Erstes Buch: Zeitalter, Katastrophen, Kalender

2. Kapitel: Die Geburt der Athene

Ich werde in diesem Kapitel eine äußerst gewagt erscheinende Hypothese über die Herkunft des Planeten Typhon aufstellen, die durch weiter nichts zu belegen ist als durch den Mythos von der Geburt der Athene, jener Göttin, von der sich die alten Griechen ohnehin die merkwürdigsten Dinge erzählten; aber das tollste Ding war ihre Geburt:

Der Feuergott Hephaistos spaltete das Haupt seines Vaters Zeus, und aus dessen Auge sprang in glänzender Rüstung die wehrhafte Göttin Athene hervor.

Dieser in seiner wörtlich genommenen Tradition absolut blödsinnige Geburtsvorgang vermittelt keine humanbiologische, sondern eine astronomische Botschaft. Athene war nämlich nicht von Anfang an die liebenswerte Stadtgöttin Athena Parthenos der Athener. Sie entstammte auch gar nicht der olympischen Verwandtschaft, in der sie gewiss eine richtige Mutter gehabt hätte. Athena-afia war eine karische Göttin, gehörte also zum Pantheon der Ureinwohner Griechenlands, und deren Götter wohnten unter der Erde. Dort herrschten die Eltern der Athene, der Vater Hades und die Mutter Gaia bzw. Ga-afia, die bei den Griechen Heros und Hera hießen, letztere auch Ge. In Kleinasien wurde Athene als nicht weniger furchterregende Gorgo-Medusa verehrt, die in der mesopotamischen Todesgöttin Lilith und in der sumerischen Unterwelts- und Todesgöttin Ninhursag ihre Entsprechungen hat.

Der Leser ahnt es schon: Athene ist der Planet Typhon. Ihr Beiname Pallas soll bei den Griechen ohnehin ein anderer Name für Typhon gewesen sein.1 Die Geburt dieses "Höllenhundes" kann bei den karischen Ureinwohnern Griechenlands, den Pelasgern, als die Geburt des Höllenhundes Zerberos angesehen werden, die später von den Griechen als die der Athene ausgegeben wurde, während man Zerberos kurzerhand in die Unterwelt schickte.

Worin besteht nun die astronomische Botschaft?

Athenes Vater Zeus, der gespalten wurde, ist niemand anderer als der Planet Jupiter, der schon seit altersher mit dem Gott Zeus verbunden wird. Die Geburtsöffnung Athenes, besagtes Auge des Zeus, ist noch heute zu sehen. An dieser Stelle auf der Wolkenoberfläche des Jupiter herrschen sehr starke Wirbelstürme, die auf einen konvektiven (= vertikal von unten nach oben gerichteten) Hitzestrom schließen lassen, der aus der glutheißen Masse im Innern des Jupiter an die Oberfläche dringt. Anders als durch eine regelrechte Wunde in der Kernmasse, durch die aus den tiefergelegenen Schichten noch größere Hitze austritt, lässt sich der oben entstehende Wolkenwirbel ohnehin nicht erklären. Das im Kern fehlende Stück ist durch eine gigantische Explosion zu Athene geworden. Nicht umsonst wurde dazu der Feuergott Hephaistos bemüht.

Als weißglühendes Etwas kam Athene in voller, glänzender Rüstung zur Welt. Sie legte auch gleich richtig los.

