass alle Menschen in ihrer Sensibilität ähnlich veranlagt sind.
Das scheinbar absichtlich "verletzende" Verhalten eines Freundes, die
stundenlange "laute" Musik aus der Nebenwohnung, etc. pp. - ein unerfahrener
HSP kann nicht wissen, dass anderen Menschen diese Dinge nichts ausmachen, oder
dass sie sie einander zumuten, ohne lange darüber nachzudenken oder sie zu
bemerken.
Erst wenn er weiß, dass dem tatsächlich überwiegend so ist, versteht er, dass
er teils falsche Rückschlüsse gezogen hat, da ein anderer Mensch in dieser
Hinsicht eben auch wirklich "anders" ist.
Missverständnisse sind also quasi vorprogrammiert, und Toleranz zu üben ist
deshalb - sowohl für HSPs als auch für Nicht-HSPs - nicht leicht.
Aber wir alle stehen - und das nicht nur in der Sensibilität - auf
unterschiedlichen "Leveln", beeinflusst durch Gene, Erziehung und das
gesellschaftliche Umfeld; wir nehmen die Welt mit völlig unterschiedlichen
Augen und Gefühlen wahr, wie auch neueste Forschungen immer mehr zeigen.
Toleranz und eine offene, konstruktive Kommunikation sind also unerlässlich, um
eine positivere soziale Struktur zu erlangen.
Umgang mit der Hochsensibilität
Da man als Hochsensibler nicht "erwarten" kann, dass die Welt sich auf die
eigenen Bedürfnisse einstellt und
Rücksicht auf Dinge nimmt, die den 80 - 85 % der Normal-Sensiblen gar nichts
ausmachen, kann man dennoch versuchen, durch einen
guten Umgang mit seiner Veranlagung damit einhergehende Belastungen soweit wie
möglich zu reduzieren.
Ebenso wünschenswert ist es, die vielen positiven Seiten der Hochsensibilität
nutzen und genießen zu können, privat und/oder auch beruflich.
Um dies zu erreichen, ist oft viel an Kraft und ausgeprägter
Persönlichkeitsentwicklung nötig, was aber - so denke zumindest ich - bei jedem
Menschen mehr oder weniger nötig ist, um persönliche Ziele im Leben erreichen
zu können. Bei Hochsensiblen gestaltet sich dies teilweise nur anders. Um z.B.
nicht einer ständigen Überstimulation ausgesetzt zu sein, muss man erst einmal
wissen, welche Dinge übermäßigen Stress verursachen, erst dann kann man nach
einer Lösung suchen.
Manchen Hochsensiblen helfen etwa Praktiken wie Meditation oder Yoga, die
aufgenommenen Informationen des Tages verarbeiten zu können. Auch die
verschiedenen Künste, Religion, Spiritualität, Sport, Hobbys oder Handwerk sind
für Viele ein
bedeutsamer Lebensinhalt und ein wichtiger Ausgleich.
Außerdem hilft es den meisten Hochsensiblen, überhaupt erst zu erfahren, dass
ihre Veranlagung völlig natürlich ist, und sie damit bei weitem nicht alleine
sind. Deshalb ist es sehr wichtig, das Thema in der Öffentlichkeit besser
bekannt zu machen.
Beruf / Berufung / Privatleben
Manche Hobbys oder Aktivitäten können auch zum Beruf gemacht werden, was jedoch
nicht leicht ist, so wie der Weg zur Berufung (als Unterschied zum Beruf) für
einen HSP generell eher schwierig ist. Viele von ihnen finden erst in
fortgeschrittenem Alter die Tätigkeit, die sie erfüllt, nachdem sie jahrelang
"Frondienst" auf Gebieten geleistet haben, die ihnen nicht liegen, und in denen
sie keinen wahren Sinn sehen, außer natürlich dem, Geld zu verdienen und über
die Runden zu kommen.
Nun kann der Kritiker rufen "das geht vielen Leuten so! Die können das auch
nicht ändern!", und er hat wohl absolut recht damit. Nicht nur in unserer
heutigen Zeit der Massenarbeitslosigkeit, vor allem in früheren Zeiten ging es
oft schlichtweg ums Überleben, und dafür musste immer hart gearbeitet werden,
ohne Rücksicht auf eigentliche Interessen und Begabungen.
Dennoch ist es für viele Hochsensible - wie generell für einige Menschen - auf
lange Sicht schwer zu ertragen, ihre eigentliche Berufung nicht leben zu
können. Seine Träume nicht aufzugeben und in kleinen Schritten darauf
hinzuarbeiten ist daher oft der einzige Weg, um sein berufliches "Glück" zu
finden.
Ähnlich steht es tendenziell auch im Privatleben, denn manche HSPs finden ihren
Partner fürs Leben erst sehr spät - wenn überhaupt. Stetige Entwicklung und
schmerzhafte Erfahrungen sind oft vonnöten, bis eine Beziehung entsteht, die
ein Leben lang hält. Aber auch das kommt sicher vielen Menschen bekannt vor,
bei Hochsensiblen tritt es nur gehäuft auf und resultiert aus teils anderen
Gründen.
Buchtipps
In den Büchern
"Zart Besaitet"
und
"Sensibel kompetent"
gibt es viele weitere
Tipps zum Umgang mit Hochsensibilität. ("Zart besaitet" beschreibt das Thema
allgemein, in "Sensibel kompetent" liegt der Fokus
vor allem auf dem Beruflichen.)
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