Athenes "Geburtsgeschwindigkeit" war so groß, dass sie in ihren Vater nicht mehr zurückfallen konnte. Das bedeutet, dass sich Athene auf einer ballistischen Kurve befand, die in die Unendlichkeit führte. Anzunehmen ist, dass sie sich senkrecht zur Jupiter-Oberfläche fortbewegte, also gewissermaßen "im negativen Fall". Ihre Geschwindigkeit, die an der Oberfläche des Jupiter mehr als 60 km/s (so gen. "Fluchtgeschwindigkeit" oder "kosmisches V2") betragen haben muss, nahm mit zunehmender Höhe über dem Planeten ab. Da sie nun beide, sowohl Jupiter als auch Athene, um die Sonne kreisten, geriet die vor Jupiter "geflohene" Athene alsbald in den Einflussbereich der Sonne allein, und da sich ihre Geschwindigkeit mittlerweile stark reduziert hatte, schlug sie eine eigenständige Bahn um die Sonne ein. Die zu dieser Aussage erforderlichen himmelsmechanischen Berechnungen will ich dem Leser ersparen, zumal mit vielen Varianten operiert werden muss, da wir nicht genau wissen, welche Geschwindigkeit und Richtung Athene als Bahneigenschaften in die Wiege gelegt bekam. Der Leser sollte sich mit der Feststellung begnügen, dass dieser Vorgang in irgendeiner Weise prinzipiell möglich ist.

Eine der möglichen Bahnen der Athene-Typhon
Abb. 1: Eine der möglichen Bahnen der Athene-Typhon. Die himmelsmechanische Berechnung der Typhon-Geschwindigkeit erfolgt weiter unten.

Es wäre die Sonnenumlaufbahn der Athene-Typhon (dieses Gebilde wird noch weitere Namen bekommen, die aber zum Teil nicht sonderlich schmeichelhaft sind) für die Erde nicht so schlimm gewesen, wenn ihr Bahnperihel (= sonnennächster Bahnpunkt) nicht ausgerechnet in derselben Entfernung von der Sonne gelegen hätte, in der die Erde (damals!) ihre Bahn um die Sonne zog. Daher konnte es nicht ausbleiben, dass früher oder später eine Nahbegegnung der beiden Himmelskörper stattfand, dann nämlich, wenn sie beide gleichzeitig an diesem Perihelpunkt eintrafen. Erstmals geschah dies im Jahre 4004 v.Chr. Woher ich diese Zahl habe, werde ich weiter unten erläutern.

Da die Geschwindigkeit Typhons in seinem Perihel auf seiner stark exzentrischen Bahn, die ohne weiteres zu unterstellen ist, immer deutlich größer als die der Erde auf ihrer annähernd kreisförmigen Bahn war, kam es niemals zum Allerschlimmsten, zum gegenseitigen Einfangen. Wäre es dazu gekommen, dann hätten wir heute keine Gelegenheit mehr, uns darüber zu freuen, dass es nicht so weit gekommen ist. Noch schlimmer für beide Himmelskörper wäre allerdings die direkte Kollision Typhons mit der Erde gewesen, was jedoch viel weniger wahrscheinlich war als ein Nahvorbeizug.

Wäre Typhon zum Zeitpunkt der Nahbegegnung nur geringfügig schneller als die Erde gewesen, dann hätten sich die beiden Planeten zu einem Doppelplaneten verbunden und wären, indem sie sich ständig wie in einem Tanz umkreisten, auf einer mittleren Bahn geblieben, die zwar weniger exzentrisch als die Bahn des Typhon gewesen wäre, die aber das Planetenpärchen im Aphel (= sonnenfernster Bahnpunkt) bis hinter die Marsbahn oder sogar noch weiter weg geführt hätte. Dies hätte nicht nur zu einer Verlängerung des Erdjahres, sondern auch zu jahrelangen Wintern in Weltraumkälte und zu extrem kurzen Sommern auf der Erde geführt, die ihrerseits nicht ausgereicht hätten, den Erdboden und vielleicht noch nicht einmal die Weltmeere aufzutauen. Die zu erwartenden Nahbegegnungen mit dem Mars hätten für weitere Überraschungen gesorgt. Science-Fiction-Autoren sollten sich daher diesen interessanten Aspekt nicht entgehen lassen!

Aber Typhon war nicht nur geringfügig, sondern wesentlich schneller als die Erde, so dass das Schlimmste vermieden wurde. Um es noch einmal zu verdeutlichen: Die Geschwindigkeits-Differenz zwischen beiden Planeten ist es, worauf es ankommt. Von welcher Seite auch immer Typhon auf die Erde zukam - die relative Geschwindigkeit beider Himmelskörper zueinander durfte die für ihren kleinsten gegenseitigen Abstand gültige Fluchtgeschwindigkeit nicht unterschreiten.

Obwohl Typhon mit größter Wahrscheinlichkeit aus derselben Richtung kam wie die Erde, war die Geschwindigkeitsdifferenz zwischen beiden Planeten immer noch groß genug, um ein gegenseitiges Einfangen zu vermeiden. Daraus ist zu schließen, dass die Geschwindigkeit, mit der Typhon die Erde überholen musste, sehr beachtlich war. Es war nach Lage der Dinge absolut sicher, dass die Differenz zwischen der Erdgeschwindigkeit (ca. 30 km/s) und der Periheldurchgangs-Geschwindigkeit Typhons größer ausfiel als die so genannte Fluchtgeschwindigkeit, die in diesem Falle jedoch besser Einfanggeschwindigkeit heißen sollte. (Ein physikalischer Unterschied besteht zwischen diesen Definitionen nicht.) Wie groß könnte sie möglicherweise gewesen sein?

Die Größe der Perihelgeschwindigkeit richtet sich nach der Exzentrizität der Bahn des Typhon, das heißt letztlich somit auch nach deren Länge. Die Beantwortung der Frage nach der Perihelgeschwindigkeit Typhons setzt mithin die Kenntnis der Länge seiner Bahn voraus. Die Länge der Bahn lässt sich wiederum berechnen aus der Umlaufzeit um die Sonne, die uns jedoch nicht bekannt ist. Durch Rückschluss lässt sich allerdings ein hinreichend genauer Annäherungswert hierfür ermitteln:

Ein Abstand von einigen Millionen Kilometern auf der etwa eine Milliarde Kilometer langen Erdbahn reichte völlig aus, um die Erde bei einem Periheldurchgang Typhons aus der Gefahrenzone zu halten. So konnten Jahrhunderte, ja sogar mehr als tausend Jahre vergehen, bis es zu einer neuerlichen gefährlichen Nahbegegnung kam. Um im Bereich von zehn Millionen Kilometern vor oder hinter dem Perihel zu einem Rendezvous zu kommen, stehen die Chancen rechnerisch 1:50. Doch da die Bahnen von Erde und Typhon vermutlich ziemlich in derselben Ebene lagen und begreiflicherweise in der Umgebung des Typhon-Perihels auf einige -zig Millionen Kilometer annähernd parallel verliefen, erhöhte sich dadurch die Wahrscheinlichkeit einer Nahbegegnung letztlich doch; aber größer als 1:10 dürfte sie dennoch kaum gewesen sein.

Ich fasse an dieser Stelle schon die Jahreszahlen der vier Typhon-Katastrophen im Vorgriff zusammen, um anhand der Abstände zwischen ihnen und der Wahrscheinlichkeit einer Nahbegegnung den Rückschluss auf die Länge der Typhon-Bahn vornehmen zu können:

Typhon 1: 4004 v.Chr.;
Sonnenaufgang von Ost nach West verlegt.
Typhon 2: 2535 v.Chr.;
Sonnenaufgang von West nach Ost verlegt.
Typhon 3: Sintflut im Jahre 879 v.Chr. = 1 ndFl;
Sonnenaufgang von Ost nach West verlegt.
Typhon 4: Exodus-Katastrophe = Plagen des Pharao =
Aufruhr des Usia: 624 ndFl = 256 v.Chr.;
Sonnenaufgang von West nach Ost verlegt.


In einem Zeitraum von (4004 ./. 256 =) 3748 Jahren fanden also nur vier Nahbegegnungen statt. Das bedeutet, dass es bei einer Wahrscheinlichkeit von 1:10 zu vierzig Periheldurchgängen gekommen sein muss, was einer Umlaufzeit von durchschnittlich 3748 : 40 = 93,7 Jahren entspricht. Das ist mehr als die Umlaufzeit des Halleyschen Kometen, der nur etwa 76,3 Jahre für einen Sonnenumlauf benötigt.

Nach dem dritten Keplerschen Satz Die Quadrate der Umlaufzeiten zweier Planeten verhalten sich wie die Kuben ihrer großen Halbachsen errechnet sich der mittlere Abstand des Typhon von der Sonne mit (gerundet) 20 AE (= Astronomische Einheiten; eine AE entspricht dem mittleren Erdabstand von der Sonne = ca. 150 Mio. km) oder 3 Mrd. km. Sein Aphel lag demzufolge fast 6 Mrd. km (= zweimal die große Halbachse minus die kleine Bahnachse), also in etwa so weit von der Sonne weg wie der Planet Pluto (im Mittel). Dies sind natürlich nur Annäherungswerte. Genaues wissen wir über die Bahn (besser gesagt: über die Bahnen) des Typhon eben nicht. Mit dem so gewonnenen Wert 20 AE lässt sich die Geschwindigkeit des Typhon in jedem Bahnpunkt errechnen. Da uns aber nur seine Perihel-Durchgangsgeschwindigkeit interessiert, so konzentrieren wir uns darauf:

Die Geschwindigkeit eines Planeten auf einer kreisförmigen Bahn, wie wir sie getrost für die Erde im Hinblick auf die geringe Exzentrizität der Erdbahn unterstellen können, errechnet sich nach der Formel

 Bahnberechnung Typhons



Wenn die Geschwindigkeit Typhons bei seinem Perihel-Durchgang das 1,4-fache der Erdgeschwindigkeit (= 30 km/s) ausmachte, dann betrug sie 42 km/s. Im ungünstigeren Fall, wenn Typhon sich der Erde aus derselben Richtung näherte, in der diese sich um die Sonne bewegt, war Typhon relativ zur ruhend gedachten Erde 12 km/s schnell. Dieser Wert ist selbst an der Erdoberfläche, wo die Flucht- bzw. Einfanggeschwindigkeit 11,2 km/s beträgt, ungefährlich. In der Entfernung, in der Typhon an der Erde vorbeizog, kann sie erst recht nicht zum gegenseitigen Einfangen führen, und bei der - kaum wahrscheinlichen - Möglichkeit, dass sich die beiden Himmelskörper begegnet wären, hätte es noch viel weniger dazu gereicht. Wir wollen daran festhalten, dass Typhon die Erde mit einer Geschwindigkeit von 12 km/s (relativ) überholte.

Von der Erde aus beobachtet hätte Typhon sich in den sieben Tagen, die wir für die Dauer der Katastrophe anzusetzen haben, sieben mal 86400 Sekunden (= ein Tag) = 604800 Sekunden mal 12 km/s = 7.257.600 km an der Erde vorbeibewegt, also in etwa 3,6 Mio. km auf die Erde zu und ebensoviel von ihr weg. Gemessen am Abstand der Erde von der Sonne macht diese Wegstrecke entlang der Erdbahn nur etwa 1/20 AE aus, aber das Achtzehnfache der Mondentfernung.

Bei der etwa 80fachen Mondmasse, die wir für Typhon unterstellt haben (etwa die Masse der Erde), müsste sich aus einer Entfernung von 3,6 Mio. km die Gezeitenkraft schon bemerkbar gemacht haben. Den Höhepunkt erreichte diese am dritten Tag, an dem sie aus der kürzesten Entfernung (etwa 200.000 km Abstand von der Erde) auf einem etwa 1 Mio. km langen Weg (12 x 86400 km) auf die Erde einwirken konnte. Es versteht sich, dass die tatsächlich von den beiden Himmelskörpern zurückgelegte Wegstrecke beträchtlich größer war; denn wir haben ja nur die Relativbewegung des Typhon im Verhältnis zur ruhend angenommenen Erde betrachtet.

Für eine ganze Umdrehung beider Planeten um ihren gemeinsamen Schwerpunkt hatte es zum Glück nicht gereicht; denn das hätte soviel wie eingefangen bedeutet. Zum Ansatz einer gegenseitigen Umkreisung kommt es aber in jedem Fall bei einer Annäherung zweier Himmelskörper. Wir werden noch sehen, dass die Umkreisung von Erde und Typhon in etwa 180° ausmachte, also nur einen Halbkreis für jeden. Bei einem derartigen Vorgang verläuft die Bahn der Himmelskörper in einer Art Doppelhelix (= "Wendeltreppe") um die gemeinsame Bahn, auf der sich der Schwerpunkt des Systems bewegt, der zwischen den beiden Körpern zu denken ist. Während der gegenseitigen Umdrehung bleibt die Bahn des gemeinsamen Schwerpunktes Teil einer Ellipse. Sobald der Abstand beider Himmelskörper groß genug geworden war, hörte die gegenseitige Beeinflussung wieder auf, und die Körper zogen auf Bahnen, die gegen ihre vorherigen zum Teil stark verändert waren, getrennt weiter.

Möglicherweise erfuhr die Bahn des Typhon bei der ersten Nahbegegnung schon eine starke Verkürzung, während die Erdbahn nach außen, mithin von der Sonne weg, verlagert wurde, wodurch das Jahr länger wurde. Wie lang das Jahr vorher und nachher war, lässt sich nicht mehr mit Sicherheit angeben. Die erste Angabe zu der Länge eines Jahres betrifft die Zeit zwischen Typhon 2 und der Sintflut, der Katastrophe Typhon 3: 320 Tage. Es ist anzunehmen, dass das Jahr vor Typhon 2 und erst recht vor Typhon 1 noch etwas kürzer war; denn eine Verlagerung der Erdbahn von der Sonne weg ist wahrscheinlicher als der umgekehrte Vorgang.

Während einer solchen Nahbegegnung kommt es zwischen den beteiligten Himmelskörpern zu so genannten Gezeitenwirkungen, die vorübergehend zu enormen Formveränderungen beider Planeten führen und auf ihren Oberflächen dauerhafte Schäden hinterlassen können. Für uns sind nur die Auswirkungen auf die Erde interessant.

An dem Beispiel von Ebbe und Flut kann man sich ausmalen, um wie viel gewaltiger die von Typhon ausgelösten Gezeiten gewesen sein müssen. Der Mond hat nur ein 81-stel der Erdmasse und ist 400 000 km von der Erde entfernt. Die unterstellte Typhon-Masse, die in etwa der der Erde entsprochen haben dürfte, wirkte dazu vermutlich noch aus einer kürzeren Entfernung (100 000 bis 200 000 km), so dass mit einem wahren Tohuwabohu gerechnet werden muss. Allein hinsichtlich des Wassers übersteigen die Auswirkungen alle unsere Vorstellungen. Weil aber auch die Erdkruste in wesentlich stärkerem Maße als durch den Mond Hebungen und Senkungen erfuhr, so sind Erdbeben zwangsläufig zu erwarten gewesen. Noch gewaltiger waren die Auswirkungen der Verformungskräfte auf die Atmosphäre. Luftdruckunterschiede mit auf unseren Barometern überhaupt nicht mehr verzeichneten Werten führten zu Stürmen von unvorstellbarer Gewalt. So ein Nahvorbeizug war für die ganze Erde ein Hölleninferno.

Danach stand die Erde buchstäblich auf dem Kopf, da sie ja durch ihren "Tanzpartner" Typhon um 180° gedreht worden war. Die Sonnenauf- und -untergangsorte waren vertauscht. Doch der kritische Leser wird schon bemerkt haben, dass das einfache Herumdrehen der Erde nicht zu einer Änderung ihrer Drehrichtung führen kann, ohne die ein Tausch der Sonnenauf- und -untergangsorte nicht möglich ist.

Vielfach wird mit ähnlichen Phänomenen, und zwar besonders mit dem Scheinbaren Sonnenstillstand unter Josua, ein vorübergehendes Anhalten der Achsdrehung der Erde und ein anschließendes Wiederingangsetzen in derselben Richtung oder - wie es hier gefordert werden müsste - in der Gegenrichtung verbunden. Dies ist eine ganz falsche Vorstellung; denn wenn schon die Erdrotation zum Stillstand gebracht worden sein sollte, dann müsste die Erde mit der gleichen Kraft, mit der sie angehalten wurde, in derselben oder in der entgegengesetzten Richtung wieder angeschoben worden sein, um sich weiter drehen zu können. Mag das Anhalten noch irgendwie zu erklären sein - wie und wodurch sollte die Erde aber wieder in Gang gesetzt worden sein?

Die einzige Erklärung für die Vertauschung der Sonnenauf- und -untergangsrichtungen, für eine Änderung der Drehrichtung der Erde also, liegt in einem Vorgang, den der Leser von der Getriebeautomatik seines PKW kennt, nämlich in dem Prinzip der Drehmomentwandlung. Daher lege ich eine kleine Physikstunde ein, die der nicht interessierte Leser überschlagen kann. Bei der Sechs-Punkte-Erklärung schließt er sich uns dann wieder an.


Exkurs in die Physik

Die Hauptmasse der Erde ist in ihrem Kern versammelt. Dort sitzt der "Motor", der die Erde in Bewegung um ihre Achse hält. Diese Rotation ist eine Trägheitswirkung. Sie kann nicht durch Knopfdruck aus- oder eingeschaltet werden. Die Rotation verleiht der Erde eine gewisse Kreiselstabilität, wenn auch eine Drehung in 24 Stunden nur sehr entfernt an einen Kreisel denken lässt. Immerhin ist die bewegte Masse der Erde groß genug, um einer Achskippung einen nennenswerten Widerstand entgegenzusetzen. Der Kern widersetzt sich so dem Herumdrehen durch Typhon und behält die Achsrichtung im Raum im Wesentlichen bei. Wie kann es dadurch aber zu einer Änderung der Drehrichtung kommen?

Dazu bedarf es einer zusätzlichen Komponente, die aus der Besonderheit des Erdaufbaues herrührt. Bekanntlich besteht der Erdball aus dem Kern im Innern, dem darüberl iegenden Mantel und schließlich der dünnen Erdkruste, auf der sich das Leben abspielt. Die Übergangsbereiche weisen Zustandsmerkmale auf, die, je tiefer sie im Erdinneren liegen, kaum labormäßig nachzustellen sind. Ich behaupte nun, dass sich zwischen Erdmantel und Erdkern eine Schicht befindet, die ein Höchstmaß an Gleitfähigkeit besitzt. Die Materie tritt hier in einem "supraflüssigen" Zustand auf, der nur unter dem unvorstellbar hohen Druck der Erdmasse haltbar ist, da unter normalem Druck das Gestein bei dieser hohen Temperatur längst verdampft wäre.

Neueste Experten-Überlegungen, z.B. von Joseph Kirschvink vom Caltech-Institut in Pasadena/Kalifornien, gehen davon aus, dass sich der gesamte feste Erdmantel im Früh-Kambrium (vor 500 Mio. Jahren) gegenüber dem flüssigen Erdinneren verdreht habe.2 Wenn eine solche Bewegung vor sehr langer Zeit möglich war, dann kann sie für die jüngere Vergangenheit nicht ausgeschlossen werden. Die Ursachen dafür sind gewiss unterschiedlich, im Endeffekt aber auch unerheblich. Wenn folglich bei einer Nahbegegnung der schwerste Teil der Erdkruste wie des Erdmantels, und das sind die hochgebirgigen Landmassen um den Himalaja, förmlich auf den herannahenden Planeten zu fallen, dann bleiben diese Teile immer auf ihn ausgerichtet, so dass der Mantel mit der Kruste um den Kern buchstäblich "herumfällt", indem er sich über die Gleitschicht abwälzt. Dabei zeigt die Erdachse so gut wie unverändert immer in dieselbe Richtung.

Nach der Umdrehung bleibt der Erdmantel zunächst in seiner zuletzt eingenommenen Position liegen, also etwa um 180° versetzt, und sogleich tritt der Drehmomentwandler wieder in Aktion, der durch das Medium supraflüssige Schicht hindurch das Drehmoment des Kerns auf den Mantel und die Kruste überträgt. Da sich bei diesem Vorgang die Drehrichtung des Kerns überhaupt nicht geändert hat, so dreht sich die Erde jetzt auch immer noch in derselben Richtung; aber da sie jetzt "auf dem Kopf steht", hat sich für alle Orte auf der Erdoberfläche die relative Drehrichtung umgekehrt.

Die Menschen mussten nach Typhon 1 ihren Blick nach Westen richten, um die Sonne aufgehen zu sehen. Die Bewohner der Nordhalbkugel schauten nun nicht mehr zum Großen Wagen an den Nachthimmel hinauf; dafür leuchtete ihnen das Kreuz des Südens von dort herab. Dasselbe wiederholte sich nach der Sintflut. Zwischen Typhon 2 und der Sintflut ging die Sonne für Europa am Nordhimmel und von Osten auf, wie wir es gewohnt sind und wie es auch für sehr lange Zeit vor Typhon 1 der Fall war.


Sechs-Punkte-Erklärung

Die Sechs-Punkte-Erklärung gibt in der Reihenfolge obiger sechs Fragen folgende Antworten:

1. Typhon kam sehr nahe an die Erde heran, weil sein Bahnperihel in der Nähe der Erdbahn lag.  

2. Seine Umlaufbahn um die Sonne war stark exzentrisch. So war seine Perihelgeschwindigkeit groß genug, um ein gegenseitiges Einfangen zu vermeiden. Außerdem stand die Erde nicht bei jedem seiner Periheldurchgänge exakt an bzw. nahe dieser Stelle.

3. Typhon konnte die Erde in seinen Bann ziehen, sie dann wie im Tanz um den gemeinsamen Schwerpunkt wirbeln und auf ihrer Oberfläche grauenvolle Verwüstungen durch die Gezeitenkräfte anrichten.  

4. Er zog den Erdmantel über den stabil rotierenden Kern, bis jener um etwa 180° verschoben liegen blieb. Dadurch war der Nordpol zum Südpol geworden und umgekehrt. Für die Geologen ist die mehrfache Umkehrung des erdmagnetischen Feldes eine unumstößliche Tatsache, für die sie jedoch keine überzeugenden Erklärungen haben. Ich werde weiter unten darauf zurückkommen.  

5. Typhon wurde höchstwahrscheinlich bei einer Explosion aus dem Innern des Planeten Jupiter herausgeschleudert. Möglicherweise waren Kernfusionsvorgänge (wie im Innern der Sonne) daran beteiligt. Wegen seiner enormen Hitze hat es wenig Sinn, Typhon von außerhalb unseres Sonnensystems kommen zu lassen. Das würde das Problem seiner Entstehung lediglich örtlich verlagern, ohne jedoch gleichzeitig eine bessere Erklärung für seine Entstehung anzubieten. Die Möglichkeit, dass Typhon als Protuberanz aus der Sonne gekommen sein könnte, hat keinesfalls mehr für sich als die durch den Mythos von der Geburt der Athene nahe gelegte Entstehung im Planeten Zeus = Jupiter.  

6. Offen bleibt noch die Frage, wo Typhon abgeblieben sein könnte. Dazu gibt es mehrere Aussagen, von denen keine restlos überzeugt. Abgesehen von den mythologischen Erklärungen, nach denen der Titan Typhon in die Sirbonische See gestürzt worden sei, also in die Bucht östlich des Nildeltas, oder in die äußerste Hölle (Sonne?) oder ins Tyrrhenische Meer, wo er die italienische Insel Ischia gebildet haben soll, gibt es meines Erachtens an ernstzunehmenden Aussagen nur die von Immanuel Velikovsky, der den Planeten Venus für das Überbleibsel des Planeten Typhon hält. Die heutige Oberflächen-Temperatur der Venus gibt dieser Annahme einen gewissen Rückhalt.  

Zu dem unter Punkt 4 hinsichtlich des erdmagnetischen Feldes Gesagten muss noch einiges angemerkt werden. Der kritische Leser wird schon bemerkt haben, dass einzig und allein das Herumziehen des Erdmantels um den Kern nicht schon zu einer Umpolung des Magnetfeldes der Erde führen kann; denn der Erdkern, dessen Temperatur weit über derjenigen liegt, bei der der Magnetismus aus dem Eisen entweicht, kann auf keinen Fall der Träger des Erdmagnetismus sein. Es sind die ungeheuren Mengen an Eisen, die seit Jahrmillionen aus dem Weltraum auf die Erde überwiegend in Staubform niedergegangen sind, die den Magneten Erde bilden. Ihren Magnetismus haben sie erworben durch den Erddynamo, der an der besagten supraflüssigen Grenzschicht das elektromagnetische Feld erzeugt und den Magnetismus an die Eisenteile in der Erdkruste abgibt. Je nachdem, in welche Richtung diese Schicht und die Eisenteile der Erdkruste gedreht werden, entsteht entweder ein Nord- oder ein Südpol. Dies ist meine Erklärung für das Phänomen Erdmagnetismus und die Umpolungen in historischer Zeit, für die die Wissenschaftler keine überzeugenden Erklärungen haben.

Eine Verlagerung des geografischen Nord- bzw. Südpols an andere Plätze in den Polarzonen ist für die Wissenschaft ebenfalls nichts Neues mehr. In den letzten paar Jahrhunderttausenden - so die Wissenschaftler - hat sich die Lage des Nordpols viermal verändert. Ich werde zeigen, dass dies in den letzten paar Jahrtausenden geschah. Es leuchtet ein und ist zu erwarten, dass sich nach einem fast 180° ausmachenden Herumziehen des Mantels über den Erdkern nicht genau dieselben geografischen Punkte an den Enden der Erdachse befanden, an denen sie vorher heraustrat. Es hatten sich nach jedem Nahvorbeizug neue Pollagen ergeben.

Durch die Polverlagerungen wurde natürlich auch das Gradnetz der Erde, das bekanntlich von den Polen her aufgezogen wird, jedes Mal verändert. Der Äquator schnitt die Tropen, also die Gebiete zwischen den Wendekreisen, jeweils in anderen geografischen Bereichen, und die Tropen selbst waren breiter oder schmäler, je nachdem, ob die Erdachse gegen die Ekliptik (Erdbahnebene) mehr oder weniger stark geneigt war. Dabei hat sich die Änderung der Achsneigung weniger aus deren "Herabbiegen" ergeben als vielmehr aus der Änderung (Kippung) der Bahnebene im Vergleich zu der Raumlage der vorigen. Eine nicht ganz 180° ausmachende "Schwenkung" der Erde bedeutet natürlich auch eine nicht vollständige Rückkehr der Erde in die vorherige Bahnebene. Alle diese Phänomene und noch weitere sind durch die einfache Annahme zu erklären, sie seien von Typhon verursacht worden.

Letzter Stand: 25. Juni 2012


1 Immanuel Velikovsky, Welten im Zusammenstoß, Umschau Verlag Frankfurt, 1978
2 Rheinische Post, 20.09.97

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